Nur 250 Gramm

Nach dem islamistischen Terrorangriff vom 11. März in Madrid hat sich die Eta erstmals wieder zu Anschlägen bekannt. von gaston kirsche

Otegi und die Eta wollen diesen August in eine Orgie der Gewalt verwandeln«, fabulierte Carmelo Barrio am Donnerstag letzter Woche vor der Presse. Der Generalsekretär der konservativen spanischen Volkspartei PP im Baskenland fügte hinzu: »Die Verantwortlichen dieser Welle der Gewalt werden bald hinter Gittern sein.« Vermutlich meinte er damit den Vorsitzenden der seit März 2003 verbotenen linksnationalen baskischen Partei Batasuna, Arnaldo Otegi, dem er wie der Eta »nationalistischen Faschismus« vorwarf. Der Fraktionssprecher der regierenden sozialdemokratischen PSOE im spanischen Parlament, Diego López Garrido, erklärte am selben Tag, dass die Eta »absolut degeneriert« sei: »Dies ist Teil der unheilvollen gewalttätigen Geschichte der Eta, die nie etwas erreichen wird.«

Wenige Stunden, bevor zahlreiche Politiker sich so oder ähnlich äußerten, waren in den nordspanischen Städten Gijón und Santander zwei Bomben explodiert. Sie hatten eine geringe Sprengkraft und bestanden jeweils aus etwa 250 Gramm Amonal in einer Blechbüchse. Eine Stunde vor der Zündung warnten Anrufer im Namen der Eta bei den Tageszeitungen Gara und El Diario Montañés vor den Explosionen. So entstand nur geringer Sachschaden, obwohl die Bomben im Stadtzentrum abgelegt waren: in Gijón am Rand der Strandpromenade, in Santander am Sitz der Regionalregierung. Fünf Tage zuvor hatte die Eta nach ihrer üblichen telefonischen Vorwarnung in den kleineren Ferienorten Ribadesella und San Vicente de la Barquera bereits zwei ebenso kleine Bomben gezündet. Getroffen werden sollte das spanische Tourismusgeschäft, die wichtigste Einnahmequelle des Landes. In den vier nordspanischen Orten in Asturien und Kantabrien machen vor allem Spanier Urlaub, so dass die Eta im Land für viel Unruhe sorgte.

Alle vier Anschläge waren wegen der geringen Sprengkraft darauf angelegt, nur geringen Sachschaden anzurichten. Mit den Vorwarnungen an die Redaktionen der jeweiligen Lokalzeitungen und der linksnationalen baskischen Tageszeitung Gara wollte die Eta erreichen, das die Explosionsorte geräumt werden und keine unbeteiligten Menschen zu Schaden kommen. Dieses Konzept ist bei früheren Anschlägen häufig fehlgeschlagen, weil die Anrufe zu spät kamen oder die Sprengkraft über den geräumten Bereich hinausging. Die vier Anschläge jetzt waren die ersten der Eta nach den islamistischen Massakern vom 11. März in Madrid, bei denen 191 Menschen starben und über 2 000 verletzt wurden, die in Vorortzügen morgens auf dem Weg zur Arbeit waren.

»Eine gegen die zivile und arbeitende Bevölkerung gerichtete Barbarei« sei das gewesen, hatte die Eta einen Tag nach den Massakern vom 11. März erklärt und zugleich ihre Solidarität mit den Opfern bekundet. Noch nie zuvor hatte sich die Eta von Bombenanschlägen distanziert, die nicht von ihr verübt wurden. Der 11. März war auch für die Eta ein Einschnitt. Bereits seit September 2003 hatte sie keine Anschläge oder Attentate mehr durchgeführt. In Medien wurde viel spekuliert über die Schwäche der Eta, die angeblich nicht mehr zu Aktivitäten in der Lage sei, weil sie durch die zahllosen Verhaftungen und Observationen der letzten Jahre so geschwächt sei.

Der Innenminister der baskischen Regionalregierung, Javier Balza von der baskisch-nationalen PNV, entwickelte in einem langen Interview in Deia, der Tageszeitung seiner Partei, ein Szenario, wie die der Eta nahe stehende linksnationale baskische Partei Batasuna wieder legalisiert werden könne und ein Dialog mit der Eta möglich sei. Man könne mit der Eta reden wie mit der IRA, erklärte er: »In einer durch die Abwesenheit von Gewalt gekennzeichneten Situation könnte es Gespräche geben.« Er warnte gleichzeitig davor, dass die Eta wieder aktiv werden könnte: »Die Eta kann jeden Moment wieder anfangen zu morden, auch wenn sie das seit einem Jahr nicht getan hat.«

Die vier Bomben letzte Woche hatten rein symbolischen Charakter, um zu demonstrieren, dass die Eta handlungsfähig ist. Mit dem gleichen Aufwand hätte die Eta auch größere Bomben zünden können. Statt 20 oder 30 Kilo Sprengstoff nur ein Hundertstel zu verwenden, ist ein klares Signal, eine Reaktion auf die Massaker vom 11. März. Damals war Arnaldo Otegi, der letzte gewählte Vorsitzende der verbotenen Batasuna, kurz nach den Massakern sichtlich geschockt vor die Presse getreten und hatte erklärt, diese Anschläge seien »vermutlich dem arabischen Widerstandes« zuzuschreiben und zu verurteilen. Es bestünde kein Zweifel, dass dies nicht das Werk der Eta sein könne.

Nicht alle baskischen Linksnationalisten traten der von spanisch-nationalen Politikern und Journalisten verbreiteten Lüge, dass die Eta das Massaker verübt habe, so klar entgegen wie Otegi. Kein Wunder, denn die Eta hatte in den Jahren zuvor immer mehr zivile Opfer in Kauf genommen. Antonio Elorza, der in der angesehenen Zeitung El País viele staatstragende Kommentare gegen die Eta verfasst hat, behauptete nach dem 11. März: »Denn auch wenn es die Eta diesmal nicht gewesen ist, hat sie doch vorher alles getan, um ein ähnliches Attentat auf die Beine zu stellen.« Der frühere Sprecher von Batasuna, Floren Aoiz, erklärte demgegenüber unmissverständlich: »Egal wer der Verantwortliche ist, nichts kann den Tod von über 190 Personen rechtfertigen, die nur zur Arbeit wollten.«

Wer nicht den Unterschied anerkennt zwischen dem willkürlichen Töten von möglichst vielen Menschen durch islamistische Gruppen und den gezielten Anschlägen der Eta, bei denen der Tod Unbeteiligter in Kauf genommen wird, verharmlost das Massaker vom 11. März. Dennoch ist für den Chef der konservativen Regionalregierung Kantabriens, Miguel Angel Revilla, alles derselbe Terror. In seinem Büro in Santander, 500 Meter von einem der Orte entfernt, wo eine Bombe hochging, schäumte er: »Sie sind Feiglinge, sie legen dir einen Rucksack unter eine Hecke, programmieren ihn, mit genügend Zeit, um sich zurückzuziehen, und lassen ihn explodieren. Das sind Aktionen von Mördern, die keine Skrupel kennen.«

Nach den vier Bomben hat die konservative Zeitung El Mundo die Behauptung wieder hervorgeholt, zwischen der Eta und den Islamisten gebe es Verbindungen. »42 Prozent glauben, die Eta habe Verbindungen zum islamistischen Terrorismus«, lautete eine Überschrift im August. Ein anderer Artikel spekuliert: »Der Algerier Lamari – mögliches Bindeglied zwischen dem 11. März und der Eta«. Lamari habe im Gefängnis Kontakt zum Mithäftling Juan Luis Camarero gehabt, der wegen seiner Leitungsfunktion in der linksnational-baskischen Jugendorganisation Jarrai inhaftiert ist. Gara kommentierte dies so: »Wenn nicht klar wäre, dass ein politisches Interesse an dieser Behauptung besteht, könnte man meinen, dass hier jemand beim Schreiben durchgedreht wäre.«