Null Bock auf Schweden

Weil es keine Übergangsregeln für Migranten aus den neuen EU-Staaten gibt, schürte man in Schweden die Angst vor so genannten Sozialtouristen. Jetzt zeigt sich, dass keiner kommt. von bernd parusel, stockholm

Auch der Ministerpräsident eines Landes, das im Weltentwicklungsbericht der Vereinten Nationen stolz den zweiten Platz belegt, hat es nicht immer leicht. Gerade wegen des vergleichsweise hohen Lebensstandards der Schweden wurde Göran Persson nervös, als im Frühjahr die EU-Erweiterung näher rückte.

Was könnte für die vielen armen Schlucker im Osten schöner sein, als dank des Prinzips des freien Personenverkehrs innerhalb der EU ins wohlhabende Schweden auszuwandern und dort auf Kosten der Allgemeinheit zu leben? Solche Fragen muss sich der schwedische Ministerpräsident gestellt haben, denn Anfang des Jahres erklärte er, die für die Bürger der alten EU selbstverständliche Niederlassungsfreiheit könne zu »sozialem Tourismus« führen. Wenn Schweden nicht nach dem Beispiel Deutschlands oder Österreichs »Übergangsregeln« gegen den freien Personenverkehr in Kraft setze, drohe eine Welle von Einwanderern aus Polen, Tschechien und den anderen neuen EU-Ländern auf Schweden zuzurollen. Schließlich müssten Arbeitsmigranten nach geltenden Sozialgesetzen nur einige Stunden in Schweden arbeiten, schon könnten sie Sozial- oder Arbeitslosenhilfe beantragen und fortan dem Staat auf der Tasche liegen.

Im Stockholmer Parlament setzte sich Persson Ende April jedoch nicht durch. Die Partner seiner sozialdemokratischen Minderheitsregierung, die Linkspartei und die Grünen, teilten seine Sorgen nicht, warfen ihm Ausländerfeindlichkeit vor und weigerten sich, Regeln zuzustimmen, mit denen die Freiheit der neuen EU-Bürger begrenzt würde. Als nahezu einziges Land der alten EU bekam Schweden damit keine Sondergesetze gegen möglichen Zuzug aus dem Südosten.

Seit einigen Tagen liegen nun erste Daten über die von der Regierung befürchteten Migrationsbewegungen vor. Sie weisen vor allem darauf hin, dass die sozialdemokratische Angst vor dem so genannten Sozialtourismus völlig übertrieben war. »Bis jetzt sind keine Sozialtouristen eingewandert«, schrieb die Zeitung Svenska Dagbladet. Sie stützt sich dabei auf eine Statistik der »Inspektion für Arbeitslosenversicherung« (IAF). In bestimmten Fällen ist es in Schweden tatsächlich möglich, Arbeitslosenunterstützung zu bekommen, wenn man nur einen Tag im Land, zuvor aber im europäischen Ausland gearbeitet hat. Im zweiten Quartal 2004 hat die IAF jedoch nur 152 solcher Anträge gezählt, und unter den Antragstellern befand sich keine einzige Person aus den neuen EU-Ländern. Die meisten waren aus dem Ausland zurückgekehrte schwedische Staatsbürger, machten Arbeitsverhältnisse in Norwegen, Dänemark oder Großbritannien geltend, hatten während ihres Auslandsaufenthalts einen schwedischen Wohnsitz und zahlten sogar in eine Arbeitslosenversicherung ein.

Die stellvertretende IAF-Vorsitzende Marita Lemonaho sagte, es sei zwar noch zu früh, endgültige Schlüsse aus ihrer Statistik zu ziehen. Jedoch gehe daraus hervor, dass »die Menschen nicht Schlange stehen, um die schwedische Arbeitslosenversicherung auszunutzen«. Auch die Migrationsbehörde hat seit der EU-Erweiterung keinen nennenswerten Anstieg der Zuwanderung festgestellt. Allein die Zahl polnischer Staatsbürger, die in Schweden einen »Antrag auf Aufenthaltserlaubnis zu Arbeitszwecken« gestellt haben, ist zwischen Mai und Juli gestiegen, von 620 auf 1 180. Dahinter verbergen sich jedoch keine »Sozialtouristen«, sondern zu einem Großteil Menschen, die gezielt angeworben wurden, etwa Ärzte und Pflegekräfte, die für die Arbeit in schwedischen Krankenhäusern gebraucht werden. Daneben bemühte sich auch eine Reihe von Zeitarbeitsfirmen, Handwerker aus dem Baltikum und Polen in den Norden zu locken. Sie werden dann zu Billiglöhnen an schwedische Kunden »ausgeliehen« und müssen einen Teil ihrer Einkommen an die Vermittlungsfirmen abführen.