Flucht vor den Generälen

Das Militärregime im Sudan hat die Konflikte zwischen Bauern und Nomaden in Darfur eskaliert. Gemeinsam mit der Armee vertreiben Milizen die nicht arabische Bevölkerung. von thomas schmidinger

Nur selten wird die Uno kritisiert, weil sie bei der Lösung bewaffneter Konflikte übermäßige Eile zeigt. Der sudanesische Informationsminister Ibrahim Malik al-Zahawi jedoch ist »zutiefst besorgt darüber, wie schnell die Darfur-Frage in den Sicherheitsrat gekommen« ist. Die Angelegenheit sei »aus der regionalen Arena entführt worden«.

Dennoch akzeptierte die sudanesische Regierung grundsätzlich die in der vergangenen Woche verabschiedete UN-Resolution, mit der sie aufgefordert wird, die Janjawid-Milize zu entwaffnen. Sanktionen »unter Ausschluss von Waffengewalt« gemäß Artikel 41 der UN-Charta können beim Ausbleiben von Fortschritten »in Betracht gezogen« werden. »Es gibt keinen Grund, die Resolution zurückzuweisen, denn sie enthält nichts Neues«, resümierte der sudanesische Außenminister Mustafa Osman Ismail. Allerdings forderte die Regierung eine Verlängerung der Frist von 30 Tagen für die Entwaffnung der Milizen. Die Frist sei »unlogisch und nicht einhaltbar«, erklärte Ismail nach einer Kabinettssitzung am Sonntag, stattdessen werde man sich an die mit UN-Generalsekretär Kofi Annan Anfang Juli abgesprochene 90-Tage-Frist halten.

Für eine Million Menschen, die durch gezielte Vertreibungen, die Verwüstung vieler Dörfer, Massenvergewaltigungen und Massaker in die Flucht getrieben wurden, sind allerdings bereits 30 Tage eine lange Zeit. Nur eine Minderheit von etwa 100 000 Flüchtlingen lebt in den vergleichsweise gut versorgten Camps im benachbarten Tschad. Die Hilfslieferungen in Darfur werden von der Regierung behindert und von den Janjawid-Milizen geplündert. Die nun einsetzende Regenzeit macht die meisten Straßen und Wege unpassierbar, internationale Hilfsorganisationen fürchten noch weit mehr Tote, weil die Flüchtlinge von jeder Lebensmittelversorgung abgeschnitten sein werden.

Alle unabhängigen Beobachter sind sich darüber einig, dass die Regierung die Janjawid-Milizen nicht nur unterstützt, sondern im Rahmen einer gemeinsamen Kriegsstrategie mit ihnen zusammenarbeitet. Ihr Ziel ist es, die nicht arabischen Bevölkerungsgruppen aus Darfur zu vertreiben.

Anders als im Konflikt mit der südsudanesischen SPLA, der durch ein Abkommen über die Teilung der Macht vorübergehend beendet wurde, richtet sich die Gewalt in Darfur gegen Muslime. Darfur ist eine jener subsaharischen Regionen, in der islamische Religion und Kultur im Laufe der Jahrhunderte mit afrikanischen Lokalkulturen eine Symbiose eingingen. Die »Schwarzen Sultane«, wie die Herrscher von Darfur von Reisenden des 19. Jahrhunderts beschrieben wurden, regierten bis 1916 über ein Reich, in dem neben den namensgebenden Fur auch eine Reihe anderer islamisierter afrikanischer Bevölkerungsgruppen wie die Masalit, Zaghawa oder Bornu als Bauern und in kleinen urbanen Zentren lebten.

Nördlich von ihnen, in der unmittelbar an die Wüste grenzenden Trockensavanne, lebten arabisierte Nomadenstämme der Baggara, die de facto keiner staatlichen, sondern einer tribalen Macht unterstanden. In der Trockenzeit migrierten diese Nomaden mit ihren Herden nach Süden, was bereits im 19. Jahrhundert gelegentlich zu Konflikten führte, aber auch zu einem Austausch zwischen Nomaden und Bauern, deren Produkte einander ergänzen.

In der Kolonialzeit und nach der Unabhängigkeit des Sudans 1956 änderte sich zunächst wenig an diesem Verhältnis. Weder die britischen Kolonialherren noch die ersten Regierungen des unabhängigen Sudan zeigten ein sonderliches Interesse an der entlegenen Grenzregion. Darfur blieb wie andere periphere Regionen des Sudan von jeder wirtschaftlichen Entwicklung ausgeschlossen. Auch der Ausbau des Bildungssystems in den Randgebieten mit überwiegend nicht arabischer Bevölkerung blieb hinter den Entwicklungen im arabisch dominierten Zentralsudan zurück.

Dieses langsame Auseinanderdriften zwischen Zentrum und Peripherie, verursacht durch die ungleiche Verteilung der Ressourcen, verstärkte sich seit dem islamistischen Militärputsch vom Juni 1989, bei dem der bis heute regierende General Omar al-Bashir die Macht an sich riss. Die von der Muslimbruderschaft dominierte Regierung versuchte, den Sudan nicht nur zu einem islamischen, sondern auch zu einem arabischen Staat zu machen. Der Krieg gegen den Südsudan wurde eskaliert, das Regime marginalisierte aber auch nicht arabische muslimische Bevölkerungsgruppen.

Die Folgen dieser politischen Entscheidungen wurden durch wachsende ökologische Probleme verschärft. Gerade die Menschen in extrem sensiblen Regionen wie der Sahel-Zone leiden als erste unter weltweiten Klimaveränderungen. Immer mehr Wasserstellen trocknen wegen der Ausbreitung der Wüste nach Süden aus. So kam es bereits Mitte der neunziger Jahre zwischen afrikanischen Bauern und arabischen Nomaden zum Kampf ums Wasser. Die Bauern waren meist unterlegen, denn die Nomaden wurden teilweise bereits in der zweiten Hälfte der achziger Jahre von der demokratisch gewählten Regierung Sadiq al-Mahdis mit modernen Waffen ausgestattet.

Diese Politik der Aufrüstung der arabischen Nomaden wurde vom islamistischen Militärregime in den neunziger Jahren fortgesetzt und um den Aufbau organisierter Milizen ergänzt. Diese Milizen, die Janjawid, kämpfen seit Beginn der bewaffneten Rebellion der Darfur Liberation Front (DLF) im Februar 2003 mit direkter logistischer und militärischer Unterstützung der Regierungsarmee gegen die afrikanischen Bevölkerungsgruppen Darfurs. Nachdem Anfang 2004 neben der mittlerweile in Sudan Liberation Movement/Army (SLM/A) umbenannten DLF mit der JEM (Justice and Equality Movement) eine weitere Guerillabewegung auf den Plan trat, weitete sich der Krieg in Darfur zu einer systematischen »ethnischen Säuberung« aus.

Die sudanesische Regierung bestreitet diese von Menschenrechtsorganisationen ausführlich dokumentierte Vertreibungspolitik, und sie kann dabei auf Verbündete vor allem unter den arabischen und islamischen Staaten zählen. Aber auch große Teile der deutschen Linken scheinen die Folgen dieses Krieges ignorieren zu wollen, der sich schwerlich für die Bekämpfung Israels und der USA instrumentalisieren lässt. Wolfgang Gehrcke, außenpolitischer Sprecher der PDS, wünscht sich »mehr Diplomatie« und einen Verzicht auf »Drohungen« gegen die Regierung des Sudan. Besorgter noch um das Wohlergehen der islamistischen Generäle, beklagt Jürgen Elsässer in der jungen Welt, dass »mit unüberprüfbaren Meldungen die Interventionshysterie geschürt« werde und »Berlin so einseitig gegen die Regierung in Khartum Partei ergriffen hat«.

Eine Sichtweise, die die humanitäre Krise als Verschwörung böswilliger Imperialisten wertet, wird dem Konflikt jedoch ebenso wenig gerecht wie eine Wahrnehmung, die in »den Arabern« oder »dem Islam« das Problem sieht. »Die Araber« gibt es auch im Sudan nicht als politisch einheitliches Subjekt. Vielmehr finden die islamistischen Generäle auch unter der arabischen Bevölkerung des Landes keine ausreichende Unterstützung. Sie müssen, wie bei der Durchsetzung der Sharia, auf den Repressionsapparat ihres Militärregimes zurückgreifen. Und sie benutzen eine islamische Rhetorik, um den »Jihad« in Darfur zu rechtfertigen, wo Muslime von anderen Muslimen ermordet und vertrieben werden.