Spione, die uns nicht liebten

Die Sozialgeschichte des Spitzels zeigt Erfolge und Niederlagen von Schnüfflern und V-Männern. von anke schwarzer

In Krawatten eingearbeitete Minikameras, Richtmikrofone mit über 100 Metern Reichweite, Telefonwanzen und Ferngläser mit Restlichtverstärker sind bekannte Schnüffelwerkzeuge. Auch Stethoskope, die Gespräche aus dem Nebenzimmer 40 000fach verstärkt widergeben, oder das Schlüsselkopiersystem für den Abdruck in 180 Sekunden lassen des Schnüfflers Herz höher schlagen. Um die technischen Augen und Ohren geht es jedoch nur am Rande des Bandes »Spitzel. Eine kleine Sozialgeschichte«, herausgegeben von Markus Mohr und Klaus Viehmann. Im Fokus steht vielmehr der Spitzel in Menschengestalt, den die Autoren fast ausschließlich in seiner männlichen Form präsentieren. Beleuchtet werden Geschichte und Beweggründe, Erfolge und Niederlagen von V-Männern, Spitzeln und anderen Schlapphüten.

Was aber ist ein Spitzel? Die Autoren des Bandes nehmen zunächst eine Begriffsklärung vor: »Auch wenn ein Spitzel denunziert, so ist er doch von der Figur des Denunzianten zu unterscheiden: Ein Spitzel nutzt nicht nur Gelegenheiten aus, er hat den Auftrag, sie aktiv herzustellen. Und so steht selbst der Verräter noch über ihm. Zwar verrät auch ein Spitzel, doch im Unterschied zum Verräter hat er nie die Sache oder politischen Ziele und Träume geteilt, für die Menschen sich einsetzen (…). Ein Spitzel besitzt auch nicht den Hauch einer Souveränität, wie sie vielleicht ein Agent oder Spion im Sold einer ausländischen Staatsmacht beanspruchen kann.« Kurz, so schreiben die Autoren, der Spitzel sei aus der Perspektive aller Beteiligten einfach das allerletzte.

Dem etymologischen Wörterbuch von Kluge zufolge stammt das Wort »Spitzel« aus dem österreichischen Sprachraum im 19. Jahrhundert. Und bereits in »Grimms Wörterbuch« findet sich das Wort »spitz«. Werde man sich über etwas klar und gelinge es, jemanden spitz zu bekommen, dann habe man ihn durchschaut und sei ihm »hinter seine Schliche« gekommen. Dies trifft nicht nur auf die Arbeit des Spitzels zu, sondern umreißt auch das Anliegen des Buches. Es will keine schematischen Spitzelenttarnungsrezepte liefern, sondern mit Fallbeispielen und historisch-soziologischen Ausführungen zeigen, welche Methoden Schnüffler anwenden, mit welchen Legenden sie arbeiten und wie sie mitunter enttarnt werden konnten. Absolute Zahlen können die Autoren nicht nennen, aber in den letzten drei Jahrzehnten seien es eher Hunderte als Dutzende gewesen, die allein auf die Linke in der BRD angesetzt worden seien. Anstrengend sei es gewesen, sich von den Fällen, hinter denen oftmals persönliche Tragödien stehen, nicht deprimieren zu lassen, so die Autoren: »Das Ausmaß der Niederträchtigkeit, Berechnung und Unverschämtheit hat in manchen Momenten unser eher positives Menschenbild schwer angekratzt.« Außerdem warnen sie davor, sich längere Zeit, womöglich noch allein, mit Spitzelfällen zu befassen. »Wer sich über Monate mit Spitzeln beschäftigt, hat Mühe, nicht überall welche zu sehen.« Aber nicht Paranoia sei gefordert, so die Autoren, sondern Aufmerksamkeit und selbstständiges Analysieren. Dafür bieten sie in dem Buch eine Fülle von Material.

Behandelt werden die gemeinsame Entstehungsgeschichte von Polizei- und Spitzelapparat im vorrevolutionären Paris des 18. Jahrhunderts, der »Urspitzel Judas«, Leo Trotzkis Schilderung seiner Observation bis zu den Schnüfflern in politischen Kriminalromanen etwa bei Paco Ignacio Taibo II. Im Zentrum des Buches stehen die Agenten im deutschsprachigen Raum. Es gibt aber auch Ausflüge in die USA, wo das tödliche Counterintelligence Programme des FBI gegen die Black Panther Party eingesetzt wurde, und nach Kolumbien.

Das Buch »Spitzel« zeigt keineswegs nur die Schnüffeleien gegen kommunistische oder links-autonome Bewegungen, sondern auch die V-Mann-Aktivitäten in der NPD, Observationen im kriminellen Milieu oder die Lauschereien in Rockerkreisen des »IM Raffelt« der Staatssicherheit in der DDR. Die Auswahl der Beiträge hinterlässt einen ungeordneten Eindruck. Zu diesem Bild trägt sicher auch bei, dass Überblicksartikel weitgehend fehlen und Entwicklungen in Sachen Überwachung kaum eingeordnet und analysiert werden. Außerdem fehlen wichtige Aspekte, etwa dass Behörden Einwanderer zunehmend bespitzeln und rastern lassen und Telefongespräche in drastisch steigender Zahl überwachen, wovon nach einer Schätzung der Deutschen Vereinigung für Datenschutz rund 1,5 Millionen Menschen im Jahr 2002 betroffen waren. Auch Online-Spitzel, so genannte Cyber-Spies, die sich mit Pseudonymen in der virtuellen Welt herumtreiben, um dort mit Feinden zu chatten und nach Plänen für Terroranschläge zu fahnden, sind kein Thema im Buch. Schade auch, dass man nichts erfährt über die zuweilen grassierende Spitzel- und Zivi-Paranoia in der Linken oder davon, wie Schnüffler »enttarnt« wurden, die keine waren.

Für sich genommen, sind die Texte aber alle sehr interessant, gründlich recherchiert und in der Regel gut belegt. Auch die Detailverliebtheit mancher Beiträge verhilft zu einem lebhaften Einblick in die Machenschaften so mancher Spitzel. So wird etwa der Kriminalrat Wilhelm Stieber vorgestellt, der 40 Jahre lang im Dienste der preußischen Reaktion Demokraten und Kommunisten beschnüffelte und ihnen jahrelangen Knast einbrachte. Seine Karriere begann 1845, getarnt als »Landschaftsmaler Schmidt«. Damals spionierte er in Schlesien Weber und andere Arbeiter aus. In Hamburg streiften zu Beginn des 20. Jahrhunderts als Arbeiter verkleidete Schutzmänner durch die Kneipen. In den »Salons der Proletarier« belauschten sie Gespräche und verfassten bis 1910 rund 20 000 Berichte. Der Auftrag bestand weniger darin, einzelne Personen zu überwachen, als kontinuierlich die Stimmung in der sozialdemokratischen Arbeiterschaft einzufangen, also eine Art Meinungsforschung. Ein besonders schöner Text, weil mit feiner, sprachlicher Ironie verfasst, ist Klaus Viehmanns Beitrag über Spitzel im Knast, der einen Einblick in die speziellen Umstände, aber auch in die psychischen Abgründe des Denunzianten vermittelt.

Das voyeuristische Bedürfnis, das sich rasch beim Thema Spitzel einstellt, wird mit der Beschreibung zahlreicher steckbriefartiger Fallbeispiele der letzten Jahre bedient. Sie schildern ausführlich die Einschleichmethoden und das Enttarnen von Leuten wie Kirsti Weiß, die zwischen 1998 und 2001 den Expo-Widerstand und andere linke Aktivitäten ausgekundschaftet hat, oder von Manfred Schlieckenrieder alias Camus, der über 20 Jahre in der Linken spitzelte.

Trotz der Brisanz des Themas ist das Buch ein anregender Schmöker mit historischen Ausführungen und lehrreichen Fallbeispielen. Und die amüsanten Anekdoten über verpatzte Schnüffeleinsätze und beherzte Gegenaktionen (wie die des Opel-Betriebsrates und DKP-Mitglieds Peter Jaszcyk, der 1981 in Bottrop einem Anwerber die Hosen herunterzog und anhand eines gefundenen Lottoscheins den Klarnamen enttarnte) geben Hoffnung und machen Mut.

Markus Mohr und Klaus Viehmann (Hg.): Spitzel. Eine kleine Sozialgeschichte. Assoziation A, Berlin, Hamburg 2004, 256 S., 18 Euro