Die Mauer bleibt

100. Jahrestag des Genozids an den Herero von alex veit
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Vielleicht hilft ja eine Erinerung an die christliche Pflicht zur Vergebung, die Forderung nach Reparationen loszuwerden? Mit einer religiös-verschwurbelten Entschuldigung versuchte Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul am Samstag bei der Feier zum Gedenken an die Opfer des Genozids vor 100 Jahren in Namibia Absolution zu erlangen: »Ich bitte Sie im Sinne des gemeinsamen ›Vater unser‹ um Vergebung unserer Schuld.« Als Völkermord wollte Wieczorek-Zeul die Ermordung von mindestens 60 000 Herero und 10 000 Nama allerdings nur mit legalistischen Einschränkungen bezeichnen.

Immerhin war dies das deutlichste Bekenntnis eines deutschen Regierungsmitglieds zur Verantwortung für den Genozid. Jahrelang wurde herumgedruckst, um ja keine »entschädigungsrelevanten Äußerungen« zu machen, die bei Reparationsklagen einer Herero-Gruppe gegen Deutschland verwendbar gewesen wären. Nun ist die Bitte um Entschuldigung endlich heraus, und die Bundesregierung hofft, um finanzielle Entschädigungen herumzukommen.

Denn die deutsche Regierung sieht sich »gegenüber allen Bürgern und Bürgerinnen Namibias verantwortlich«. Deshalb solle »es natürlich keine Zahlungen an besondere Gruppen geben«, wie Wieczorek-Zeul es formulierte. Diesem Konzept stimmt auch die namibische Regierungspartei South-West Africa People’s Organisation (Swapo) zu.

Doch die Argumentation von der großzügigen »Entwicklungshilfe« – elf Millionen Euro pro Jahr, umgerechnet auf die Einwohnerzahl Namibias die höchsten deutschen Transferleistungen in ein afrikanisches Land – klingt für die meisten Herero nicht überzeugend. Denn von dem Geld aus Deutschland kommt bei ihnen nur wenig an, da in den Herero-Gebieten die Regierungspartei kaum gewählt wird. Kuaima Riruako, der Sprecher der klageführenden Gruppe, will im November gar als Präsidentschaftskandidat der oppositionellen National Unity Democratic Organisation antreten.

Entwicklungshilfe als Ersatz für eine Entschädigung anzupreisen, ist unter diesen Umständen eine hohle Argumentation. Denn so bleibt die in die in der deutschen Kolonialzeit geschaffenen ökonomischen Diskriminierung der Nachkommen der verfolgten Herero bestehen. Nach dem Genozid wurde den Herero der Besitz von Land verboten. Deutsche Siedler nahmen dieses Land in Besitz, und ihre Nachkommen bewirtschaften es noch heute.

Eine Landreform wird in Namibia bereits seit der Unabhängigkeit 1990 geplant. Bislang war es weißen Farmern freigestellt, ihr Land dafür an den Staat zu verkaufen. Doch nur wenige willigten ein. Seit Mai wurden nunmehr 25 meist deutschstämmigen Farmern Enteignungsverfügungen zugestellt.

Schon macht der Spiegel unter Überschriften wie »Hasskampagne gegen weiße Farmer« Stimmung für die Großgrundbesitzer. Aus dem Auswärtigen Amt verlautete, man betrachte die Entwicklung mit »wachsender Besorgnis«, während die CDU/CSU-Bundestagsfraktion fordert, dass die Landreform »marktkonform« ablaufen müsse. Eine konkrete Verpflichtung zur Hilfe bei der Landreform, von der in der ursprünglichen Fassung eines Bundestagsantrags vom Juni zu lesen war, wurde von Wieczorek-Zeuls Ministerium hingegen gestrichen.

»Die Mauern der Vergangenheit einzureißen«, wie es sich Wieczorek-Zeul wünscht, wird nicht gelingen, solange die Zäune um die Großfarmen in der Gegenwart stehen bleiben. Offenbar hat die rot-grüne Regierung nicht die Absicht, sich durch eine finanzielle Unterstützung der Landreform zu entschuldigen.