Nur die Lizenz zum Trainieren

Neben seinem Job bei Ford in Köln trainiert Csaba László mit Lothar Matthäus die ungarische Nationalmannschaft. Und will dem ungarischen Fußball aus der Krise helfen. von philipp köster

Der Arbeitstag von Csaba László beginnt zumeist um acht Uhr morgens. Dann greift er in seinem Büro in Köln-Niehl zum Telefon und wählt die Nummer eines Autohändlers. László ist in der Deutschland-Zentrale des Autoherstellers Ford für Geländewagen und Pickups zuständig, er hält den Kontakt zu den Händlern. Und wenn man ihn so sieht, wie er verhandelt, bespricht und telefoniert, käme man nicht auf den Gedanken, dass er seit einem halben Jahr ein zweites, ganz anderes Leben führt. Denn László ist seit Januar 2004 Trainer der ungarischen Nationalelf, der Mann hinter Lothar Matthäus, wenn man so will, der Michael Skibbe oder Joachim Löw Ungarns.

Wie es dazu kam, ist eine merkwürdige Geschichte, und sie beginnt mit einem Anruf bei Csaba László im Januar 2004. Am anderen Ende ist ein hoher Offizieller des ungarischen Fußballverbandes. Die beiden plaudern ein wenig, dann kommt der Funktionär zur Sache. Man habe soeben den Vertrag mit Lothar Matthäus als neuem Teamchef der ungarischen Nationalelf unterzeichnet, nun brauche man noch einen Coach, der deutschen Sprache mächtig, mit Erfahrung in der Trainingsarbeit und vor allem mit einer Trainerlizenz. Ob sich der Mann in Köln den Job vorstellen könne? Da muss Csaba László doch einmal tief schlucken, denn das ist keine einfache Frage. Schließlich arbeitet er seit 1987 bei Ford, er liebt seinen Job, und er hat zwei Töchter zu versorgen. Andererseits ist das eine Chance, wie sie nur selten, vielleicht nur einmal im Leben kommt.

Und Csaba Lászlós Leben hat immer mit Fußball zu tun gehabt. Er ist im rumänischen Odorhei geboren, er gehörte dort zur ungarischen Minderheit, was nicht ganz einfach war im Staate des Despoten Ceaucescu. Er war ein talentierter Fußballer, er spielte bis Mitte der achtziger Jahre in der zweiten rumänischen Liga und erwarb sich Achtung als Dauerläufer im Mittelfeld. »Ich war eine Pferdelunge«, sagt er. Doch dann hielt er es nicht mehr aus in Rumänien, floh voller Hoffnung nach Deutschland und landete schnell auf dem Boden der Tatsachen. Denn die Profivereine wollten nichts mehr von ihm wissen. Zwar trainierte er zur Probe bei Bayer Uerdingen und Fortuna Köln mit, doch vor allem die Verletzungsanfälligkeit des Ungarn schreckte die Clubs ab. Denn sein Knie wackelte; Kreuzbandrisse, Operationen; irgendwann war das Knie völlig kaputt und László beendete seine Karriere. Da war er gerade mal 23 Jahre alt.

Doch der Fußball ließ ihn nicht los. An der Kölner Sporthochschule machte er den Trainerschein und trainierte nebenbei Jugendmannschaften, bis er bei Borussia Mönchengladbach als Scout für die B-Junioren unterkam. Keine Vita, die für den Job eines Nationaltrainers zu qualifizieren schien. Und dennoch klingelte im Januar sein Telefon.

Es musste dann alles sehr schnell gehen. Er besprach sich mit seinen Vorgesetzten, die ihm zusicherten, unbezahlten Urlaub zu gewähren. László atmete auf, denn seinen Job wollte er auf keinen Fall aufgeben. Dann flog er nach Budapest, wo er zum ersten Mal den neuen Nationaltrainer Lothar Matthäus traf.

Seit diesem Treffen mit Matthäus ist er viel unterwegs. Denn die ungarischen Nationalspieler sind auf dem Kontinent verstreut, sie spielen in Deutschland, Belgien, Irland und anderswo. Nicht unbedingt ein Indiz für die herausragende Qualität ungarischer Spieler, sondern eher für die tiefe Krise des magyarischen Fußballs. Seit vielen Jahren hat sich die ungarische Nationalelf nicht mehr für ein großes Turnier qualifiziert, und in den Vereinswettbewerben sind die großen Clubs des Landes bloße Zählkandidaten.

In den nationalen Ligen herrscht abseits der großen Budapester Derbys allgemeine Tristesse. Wer als Spieler gutes Geld verdienen will, geht deshalb ins Ausland, ein Teil des postsozialistischen Teufelskreises aus maroden Stadien, fehlenden Zuschauern und wenig Geld.

Die strukturelle Krise springt Matthäus und László bei jedem Stadionbesuch ins Auge. Sie glauben deshalb an die Politik der kleinen Schritte: Dass die ungarischen Spieler wieder gerne zur Nationalelf fahren, dass sie die Spiele nicht als lästige Pflichtübung betrachten, das ist ihr erstes Ziel. Das gelang ihnen im Frühjahr beim Länderspiel gegen Brasilien. Da konnten die Zuschauer in Budapest eine hoch motivierte Mannschaft sehen, die tapfer dagegen hielt. Die klare 1:4-Niederlage fiel da nicht so sehr ins Gewicht.

Doch der Weg ist beschwerlich. Einige Wochen später, vor dem Freundschaftsspiel in Kaiserslautern, kassierte Matthäus gleich 22 Absagen. Nach der langen Saison war nahezu der gesamte Kader verletzt oder ein bisschen verletzt oder auch überhaupt nicht verletzt, hatte aber ein Attest. Eine B-Mannschaft ohne Erfahrung musste also auflaufen, sehr zum Missfallen von Matthäus, der den Reportern in die Blöcke diktierte: »In Ungarn muss die Kooperation zwischen Vereinen und Verband verbessert werden. Das vermisse ich seit meinem Amtsantritt.« Und sehr häufig, auch das müssen Matthäus und László bald erfahren, steckt der Teufel im Detail. So soll es nicht mehr vorkommen, dass die Trainer wie beim Spiel gegen Brasilien in der Halbzeitpause warten müssen, weil manche Spieler noch den Fernsehsendern Interviews geben.

Und doch besteht Hoffnung. Denn in Kaiserslautern spielten die Jungen auf, noch technisch unfertig, aber mit viel Enthusiasmus, und schlugen Deutschland am Ende mit 2:0. Was ein bissschen Hoffnung macht, dass die Qualifikation zur WM 2006 trotz der Gegner Kroatien und Belgien gelingen kann.

Matthäus und László feilen an dieser Elf, ihr Kontakt ist eng, taktisch liegen sie auf einer Wellenlänge. Und die Bewunderung ist hörbar, wenn Csaba über Lothar spricht: »Er war schon als Spieler eine lebende Legende. Und mit seiner Erfahrung ist er genau der Mann, der den ungarischen Fußball wieder konkurrenzfähig machen kann.« Hinter den dürren Worten steckt das Schicksal des ungarischen Fußballs, der noch immer erdrückt wird von der übermächtigen Erinnerung an die goldene Mannschaft der fünfziger Jahre und an ihr tragisches Scheitern. Die Großvätergeneration um Ferenc Puskas ist auch 50 Jahre danach noch präsent. Vor allem weil es keine Kontinuität gab, keine neue Generation an Nationalspielern, die die Ikonen der Nachkriegszeit hätten ablösen können.Und so fehlt der aktuellen Spielergeneration das Bewusstsein für die Tradition der grün-weiß-roten Nationalelf.

Für Csaba László war das erste Halbjahr 2004 eine aufregende Erfahrung. Oft verlässt er am Donnerstag gegen Mittag sein Büro in Köln und macht sich auf die Reise. Dann trifft er Pal Dardai in Berlin und Krisztian Lisztes in Bremen. László hat viel gelernt, über den europäischen Profifußball und seine Gesetze, vor allem aber über das schwierige Hin und Her der Spieler zwischen Vereinen, dem Verband und den eigenen Interessen.