Nicht ohne die Generäle

Mit einem Militäreinsatz im Tschad will Frankreich die durch den Konflikt in Darfur bedrohte Stabilität sichern. Das sudanesische Militärregime soll dabei helfen. von bernhard schmid, paris

Mal sind es Nahrungsmittel, mal sind es vier Tonnen Seifenstücke, die auf Militärlastwagen transportiert werden. Die französische Tschad-Armee EFT (Eléments français du Tchad) ist seit dem 30. Juli damit beschäftigt, die Flüchtlinge aus der sudanesischen Westprovinz Darfur, die über die Grenze in das Nachbarland gekommen sind, zu versorgen. Etwa 180 000 Sudanesen sollen sich derzeit als Flüchtlinge im östlichen Tschad, zwischen der Provinzhauptstadt Abéché und der sudanesischen Grenze, aufhalten.

Die französische Armeeoperation an der Grenze dient jedoch nicht allein der unmittelbaren Katastrophenhilfe in Absprache mit dem UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR. Sie soll auch eine Destabilisierung des Tschad verhindern. Seit der Unabhängigkeit 1960 ist Frankreich in diesem Land politisch und militärisch präsent geblieben, französische Truppen waren auch an den Kämpfen mit Rebellengruppen und der libyschen Armee in den frühen achtziger Jahren beteiligt.

Die Folgen des Konflikts in Darfur könnten zu einer neuen Eskalation führen. In der östlichen Hälfte des Tschad leben dieselben Bevölkerungsgruppen wie im benachbarten Darfur, aber die Schwarzen sind in der Mehrheit und dominieren die Regierung in der Hauptstadt N’Djamena, während die Araber im Norden gegen die Zentralmacht rebellieren. Die Folgen ökologischer Kastrophen und des Vordringens der Wüste haben, ähnlich wie im Sudan, die Verteilungskämpfe zugespitzt.

Derzeit werden die grenznahen »arabischen« Gruppen von anderen Einwohnern für den Terror der Janjawid-Milizen im Nachbarland mit haftbar gemacht und sind teilweise Racheakten ausgesetzt. Einige der »Araber« sind geflohen, zum Teil auch in den Sudan, wo das dortige Regime ihnen im Lager von al-Jeneina Aufnahme gewährt und einige von ihnen rekrutiert und bewaffnet hat. Deswegen und wegen des Eindringens der Janjawid-Milizen auch auf tschadisches Territorium zeigt sich der Staatspräsident Idriss Déby besorgt. Seit einigen Wochen weilt er in der östlichen Provinzhauptstadt Abéché, um die Lage dort zu beruhigen. Nunmehr werfen tschadische Oppositions- und Rebellengruppen den Franzosen vor, Débys repressives Regime stabilisieren zu wollen.

Auch das islamistische Militärregime im Sudan kann auf das Wohlwollen Frankreichs rechnen. Die französische Regierung unterstützte im UN-Sicherheitsrat Ende Juli die Resolution, die die Regierenden in Khartoum auffordert, die Janjawid-Milizen zu entwaffnen und die Bevölkerung in Darfur vor ihrem Terror zu schützen. Der französische Außenminister Michel Barnier plädierte: »Die Lösung der Krise im Sudan kann nicht ohne den Sudan erfolgen, noch weniger gegen den Sudan, und sie muss mit dem Sudan erfolgen.« Ende August soll der UN-Generalsekretär Kofi Annan dem Sicherheitsrat erstmals über die »Fortschritte« in Darfur berichten, der französische Botschafter in Khartoum, Dominique Renaux, erklärte bereits am Montag voriger Woche, der Sudan habe »seinen guten Willen gezeigt«.

Auch Frankreich orientiert sich im Umgang mit der Flüchtlingskatastrophe und der Gewalt im Sudan an seinen strategischen Interessen in den afrikanischen und den arabischen Ländern. Doch während die Bundesregierung, die vor allem den weltpolitischen Einfluss Deutschlands erhöhen und seinen Anspruch auf einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat geltend machen will, die sudanesische Regierung scharf kritisiert hat, will Frankreich offenbar die Balance zwischen seinen afrikanischen und arabischen Verbündeten halten.

Seit dem Übergang von der klassischen Kolonial- und Kanonenbootpolitik zur neokolonialen Einflussnahme in den frühen sechziger Jahren verfolgt Frankreich eine neue Politik in Afrika und im arabischen Raum. Gegenüber den hegemonialen Ansprüchen der USA sollte Frankreich als »verständnisvoller Partner« der lokalen Regimes wahrgenommen werden. Nachdem Frankreich durch seinen Kolonialkrieg in Algerien zwischen 1954 und 1962 und die Weitergabe militärisch nutzbarer Atomtechnologie an Israel während der fünfziger Jahre bei den anderen Ländern der Region stark isoliert war, sollten nunmehr Türen geöffnet werden. Vor allem in den siebziger Jahren hatte das zur grotesken Entdeckung eines »arabischen Gaullismus« in Gestalt der im Irak regierenden Ba’ath-Partei geführt. Zwar hat sich Frankreich später von diesem wenig präsentablen »Partner« distanziert und 1991 am Krieg gegen den Irak teilgenommen. Dennoch ähneln sich die Grundlagen der damaligen und der heutigen Politik.

Für Frankreich stehen nicht allein die unmittelbaren ökonomischen Interessen im Sudan auf dem Spiel, wo der Ölkonzern TotalFinaElf an der Ausbeutung der jüngst entdeckten Ölfelder beteiligt ist und Renault ein Quasi-Monopol bei der Lieferung von Überlandbussen hat. Die Investitionen im Sudan halten sich bisher noch in überschaubaren Grenzen. Frankreich kann jedoch auch auf Ansätze einer politischen Zusammenarbeit zurückblicken. 1994 konnten sich beide Regierungen darauf einigen, dass der Sudan den Terroristen Illich Ramirez Sanchez, alias »Carlos«, auslieferte. Der damalige rechtspopulistische Innenminister Charles Pasqua belohnte das Entgegenkommen des Sudan mit Waffenlieferungen.

Frankreich kann kaum noch beanspruchen, eine Weltmacht zu sein, doch der französische Einfluss auf dem afrikanischen Kontinent ist weiterhin groß. Der französische UN-Botschafter kann darauf vertrauen, dass sich in der UN-Vollversammlung normalerweise etwa zwei Dutzend afrikanische Staaten an seinem Stimmverhalten orientieren. Entsprechend sollen »befreundete« Regimes sich ganz auf die französische Regierung verlassen können. Doch der Genozid in Ruanda 1994, der von Frankreich geduldet, wenn nicht sogar unterstützt wurde, hat zu einer Entlegitimierung dieser Politik geführt.

Im Falle der durch eine staatliche Ethnisierungspolitik ausgelösten Konflikte in der Côte d’Ivoire ist die Regierung Frankreichs erstmals vom Kurs einer bedingungslosen Unterstützung eines befreundeten Regimes abgerückt. Frankreich zwang den ivoirischen Präsidenten Laurent Gbagbo 2003, eine Teilung der Macht mit den Rebellen zu akzeptieren. Dagegen wurde im regierungstreuen Süden des Landes zeitweise ein chauvinistisch aufgeladener Proteststurm gegen Frankreich entfesselt; doch der Präsident musste die Bedingungen annehmen.

Dass Laurent Gbabgo ein langjähriger Freund der französischen Sozialdemokraten ist, dürfte den seit 2002 regierenden Rechten die Distanzierung erleichtert haben. Auch unterstützte der wirtschaftsnahe Flügel der französischen Konservativ-Liberalen den ivoirischen Präsidentschaftskandidaten und ehemaligen Weltbank-Funktionär Alassane Ouattara. Er war wegen der Ethnisierungspolitik und seiner Herkunft aus dem nördlichen Grenzgebiet von den Machthabern seit 2000 von den Wahlen ausgeschlossen worden.

Mit der bedingungslosen Unterstützung Frankreichs können die Machthaber in Khartoum nicht mehr rechnen. Die französische Regierung ist vor allem an der Stabilität der Region interessiert. Vor diesem Hintergrund wird man in Paris sicherlich bemüht sein, sich mit den islamistischen Generälen zu verständigen, solange dies ohne größere politische Schäden möglich ist.