Sport bringt nichts

Olympia, WM, EM – was das alles kostet! Jedenfalls mehr, als es einspielt und standardmäßig vorausgesagt wird. von lukas wieselberg

Vielleicht hat Giorgos Souflias nur einen besonders schlechten Tag gehabt, als er Anfang Juni für eine Verschiebung der Olympischen Spiele in Athen plädierte. Inhaltlich mussten ihm als Bauminister Griechenlands seine damals vorgebrachten Argumente schon länger bekannt gewesen sein: die Verspätungen beim Bau der Sportstätten und der Infrastruktur, der schleppende Kartenverkauf sowie die hohen Kosten für die verschiedenen Bauprojekte.

Was Olympia im Jahr seiner Heimkehr wirklich kostet, weiß niemand so genau. Fakt ist: Die Veranstaltung ist teurer als je zuvor, und bezahlen dürfen sie die griechischen Steuerzahler. War der ursprüngliche Etat noch auf 4,6 Milliarden Euro beziffert worden, so gehen griechische Medien mittlerweile von einem Betrag um die zehn Milliarden Euro aus. Schuld daran seien weniger die gestiegenen Kosten für die Sportstätten, sondern die zahlreichen Infrastrukturprojekte, wie der Bau von zwei neuen U-Bahn-Linien und zahlreichen Schnellstraßen sowie ein umgesiedelter Flugplatz, erklären offizielle Stellen. Und auch das aus Terrorangst geschnürte »Paket Sicherheit 2004« soll mehr als eine Milliarde Euro kosten, 70 000 Sicherheitskräfte, ABC-Waffen-Experten und die Nato-Flotte im Mittelmeer inklusive.

Profitiert die griechische Ökonomie dann wenigstens von einer wachsenden Zahl von Sporttouristen? Das ist in dem ohnehin von der Reisewirtschaft geprägten Mittelmeerland kaum zu erwarten. Und war schon während der Fußball-EM in Portugal weniger der Fall als ursprünglich angenommen. Nach einer Studie des portugiesischen Finanzministeriums konnten durch die 211 000 zusätzlichen Fußballtouristen im Juni 2004 zwar rund 112 Millionen Euro eingenommen werden. Prognosen zuvor hatten aber mit 500 000 zusätzlichen Touristen und 266 Millionen Euro gerechnet. Auch das Bruttoinlandsprodukt, das dieses Jahr dank der EM um 0,1 Prozent wachsen sollte, wird wohl nur um 0,08 Prozent ansteigen.

Überhaupt scheinen Studien, die vor Sportgroßereignissen gemacht werden, in erster Linie gewünschte Resultate zu liefern: Prognosen auf mehr Wirtschaftswachstum und Beschäftigung. Ein gutes Beispiel ist die Fußballweltmeisterschaft 2002 in Japan und Südkorea. Ein Wirtschaftsforschungsinstitut sagte für den Fall, dass Japan Fußballweltmeister wird, wirtschaftliche Nettoeffekte bis 30,6 Milliarden Euro voraus was etwa 0,6 Prozent des jährlichen Bruttoinlandsprodukts entsprach. Die zu erwartenden Effekte sollten über einen längeren Zeitraum erfolgen, und zwar hauptsächlich in drei Bereichen: Bauinvestitionen in Stadien und Infrastruktur (17 Prozent), Konsumausgaben der in- und ausländischen Besucher (26 Prozent) sowie Diffusionswirkungen (56 Prozent), d.h. Ausgaben und Investitionen, die sich über die Wertschöpfungskette in anderen Wirtschaftsbereichen ergeben. In Korea zirkulierten ähnliche Studien zu den Wirtschaftseffekten der WM. Das staatliche Korean Development Institute prognostizierte ein Plus von 350 000 Jobs und einen zusätzlichen industriellen Output von rund acht Milliarden Euro.

Von derartigen Prognosen hält der Japanologe Wolfram Manzenreiter, der zurzeit an der Universität Duisburg forscht, allerdings wenig. Er hat sich mit den ökonomischen Versprechungen der vergangenen Fußball-WM auseinander gesetzt. »Mit der Gutachterarbeit im Vorfeld von Sportgroßereignissen lässt sich offensichtlich mehr Geld verdienen und Aufmerksamkeit erregen als mit Untersuchungen, die danach mit realen Investitionen und Umsätzen den tatsächlichen Effekten nachspüren.« Der Nutzen wird übertrieben, die Kosten werden unterschätzt. »Megaevents auszurichten, ist einer der ineffizientesten Wege, um eine Wirtschaft zu stimulieren«, schreibt auch der Sportökonom Stefan Szymanski vom Imperial College.

Dennoch hält sich das Gerücht hartnäckig, dass »panis et circenses« im XXL-Format auch ökonomisch sinnvoll seien. Und zwar seit den Olympischen Spielen 1984 in Los Angeles, wo den Veranstaltern dank intensiven Sponsorings und bis dahin unerreichten Einnahmen aus den Fernsehübertragungsrechten das Kunststück gelang, einen ökonomischen Gewinn zu verbuchen. Spätestens seit damals gehören Prognosen, die eine positive Bilanz versprechen, zum festen Repertoire von Städten, die sich um Olympische Spiele bewerben. Die Realität sieht Wolfram Manzenreiter zufolge anders aus: Während eine Reihe von Unternehmen – etwa in der Bauwirtschaft, im Marketingbereich oder im Sportartikelgeschäft – tatsächlich kräftig Gewinn einfahren, hat die öffentliche Hand auf lange Sicht das Nachsehen. Auch wenn es kurzfristig zu mehr Beschäftigung und mehr Steuereinnahmen kommt, können langfristig keine positiven Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum festgestellt werden.

Hauptmanko vieler optimistischer Prognosestudien sei das Vergessen so genannter Crowding-Out-Effekte. Damit ist die Verlagerung im Konsum von einem Produkt zuungunsten eines anderen bzw. die terminliche Vorverlegung einer Kaufentscheidung gemeint – etwa die Anschaffung eines neuen Fernsehgeräts vor dem Beginn einer Fußball-WM oder von zwei Kisten Bier bei Triumphen des eigenen Teams. Unterm Strich und über einen längeren Zeitraum ergibt sich aber kein Plus im Konsum. Selbst die größte Euphorie kann über die tatsächlichen Verhältnisse in der eigenen Geldbörse nicht hinwegtäuschen. Und doch lassen sich die Ökonomen von der Euphorie immer wieder mitreißen, wie ein Beispiel von der Fußball-WM vor zwei Jahren zeigt. Dem Sieg der Südkoreaner gegen Polen sprach das Hyundai Research Institute damals einen volkswirtschaftlichen Wert für das Gastgeberland von 11,5 Milliarden US-Dollar zu.

Nach dem Sport-Großereignis ist vor dem Sport-Großereignis. Die ersten Prognosen für die Fußball-WM 2006 in Deutschland fielen im Vergleich zu Japan und Südkorea bescheiden aus. Paderborner Ökonomen legten im Auftrag des DFB bereits vor der endgültigen Vergabeentscheidung eine Prognose vor, welche die Effekte der WM optimistisch bei 2,35 Milliarden Euro, pessimistisch bei einem Reingewinn in Höhe von 100 Millionen Euro einstuften. Eine Kosten-Nutzen-Analyse, die auf dem Informationsstand nach der Entscheidung zugunsten Deutschlands und der Bekanntgabe der WM-Stadien aufbaut, kam schließlich auf einen nachhaltigen Wohlfahrtszuwachs bis 3,4 Milliarden Euro, einem Wirtschaftswachstum von acht Milliarden für die Jahre 2003 bis 2010 und Einnahmen der öffentlichen Hand in Höhe von 900 Millionen Euro. Die Gefahr eines negativen Ergebnisses sahen die Studienautoren nur dann gegeben, wenn unglückliche Standortentscheidungen zu erhöhten Baukosten und problematischen Nachnutzungskonzepten führen. Die WM soll für Deutschland zumindest aus ökonomischer Sicht ein Erfolg werden, wenn es sportlich schon nicht gelingen will.

Lukas Wieselberg war bei der Zeitschrift Kurswechsel Gastredakteur der aktuellen Ausgabe »Ideologien und Ökonomien des Sports«. www.kurswechsel.at