Maulwürfe und Vorwürfe

Die als spektakulärer Erfolg gefeierte Aushebung einer al-Qaida-Zelle belegt die Existenz einer funktionsfähigen terroristischen Infrastruktur in Pakistan. von jörn schulz

Muhammad Suhail besuchte die Moschee nicht nur zur Freitagspredigt, und bald wurde der fromme Jugendliche von islamistischen Kadern in Karachi angesprochen: »Sie sagten, ich solle gehen und den Jihad führen.« Suhail trainierte in Mansehra nördlich der Hauptstadt Islamabad den Umgang mit Waffen und Sprengstoff. Drei Monate später hielt Fazlur Rahman Khalil, der Führer der Jamiat al-Ansar, in Islamabad eine Rede vor ihm und anderen Rekruten. Er schickte sie nach Afghanistan, Suhails Gruppe schloss sich dort einem Kampfverband der Taliban an.

Im April wurde Suhail gefangen genommen, in der vergangenen Woche präsentierte die afghanische Regierung seine Aussagen der Öffentlichkeit. Die Beichte des 17jährigen Jihadisten kommt ungelegen für die pakistanische Regierung, die unentwegt beteuert, derartige islamistische Aktivitäten seit zweieinhalb Jahren konsequent zu unterbinden. »Es gibt keine terroristischen Trainingslager in irgendeinem Teil Pakistans«, behauptete Masood Khan, der Sprecher des Außenministeriums.

Suhail aber gibt an, in den vergangenen acht Monaten ausgebildet worden zu sein, und er beschreibt ein gut organisiertes Netzwerk, das auch die wichtigsten Städte des Landes umfasst. Die Jamiat al-Ansar ist die Nachfolgeorganisation der Harakat al-Mujahedin, die Anfang 2002 verboten wurde. Wenn ihr Führer in der Hauptstadt seine Kämpfer einschwören kann, spricht das nicht für eine konsequente Durchsetzung des Verbots.

Die afghanische Regierung hat die Gefangennahme pakistanischer Islamisten bislang diskret behandelt, hält es nun aber offenbar für erforderlich, Pakistan durch die öffentliche Präsentation kompromittierender Aussagen unter Druck zu setzen. Das Timing der Enthüllungen war jedoch ungünstig für Kabul, denn in der vergangenen Woche konnte sich Pakistans Präsident Pervez Musharraf nach der spektakulären Zerschlagung einer al-Qaida-Zelle, die Anschläge in den USA vorbereitet haben soll, als zuverlässiger Partner im »Krieg gegen den Terror« präsentieren.

Die Schlüsselfigur der Gruppe soll der Computerexperte Mohammad Naeem Noor Khan gewesen sein. Ihm wird eine zentrale Rolle in der Kommunikation des al-Qaida-Netzwerks zugeschrieben, seiner Festnahme folgten zahlreiche weitere Verhaftungen, vor allem in Großbritannien. Ungewöhnlich offen berichtete die US-Regierung in diesem Fall über Identität, Funktion und Pläne der Verhafteten. Dies offenbare »Inkompetenz oder Schlimmeres«, urteilt Tim Ripley, Experte von Jane’s Defense, einem renommierten Verlag für Militärpublikationen. Denn Mohammad Khan war Recherchen der Nachrichtenagentur Reuters zufolge ein »Maulwurf«, der nach seiner Verhaftung Mitte Juli zustimmte, als Agent zu arbeiten.

Die Verhaftungen in Großbritannien wurden unter Missachtung der üblichen Sicherheitsvorkehrungen mit großer Eile durchgeführt, und von der britischen Regierung war ausnahmsweise einmal Kritik an der US-Politik zu vernehmen. Die öffentliche Benennung von Anschlagszielen sei »von zweifelhaftem Wert«, sagte der britische Innenminister David Blunkett. Es sei nicht die Aufgabe von Ministern, »die Medien zu füttern«.

Möglicherweise hat die US-Regierung durch die Enthüllung der Identität Khans die Ermittlungen behindert, um im Wahlkampf Punkte zu sammeln. Seit Beginn der »Frühjahrsoffensive« der pakistanischen Armee in Waziristan, wo die al-Qaida-Führungsspitze vermutet wird, wurde immer wieder gemutmaßt, der Kampf gegen al-Qaida folge dem Zeitplan des US-Wahlkampfs. Die Realität des »Kriegs gegen den Terror« spricht jedoch gegen solche Spekulationen, selbst wenn sie die Wünsche der US-Regierung möglicherweise korrekt wiedergeben. Nur die Aussicht, selbst auf der Liste der Kriegsziele platziert zu werden, brachte Pakistan dazu, nach dem 11. September 2001 die Unterstützung für das Taliban-Regime zu beenden und sich dem Feldzug der USA anzuschließen. Nicht nur die Islamisten, sondern auch viele Nationalisten kritisierten diesen »Verrat«.

Jede Maßnahme gegen militante Islamisten ist für Präsident Pervez Musharraf ein Risiko, und der Militärherrscher kann sich bei ihrer Durchsetzung nicht auf die Loyalität eines Staatsaparats verlassen, in dem islamistische Kader weiterhin wichtige Positionen einnehmen. Immer wieder werden in Pakistan hohe Offiziere und Politiker zum Ziel von Selbstmordanschlägen; Musharraf selbst entkam zwei Attentaten nur knapp. Mehrere dieser Anschläge setzten Insiderwissen aus dem Militär- und Geheimdienstapparat voraus.

Auch das für die pakistanische Armee blamable Ergebnis der Offensive in Waziristan, die mehr als 100 Soldaten das Leben kostete, aber zu keinen bedeutenden Verhaftungen führte, ist nach Angaben des Internet-Magazins Asia Times Online darauf zurückzuführen, dass Offiziere und Geheimdienstler Informationen an die Jihadisten weitergaben. Es soll auch zu Kampfverweigerungen und Desertationen gekommen sein. Eine effektive Zerschlagung der Infrastruktur des militanten Islamismus ist unter diesen Bedingungen unmöglich. Davon hat auch die nun ausgehobene al-Qaida-Zelle profitiert.

Musharraf gehört zum säkularen Flügel der pakistanischen Oligarchie, der sich jahrzehntelang der Islamisten bedient hat, um den übermächtigen Nachbarn Indien durch einen Guerillakrieg in Kaschmir zu schwächen und die Hegemonie über Afghanistan zu gewinnen. Die aus diesem Bündnis hervorgegangenen Strukturen aufzulösen, würde den Zusammenhalt des Staates gefährden. Die Islamisten haben eine starke Stellung in dem Konglomerat oligarchischer Interessengruppen, über dem Musharraf präsidiert. Sie frontal zu attackieren, kann er sich derzeit weniger leisten denn je, da auch andere Fraktionen der Oligarchie sich von ihm distanzieren.

Pir Pigara, der als »Königsmacher« der pakistanischen Politik gilt, hat dem Präsidenten seine Unterstützung entzogen. Pigara ist einer der wichtigsten Vertreter der Großgrundbesitzer, die das Offizierskorps dominieren. In Baluchistan kam es zu Gefechten zwischen Separatisten und der Armee, die nun in zwei Landesteilen gegen Kämpfer aus den Reihen der pakistanischen Bevölkerung eingesetzt wird.

Auch der relativ kritische Bericht der US-Untersuchungskommission zum 11. September (Jungle World, 32/04) empfiehlt, Musharraf ungeachtet der mangelnden Fortschritte bei der Demokratisierung zu unterstützen, da dies die »beste Hoffnung auf Stabilität« sei. Für die pakistanische Bevölkerung, die vergeblich auf den versprochenen Aufschwung infolge großzügiger US-Wirtschaftshilfe wartet, gibt es jedoch wenig Anlass, einen »Krieg gegen den Terror« zu unterstützen, der das Land an den Rand eines Bürgerkrieges gebracht hat.