Uneinige Retter

Manche Mitglieder des UN-Sicherheitsrats drohen mit Sanktionen, andere suchen den Dialog mit dem Regime. Welche Strategie befürwortet wird, hängt vor allem von wirtschaftspolitischen Interessen ab. von alex veit
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Aufgeregte Äußerungen über Bürgerkriege und humanitäre Katastrophen in Afrika gehören seit einigen Jahren zum festen Sommerprogramm westlicher Regierungen, Hilfsorganisationen und Medien. Es wird abgewogen, ob ein Genozid droht, ob eine militärische Intervention stattfinden sollte und wie der Not leidenden Bevölkerung geholfen werden könnte. Vergangenes Jahr traf es Liberia und die Provinz Ituri in der Demokratischen Republik Kongo. Nach Liberia schickten schließlich afrikanische Staaten eine von der UN finanzierte Interventionsarmee, und die Europäische Union ließ drei Monate lang Ituris Hauptstadt Bunia von französischen Soldaten kontrollieren. Inzwischen werden diese Länder wieder sich selbst überlassen, obgleich die Not keineswegs vorüber ist und vor allem ein Wiederaufbau an den Strukturen der Weltwirtschaft scheitern wird.

In diesem Sommerloch ist es die Region Darfur im Sudan. Der Konflikt dort reicht bereits zurück in die achtziger Jahre, als eine Hungerkatastrophe Hunderttausende Opfer forderte und sich die Verteilungskämpfe um das Land verschärften. Keine westliche Regierung interessierte sich dafür. Als sich Anfang des vergangenen Jahres die Guerilla SLA formierte, um gegen das repressive Regime in Khartum vorzugehen, zollte dem wiederum kaum jemand Aufmerksamkeit, obwohl sehr bald erste Kriegsflüchtlinge im benachbarten Tschad ankamen.

Es brauchte geschätzte 50 000 zivile Kriegsopfer und mehr als eine Million Flüchtlinge, bis der UN-Sicherheitsrat am vergangenen Freitag schließlich eine Resolution verabschiedete, in der die sudanesische Regierung aufgefordert wurde, ihre Bevölkerung nicht länger zu verfolgen. Stattdessen solle Khartum einen bereits vereinbarten Waffenstillstand mit der SLA einhalten und die regierungstreuen Janjawid-Milizen binnen eines Monats entwaffnen. Sollte dies nicht geschehen, drohen nicht näher definierte »Maßnahmen«, die im äußersten Fall wirtschaftliche Sanktionen beinhalten könnten. »Die Grundlage für Sanktionen zu schaffen, war das Letzte was wir wollten«, bedauerte John Danforth, US-Botschafter bei den Vereinten Nationen. »Aber die Regierung des Sudan hat uns keine Wahl gelassen.« Die USA engagieren sich bereits seit Jahren gegen die sudanesische Regierung und hatten ursprünglich einen sehr viel schärferen Entwurf in den Sicherheitsrat eingebracht, in dem offen von Sanktionen die Rede war.

Washington führt den Sudan auf der Liste der »den Terrorismus finanzierenden Staaten«, denn das früher explizit islamistische Regime beherbergte einige Zeit Ussama bin Laden. 1998 bombardierte die Regierung von Bill Clinton eine Fabrik, um für Terroranschläge auf US-Botschaften in Ostafrika Vergeltung zu üben, und belegte das Land mit Wirtschaftssanktionen. Außerdem unterstützen die USA seit Jahren die südsudanesische Rebellenbewegung SPLA, die für die Unabhängigkeit der nicht muslimischen Landesteile kämpft.

Außenminister Colin Powell machte ein Friedensabkommen zwischen dem Regime im Khartum und der SPLA, das im Mai in einer vorläufigen Fassung unterzeichnet worden ist, zu einem Schwerpunkt seiner Arbeit. Dabei konnte er sowohl auf die Unterstützung der christlichen Rechten zählen, die den Kampf der vorwiegend christlichen SPLA gegen die »Islamisierung« des Landes befürwortet, als auch auf den Beifall afroamerikanischer Bürgerrechtler hoffen, die den Rassismus des Regimes gegen die nicht arabischsprachige Bevölkerung kritisieren.

Dementsprechend einig war sich auch der US-Kongress, der im Juli in einer einstimmig verabschiedeten Resolution den »Genozid« in Darfur verurteilte. Der demokratische Präsidentschaftskandidat John Kerry schloss sich dieser Wortwahl an. »Diese von der Regierung unterstützten Verbrechen sollten bei ihrem tatsächlichen Namen genannt werden: Genozid. Das ist die Lehre aus Ruanda«, erklärte er vor Bürgerrechtlern.

Auch andere westliche Regierungen zeigten gesteigertes Interesse an den Ereignissen im Sudan. Sowohl der deutsche Außenminister Joseph Fischer als auch sein französischer Kollege Michel Barnier waren in den letzten Wochen im Sudan, um Einfluss auf die Regierung in Khartum zu nehmen. Entgegen früheren Gewohnheiten in der deutschen Afrikapolitik setzte sich Fischer aber deutlich von der französischen Position ab und schloss sich der scharfen Kritik der USA am Sudan an. Bereits seit einiger Zeit engagiert sich die Bundesregierung verstärkt in Ostafrika, das von Fischer als Zielgebiet des so genannten Kampfs gegen den Terror identifiziert worden ist.

Barnier hingegen versicherte bei einem Besuch in Nord-Darfur in der vergangenen Woche dem dortigen sudanesischen Regierungsvertreter der »Solidarität« Frankreichs. Für die Krise gebe es keine Lösung »ohne den Sudan, noch weniger gegen den Sudan, sondern mit dem Sudan«, so Barnier. »Es gilt, den Weg des Dialogs und gegenseitigen Respekts wieder zu finden.« Frankreich ist der wichtigste westliche Wirtschaftspartner des Landes. Der französische Konzern TotalFinaElf hält die größte Konzession zur Ausbeutung bislang unberührter Ölvorkommen in den bisherigen Kriegsgebieten im Süden, während der Konzern Alstom am Bau des größten Stromkraftwerks des Landes beteiligt ist.

Gleichzeitig mit der Verabschiedung der Resolution des UN-Sicherheitsrats am Freitag versetzte Frankreich seine im Tschad stationierten Luftwaffeneinheiten in Bereitschaft. 200 Soldaten sollen die Grenze zum Sudan kontrollieren und die Verteilung von Hilfsgütern sichern. Offenbar möchte Paris an seine Schlüsselposition in der Region erinnern, nachdem die britische und die US-amerikanische Regierung mehrmals öffentlich über einen Truppeneinsatz in Darfur nachgedacht haben.

Eine solche Intervention wäre allerdings nicht gegen die Vetomächte China und Russland durchzusetzen. Beide Länder unterhalten enge wirtschaftliche Beziehungen mit Khartum und erzwangen bereits die Abschwächung der UN-Resolution. Russland lieferte noch in den letzten Wochen zwölf Mig-Kampfflugzeuge an das Regime in Khartum, dass seit Monaten Dörfer in Darfur bombardieren läßt.

Der chinesische staatliche Ölkonzern CNPC ist einer von drei ausländischen Firmen, die an der Ausbeutung sudanesischer Ölvorkommen im Süden des Landes beteiligt sind. Zudem bauen chinesische Firmen eine Raffiniere und sind maßgeblich an dem erwähnten Stromkraftwerk beteiligt. Der chinesische Botschafter bei den Vereinten Nationen, Wang Guangya, begründete die Enthaltung seiner Regierung bei der Verabschiedung der Resolution damit, dass eine Zwangsmaßnahme »nicht hilfreich bei der Lösung der Situation in Darfur ist und die Situation weiter komplizieren könnte«.

Auch andere nicht westliche Regierungen stimmten der Resolution nur sehr widerstrebend zu. Möglicherweise sind sie misstrauisch geworden gegen den jährlichen Sommereinsatz der westlichen Staaten für die Menschenrechte in Afrika. Vielleicht auch, weil von den von der UN geforderten 350 Millionen Dollar Nothilfe für Darfur bislang nur die Hälfte zugesagt worden ist. UN-Generalsekretär Kofi Annan plant, wegen dieser Sparsamkeit Briefe an Japan, Deutschland, Frankreich, Spanien, Italien und Belgien zu schreiben, in denen er diese Länder zu größerem finanziellen Engagement auffordern wird.