Neonazis verteilen 250.000 CDs mit Rechtsrock kostenlos an Schüler

Angriff aufs Schülerohr

Bei ihrer »Aktion Schulhof« wollen Neonazis 250.000 CDs mit Rechtsrock kostenlos an Schüler verteilen.

Ian Stuart Donaldson, der Sänger der Nazi-Band »Skrewdriver«, sagte einmal, Musik sei »das ideale Mittel, Jugendlichen den Nationalsozialismus näher zu bringen«. Aus diesem Grund hätte sich der Termin für das »Projekt Schulhof« geradezu angeboten. Vor den Sommerferien wollten Rechtsextreme 250 000 kostenlose Multimedia-CDs mit dem Titel »Anpassung ist Feigheit – Lieder aus dem Untergrund« an Schulen in ganz Deutschland verteilen. Bands wie »Noie Werte«, »Hauptkampflinie« oder »Spirit of 88« wären dann an dem einen oder anderen Badesee in Deutschland erklungen. Denn die CD enthält 20 Lieder einschlägig bekannter Nazi-Bands sowie Kontaktadressen regionaler rechtsextremer Gruppen und Werbematerial. Eingeleitet wird sie von einem schwülstigen gesprochenen Text gegen Kriminalität, »Multikulti« und »antideutsche Geschichtsschreibung, die an allen Schulen gelehrt« werde.

Die Aktion konnte jedoch bisher nicht beginnen, da sich die Produktion der CD schwieriger erwies als gedacht. Ein Presswerk in Sachsen-Anhalt weigerte sich, den Tonträger herzustellen, und wandte sich an die Behörden. Nach Angaben des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes konnte auch die Produktion in zwei Presswerken in Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen verhindert werden. Vermutlich wird die CD jetzt in Osteuropa hergestellt.

Trotz dieser Probleme kann die Aktion bereits jetzt als relativ erfolgreich eingeschätzt werden. Bevor der Sampler überhaupt produziert und verteilt ist, zeigen sich an diesem Projekt deutlich die logistischen, finanziellen und personellen Kapazitäten der Neonazi-Szene. Nach Informationen der Zeitschrift Blick nach Rechts stehen hinter dem Projekt 56 internationale Kameradschaften, Skinheadgruppen, Musiklabels und Versandgeschäfte. Kameradschaften aus Sangerhausen, dem Rhein-Main-Gebiet und von der Bergstraße in Südhessen zählen zu den Unterstützern. Der Innenminister von Nordrhein-Westfalen, Fritz Behrens, warnt vor einer »rechtsextremistischen Mobilmachung« an Schulen. »Die Versuche der Szene, Jugendliche zu manipulieren, haben damit eine neue Dimension erreicht.« Ein Schwerpunkt der Aktion wird in Niedersachsen erwartet, da hier Neonazis bereits seit Monaten offensiv Flugblätter vor Schulen verteilen.

Hinter der Aktion könnten nach Informationen von Blick nach rechts und nach Angaben des thüringischen Verfassungsschutzes zwei Drahtzieher des Geschäfts mit Rechtsrock in Deutschland stecken: Lutz Willert aus dem kleinen sachsen-anhaltischen Dorf Kuhlhausen und Thorsten Heise aus dem thüringischen Fretterode. Willert ist Versandbetreiber von »Lu-Wi-Tonträger«; mit seinen Umsätzen unterstütze er die Hilfsorganisation für nationale Gefangene (HNG), vertreibe T-Shirts mit der Aufschrift »frei-sozial-national« sowie nationale und internationale Nazi-Musik, heißt es bei turnitdown, einem Internetforum gegen Rechtsrock.

Heise ist nach Angaben des thüringischen Verfassungsschutzes »auf jeden Fall dem Umfeld der CD-Aktion zuzuordnen«. Dem Blick nach rechts zufolge ist er Anführer der »Kameradschaft Northeim« und betreibt den Musikvertrieb »W&B Records« in Fretterode. Auf der Homepage des dazugehörigen Fanzines Max und Moritz heißt es: »Unser Record Label ist stolz, bei dem oben genannten Projekt teilgenommen zu haben. (…) Wir kriegen das Zeug schon verteilt! Demnächst auch vor eurer Schule!« Dementsprechend findet sich auf der CD ein Verweis auf »W&B Records«.

Indes sind sich die Landesministerien über den strafrechtlichen Gehalt des Samplers uneins. Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) sagte, »dass gezielt nur Titel für die CD ausgewählt wurden, die hart an der Grenze zur Strafbarkeit liegen«. Sein sachsen-anhaltischer Kollege Klaus Jeziorsky (CDU) ergänzte, nach Einschätzung der Initiatoren seien nur Lieder enthalten, die »keinen Anlass für das Einschreiten der Sicherheits- und Strafvollzugsbehörden bieten sollten«. Dagegen hält die Hamburger Staatsanwaltschaft mindestens einen Liedtext wegen der »Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole« für strafrechtlich relevant. Deshalb will die Polizei die CDs beschlagnahmen. Eine abschließende Prüfung steht allerdings noch aus.

Wie bei fast jeder größeren oder kleineren Nazi-Aktivität wirft das Verhalten der Behörden zahlreiche Fragen auf. Denn lange Zeit wurde versucht, die Öffentlichkeit nicht über das »Projekt Schulhof« zu informieren, obwohl die CD dem Verfassungsschutz bereits seit dem 21. Juni vorlag. Die Kultusministerien informierten zunächst nur SchulleiterInnen. »Um die Aktion der rechtsextremen Gruppen nicht zusätzlich aufzuwerten, raten wir von Öffentlichkeitsarbeit zunächst ab«, hieß es nach Angaben von Blick nach rechts. Zwar werde einerseits auf das pädagogische Problem hingewiesen, dass sich die CD vor allem an unentschlossene, »ideologisch noch nicht gefestigte Jugendliche« richte. Im Falle einer Verteilungsaktion wird jedoch lediglich auf die Polizei verwiesen. Beratungsstellen und Initiativen gegen Rechtsextremismus erfuhren nur zufällig und nach eigenen Recherchen von dem Vorhaben der Neonazis.

Die Initiative »Miteinander – Netzwerk für Demokratie und Weltoffenheit in Sachsen-Anhalt« fordert dagegen einen offenen Umgang mit den Musik-CDs. Die SchülerInnen sollten direkt auf den Inhalt des Samplers angesprochen werden. Es sei zwar davon auszugehen, dass die CD hauptsächlich »im sozialen Nahraum von Jugendeinrichtungen und Schulen« verteilt und über Mund-zu-Mund-Propaganda bekannt werde. Dennoch wird darauf hingewiesen, dass »Jugendeinrichtungen und Schulen gegenüber den Verteilern der CDs von ihrem Hausrecht Gebrauch machen« können.

Für den Fall, dass LehrerInnen die Tonträger konfiszieren, gibt es von Neonazis bereits Tipps im Internet. »Solltet ihr mit euren Lehrern Probleme wegen dem Besitz einer solchen CD bekommen oder sie euch gar entwendet werden, besteht unbedingt darauf, dass sie euch zurückgegeben wird. Lasst euch nichts gefallen und hört einfach mal rein!« heißt es auf Kameradschaftsseiten.