New Europe an der Macht

Der künftige EU-Kommissionspräsident Barroso war schon militanter Maoist, neoliberaler Sparpolitiker und Freund Amerikas. Jetzt soll er die Europäische Union steuern. Aber wohin? von ivo bozic
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Selten wurde die Wahl eines EU-Kommissionspräsidenten so ernst genommen wie diesmal. Denn Europa wird ernster genommen, Europa ist inzwischen mehr als eine Vision. Es ist für Linke wie Rechte das ganz konkrete Projekt geworden, mit den USA offen in Konkurrenz zu treten. So erhält die Frage, wer an der Spitze der Kommission steht, plötzlich ungewohnte Relevanz, denn es ist die Frage nach der politischen Entwicklung der EU, und damit immer auch nach dem Verhältnis zu den USA.

Wenn nicht etwas Überraschendes geschieht, wird an diesem Mittwoch der bisherige portugiesische Ministerpräsident José Manuel Durao Barroso in dieses Amt gewählt. Er gilt als Kompromisskandidat, und auch er selbst versucht, sich als Vermittler und als Mann der Mitte zu präsentieren. (»Ich bin ein Sozialdemokrat der Mitte, moderat, reformerisch und anti-etatistisch.«) Doch wer ist dieser Barroso wirklich, um den so heftig gestritten wird wie um keinen anderen potentiellen EU-Kommissar zuvor? Für einen 48jährigen kann er eine beachtliche Karriere vorweisen. Seit 1985 ist er im Parlament, sieben Jahre lang war er Staatssekretär im Innen- oder im Außenministerium, von 1992 bis 1995 Außenminister – da war er erst Mitte dreißig. Er gehört der so genannten Sozialdemokratischen Partei Portugals an, die jedoch eine liberal-konservative ist und derzeit sogar mit der äußersten Rechten koaliert. Ist er also ein Rechter oder ein Linker? Das ist schwer zu sagen. Mal so, mal so.

Nach der Nelkenrevolution im Jahre 1974 war er drei Jahre lang Mitglied der militanten und ultrasektiererischen maoistischen »Bewegung zur Reorganisierung der Partei des Proletariats« (MRPP). Später jedoch, als Mitglied der Regierung, war er führend an der Reprivatisierung der zahlreichen nach der Revolution verstaatlichten Betriebe beteiligt. Als Ministerpräsident schließlich betrieb er seit 2002 einen neoliberalen Sparkurs, der an das deutsche Modell erinnert: Sparen, sparen, sparen, die Arbeitslosigkeit in die Höhe treiben und soziale Standards abschaffen. Dass ihn das für den neuen Job qualifiziert, kann man nicht sagen, es offenbart jedoch die Gründe, warum Regierungen wie die deutsche und die französische einem Mann aus der konservativen EU-Fraktion so viel Sympathie entgegenbringen.

Denn andererseits hat Barroso im Irakkrieg die deutsch-französische Position scharf kritisiert und sich an die Seite der USA gestellt: Auf den portugiesischen Azoren fand der Gipfel der Kriegskoalition statt, und Barroso war neben Blair, Aznar, Berlusconi, Havel und Miller einer der acht europäischen Staatschefs, die im Januar 2003 den Appell »Europa und Amerika müssen zusammenstehen« unterzeichneten. US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld veranlasste dies damals zu der Wortschöpfung des »New Europe«, das er lobend dem deutsch-französisch geprägten »Old Europe« gegenüberstellte.

Damals schrieben die acht Staatschefs den USA »Mut, Großzügigkeit und Weitsicht« zu. Barroso galt seitdem als »Atlantiker«, der am Primat der transatlantischen Beziehungen festhält und die Rolle Europas als konkurrierende Weltmacht eher ablehnt. Dass ausgerechnet ein solcher Freund der USA in der jetzigen Situation der EU-Kommission vorstehen soll, könnte als Zeichen gewertet werden, dass Schröder und Chirac die Konfrontation mit den USA abmildern wollen. Allerdings ist auf die politische Position Barrosos kaum Verlass. Als er sich in der letzten Woche bei den linken Europa-Fraktionen vorstellte und um Stimmen warb, verstieg er sich zu der Formulierung, er »hasse« die »Arroganz« der Vereinigten Staaten und ebenso ihren »Unilateralismus«. Er ist kein rechter oder linker Ideologe. Er ist ein neoliberaler Pragmatiker und populistischer Machtmensch, der denen nach dem Mund redet, die ihm gerade relevant erscheinen. Ein Mann also, der für viele Überraschungen gut ist.

Die Linken und die Grünen versuchten in den letzten Wochen, seine Wahl noch zu verhindern. Daniel Cohn-Bendit kündigte an, die Grünen würden »hart daran arbeiten, eine Mehrheit gegen Barroso zusammenzubringen«. Und sogar der deutsche Sozialdemokrat Martin Schulz bezeichnete den Vorschlag, den portugiesischen Ministerpräsidenten ins Rennen zu schicken, anfangs als »Provokation«. Provoziert fühlen sich die rot-grünen Deutschen einerseits von Barrosos neoliberaler Politik und andererseits von seiner Unterstützung des Irakkriegs. Wenn jedoch ausgerechnet Politiker der Grünen und der SPD den sozialfeindlichen Kurs Barrosos kritisieren, wirkt das reichlich unglaubwürdig. Übrig bleibt die Kritik an seiner Kriegsunterstützung bzw. seiner Sympathie mit den USA. Die Motive dieser Kritik dürften jedoch kaum pazifistische sein, sondern scheinen von eigenen europäischen wirtschaftlichen und geopolitischen Interessen geleitet.

Auch in der Fraktion der Europäischen Linken wollte man am liebsten Barroso verhindern. Die beiden bei der letzten Wahl von der PDS ins Europaparlament geschickten Abgeordneten Tobias Pflüger und Sahra Wagenknecht kritisierten dieselben Punkte wie Cohn-Bendit und Schulz. »Unter diesem Präsidenten wird die EU kriegerischer und unsozialer werden«, prognostizierten sie in einer gemeinsamen Presseerklärung. Dennoch ist seine Wahl wohl kaum zu verhindern. Die Konservativen wählen ihn, weil er ein Konservativer ist, und die Sozialdemokraten, weil er so sozialfeindlich und neoliberal ist wie sie. Barroso braucht nur die relative Mehrheit der 732 Abgeordneten. Auf die Stimmen der Grünen und der Vereinigten Linken kann er verzichten.

Welche Richtung er letztlich einschlagen wird, hängt jedoch nur teilweise von ihm selbst und seinen undurchsichtigen politischen Vorstellungen ab. Entscheidend wird sein, wen er in die Kommission beruft. Das Parlament stimmt nicht über jeden einzelnen Kommissar ab, sondern billigt oder verwirft die Kommission als ganze. Daher versuchen die verschiedenen Regierungschefs, möglichst vorher bereits mitzureden. Der deutsche Kanzler etwa versucht, seinen alten Genossen, den jetzigen Erweiterungskommissar der EU, Günter Verheugen, als »ausschließlich für Fragen der Wirtschaftsreform zuständigen Vizepräsidenten« und »Superkommissar« bei Barroso zu platzieren. Klar ist, dass an den künftigen Kommissionspräsidenten von verschiedenen Staaten Ansprüche herangetragen wurden und dass die Erfüllung der Wünsche mit der Zusage, Barroso zu wählen, um einiges realistischer wird.

Barroso gilt als kleinster gemeinsamer Nenner, als das, was nach kräftigem Gefeilsche und Geschacher am Ende halt so herauskommt. Ein Signal für einen neuen Aufbruch Europas ist seine Wahl jedenfalls nicht, und das ist gut so.