Funk the System

Jeden Freitag sendet Pirate Beat Box in Berlin. Ihre Sendungen klauen die RadiopiratInnen im Internet zusammen. von martin kröger

Immer kommen diese Spinner und suchen uns.« Angewidert schaut Klaus Schröder*, Radiopirat beim Berliner Sender Pirate Beat Box, vom Dach eines Mietshauses in die Straßenschlucht zu seinen Füßen. Grund des Ärgers ist ein unverdächtig aussehender weiß-orangefarbener VW-Bus, der sich bei näherer Betrachtung als Peilfahrzeug entpuppt. In das Dach des Wagens sind Miniantennen und Messgeräte eingelassen. »Das Fahrzeug gehört zu einem Privatunternehmen, das im Auftrag der Medienanstalt Berlin-Brandenburg Jagd auf uns macht«, vermutet Schröder.

Nicht zum ersten Mal sehen die RadiopiratInnen die staatlich beauftragten Sucher. »Schon mehrmals mussten wir unsere Sendungen abbrechen, weil die Spürhunde unserem Sendeplatz verdächtig nahe gekommen waren«, erzählt Rosa Fischer*. »Langsam nervt es«, sagt sie und hofft, dass die ewige Verfolgung irgendwann einmal ein Ende finden wird. »Strafrechtliche Konsequenzen wie früher, als auf das Senden ohne Lizenz noch hohe Gefängnisstrafen standen, drohen zwar heute nicht mehr«, ergänzt Petra Meier*, »aber neben einer Ordnungsstrafe dürfte das Equipment unwiederbringlich verloren sein«, vermutet sie für den Fall, dass Pirate Beat Box beim Senden entdeckt würde. Heute haben die PiratInnen allerdings Glück, der VW-Bus biegt um die nächste Ecke, und ward nicht mehr gesehen.

Seit 14. Mai dieses Jahres sendet Pirate Beat Box jeden Freitag von 18 bis 20 Uhr auf der Frequenz 95,2 Mhz im Berliner Innenstadtbereich. Abgesehen vom ständigen Nervenkitzel beim »Räuber-und-Gendarm-Spiel« mit den Behörden ist der regelmäßige Radiobetrieb an sich schon eine anstrengende Sache. Denn die technischen Gerätschaften müssen in wechselnde Privathäuser geschleppt werden, darunter der Sendeverstärker, der »stolze 25 Kilo mit Trafo auf die Waage bringt«, wie Schröder sagt. Dann gilt es, die über zehn Meter hohe Sendeantenne zu installieren und die Kabel zu verlegen. Das ist bei den hochsommerlichen Temperaturen eine schweißtreibende Angelegenheit. Besonders die Feinjustierung der monströsen Antenne verlangt einiges an Fingerspitzengefühl, zumal die ganze Zeit Handschuhe getragen werden, um keine Fingerabdrücke zu hinterlassen.

An diesem Freitag erspähen NachbarInnen die Aktivitäten auf dem gegenüberliegenden Dach, stören sich allerdings nicht daran, sondern grüßen freundlich herüber.

Nach der Installation des Equipments wird es für die »TechnikerInnen«, wie sie sich selbst bezeichnen, ein wenig langweilig. »Wir können leider kein eigenes, selbst produziertes Programm senden«, erzählt Petra Meier, nachdem sie es sich mit den anderen in einer Ecke des typisch öden und verstaubten Berliner Dachbodens gemütlich gemacht hat. »Dazu fehlt uns leider die Zeit.«

»Wir haben uns deshalb aufs Klauen verlegt«, erklärt Schröder grinsend. »Wir stehlen unser Programm aus dem Internet zusammen«, sagt er. »Die Pirate Beat Box kennt kein Copyright, das fängt bei der Musikindustrie an und hört bei frei verfügbaren Radiobeiträgen auf«, vervollständigt Petra Meier. Schließlich sei es das Ziel, mit sämtlichen konventionellen Medien zu brechen, um den »Einheitsdudelfunk« zu überwinden.

Dass die PiratInnen hierfür das Medium Radio gewählt haben, liegt an den geringen Kosten. Die technischen Mittel sowohl zum Senden als auch zum Empfangen sind unglaublich billig zu erwerben. Im Internet, dem Raubterrain der Pirate Beat Box, wimmelt es nur so von kostenlos verfügbarer Musik und Radiobeiträgen, zusätzlich gibt es diverse Angebote bis zum fertig zusammengebauten Sender. Aber nicht nur der günstige Preis spricht für ein Radioprojekt. »Dahinter steckt die Idee, sich die durch die Medienbehörden kontrollierten Ätherräume selbst anzueignen«, sagt Schröder. Man wolle die Möglichkeit für alle schaffen, Frequenzen zu belegen, um dann »dort emanzipatorische Inhalte zu platzieren«.

Zur Beute der PiratInnen zählen neben den frei verfügbaren Nachrichtenbeiträgen des in Nürnberg ansässigen Radio Z insbesondere Sendungen des Berliner Internetradiomagazins Polyphon. Polyphon, ein seit Anfang des Jahres bestehendes Projekt, in dem »mehrere politisch und radiotisch engagierte Gruppen« vertreten sind, hat sich zum Ziel gesetzt, »nicht mainstream-konforme Sichtweisen, Lebensrealitäten und Entwürfe« im Internet zu senden.

Das Programm reicht von Nachrichten über die Proteste Lohnabhängiger in Osteuropa der Gruppe Anarchost, Stimmen aus Lateinamerika der Radioagentur Onda und »knallharte Politsendungen« von Super Mono bis zum Programm von Womanizer, einer Gruppe, die seit Jahren »anti-sexistische, herrschaftskritische« Politik betreibt. Polyphon bietet also die Programmvielfalt, die der von Pirate Beat Box entspräche, wenn die PiratInnen nur die Zeit und die Möglichkeit für solche Produktionen hätten.

Keine Option dagegen stellt für sie die Beteiligung an den Kampagnen für ein freies Radio in der Hauptstadt dar. Zwar begrüßt Pirate Beat Box solche Initiativen, eine wirkliche Alternative sehen die Aktivisten in diesem Konzept jedoch nicht. Zu groß könnten die Konzessionen sein, die gegenüber der Landesmedienanstalt zu machen wären. Zudem ist es weiterhin ungewiss, ob es mittelfristig in Berlin ein freies Radio wie in so vielen anderen Regionen und Städten Deutschlands geben wird. Zwar existiert eine durch die Fusion des Senders Freies Berlin (SFB) mit dem Ostdeutschen Rundfunk (ORB) frei gewordene Frequenz, doch um die bewerben sich viele verschiedene Radioprojekte, darunter in der Hauptsache solche, die kommerziell ausgerichtet sind.

Reboot.Fm, ein Radioprojekt, das unter Mitwirkung vieler Initiativen bereits von Februar bis Ende April dieses Jahres sendete, und der Offene Kanal bewerben sich gemeinsam um die Frequenz. Reboot.Fm kommt den Vorstellungen der RadiopiratInnen schon recht nahe, aber das Sendekonzept des freien Bürgerfunks beim Offenen Kanal passt ihnen überhaupt nicht ins Konzept: »Beim Offenen Kanal war es ja möglich, dass Neonazis in ihrem Radio Germania sendeten«, sagt Rosa Fischer, »das könnten wir uns nie und nimmer vorstellen.«

Demgegenüber bevorzugen die PiratInnen das Konzept mehrerer über die Stadt verstreuter Sender: »Wir wünschen uns viele kleine Sender«, sagt Fischer und erinnert daran, dass die Ausstattung dafür so günstig zu haben ist. »Wenn es mehrere Sender gäbe«, lacht Klaus Schröder, »hätten wir ein Problem weniger.« Denn den Jägern im orange-weißen Peilwagen dürfte bei variablen Signalen, die sich je nach Bedarf hoch und runter fahren ließen, ziemlich schnell die Luft ausgehen.

* Alle Namen von der Redaktion geändert. Kontakt zu Pirate Beat Box: piratin@hellokitty.com