Revolte für mehr Arbeit

Die Montagsdemonstranten fordern von der Bundesregierung nicht nur die Rücknahme von Hartz IV, sondern vor allem neue Arbeitsplätze. von felix baum

Die neuen Montagsdemonstrationen sorgen allseits für Verwirrung. Arrivierte Bürgerrechtler aus der deutschen Revolution von 1989 spüren, dass sich die Veranstaltung gegen die unerwarteten Folgen ihres historischen Vorbildes richtet und finden es blasphemisch, dass die profane Sorge um das eigene Überleben eine Protestform entweiht, der es um höhere Dinge wie Freiheit, Demokratie und Vaterland zu tun war. Der SPD-Ideologe Peter Glotz macht »Rückstände marxistischer Indoktrination aus fünfzig Jahren SED« als Triebkraft der Proteste aus, während die Führung des DGB mit dem Hinweis auf »politische Rattenfänger«, vor allem rechtsextreme, auf Distanz geht. In der jungen Welt wiederum wird Entwarnung gegeben: Pfaffen, Christdemokraten und Nazis habe es auch in der Friedensbewegung gegeben, dieses Mal sollte man »weniger Angst davor haben: Sozialproteste sind Klassenkampf, und das ist die Domäne der Linken.«

Es spricht bislang wenig dafür, dass die Gegnerschaft zur Bourgeoisie und ihrer Produktionsweise es war, die in der vergangenen Woche 40 000 Menschen auf die Straßen einiger ostdeutscher Städte trieb. Auch dürfte sich der Teil der Klasse, der keinen deutschen Pass besitzt, kaum von Protestierenden angesprochen fühlen, die sich als Volk inszenieren. Dabei hätten gerade ausländische Arbeiter allen Grund zum Widerstand, da sie von Arbeitslosigkeit in viel höherem Maße betroffen sind und meist Probleme mit ihrem Aufenthaltsstatus einhergehen. Nach Angaben von Pro Asyl sollen Ausländer, die das Arbeitslosengeld II erhalten, nicht mehr die Aussicht auf Erteilung einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis haben.

Hartz IV ist nicht nur die härteste Maßnahme des Krisenmanagements, sondern auch die mit der größten Breitenwirkung. Ausnahmslos jedem droht der Abstieg auf Sozialhilfeniveau zwölf Monate nach Verlust des Arbeitsplatzes. Über 55jährigen werden 18 Monate Schonfrist eingeräumt. Wer heute noch passabel verdient, muss möglicherweise ein Jahr später bereits mit 345 Euro im Westen und 331 Euro im Osten überleben. Miete wird nur für angemessenen Wohnraum bezahlt, was bereits Befürchtungen über massenhafte Umzüge in Wohnsilos und Plattenbauten ausgelöst hat. Jede Arbeit gilt als zumutbar, und für ein bis zwei Euro soll Arbeitsdienst im öffentlichen Sektor geleistet werden.

Die Sanierung des Staatshaushalts – rund vier Milliarden Euro will der Bund jährlich einsparen, wobei die Umstellung zunächst enorme Summen verschlingt – ist ein untergeordnetes Ziel der Maßnahme. Wichtiger ist die Verbreitung von Angst vor dem sozialen Abstieg, die disziplinierend auf die Beschäftigten wirken soll. Schon jetzt ist der Krankenstand in den Betrieben auf einem Rekordtief, und die jüngsten Abmachungen bei DaimlerChrysler und Siemens wurden von der IG Metall dadurch gerechtfertigt, dass in Zeiten wie diesen der Erhalt des Arbeitsplatzes gar nicht hoch genug zu schätzen sei. Hartz IV zeigt, dass immer mehr Leute nur noch als Druckmittel gebraucht werden, um Löhne, Arbeitszeiten und sonstige Modalitäten der Ausbeutung weiter zugunsten des Kapitals zu verändern.

Dass diese staatliche Maßnahme letztlich auf die Erpressung von Mehrarbeit zielt, macht die Montagsdemonstrationen nicht zum Klassenkampf. Die fatale Logik des Protests besteht vielmehr darin, im Angesicht der eigenen Überflüssigkeit um so entschiedener am Dasein als Träger der Ware Arbeitskraft festzuhalten. »Arbeit statt Hartz IV« oder, kämpferisch gestimmt, »Arbeit für Alle, sonst gibt’s Krawalle« sind die Parolen einer konformistischen Rebellion. In einem geradezu infantilen Wunderglauben an die Macht der Politik verlangen die Demonstrierenden stur und trotzig die Arbeitsplätze, von denen sie insgeheim wissen, dass es sie nicht mehr geben wird.

Die nackte und nur zu begründete Existenzangst führt unmittelbar zu dem notwendig falschen Bewusstsein, die da oben könnten, wenn sie nur wollten, auch anders. Vom Staat, der sie züchtigt, erwarten die Protestierenden die Erlösung. Deshalb bewegen sie sich nicht als antagonistische Klasse der Eigentumslosen, sondern als betrogenes und enttäuschtes Volk. Der irrationale Wunderglaube an die Macht der Politik schlägt wegen seiner permanenten Enttäuschung in Misstrauen gegen sie um. Ihrer eigentlichen Bestimmung, dem ganzen Volk zu dienen, scheint die Politik entfremdet, weil Partikularinteressen sie usurpieren.

»Wir laufen hinter keinem Parteibanner her, aber auch hinter keiner Gewerkschaftsfahne. Das ist jetzt eine Volksinitiative und das macht den Leuten in Berlin jetzt wohl auch Angst, weil das nicht steuerbar ist«, sagt Andreas Ehrholdt, ein nationalistischer Wirrkopf, der die Montagsdemonstrationen in Magdeburg initiiert hat. Bevor er zum Widerstandshelden avancierte, versuchte er sich bei der CDU, dann bei der rechtsgerichteten Deutschen Mittelstandspartei und schließlich als »Profi der Nation« bei der Initiative »Teamarbeit für Deutschland« des Bundeswirtschaftsministeriums.

Auf der Internetseite dieses staatlichen Reklamevereins, der im Geiste der Agenda 2010 Gemeinschaftssinn und Eigeninitiative ankurbeln soll, erklärte Ehrholdt, er wolle »nicht tatenlos sein, sondern seinen Beitrag leisten« und »durch Kontakte und Lobbyarbeit die Schaffung neuer Arbeitsplätze anregen«. Wiederholt hat er erklärt, Hartz IV ginge schon in Ordnung, wenn es nur genügend Arbeitsplätze gäbe.

Anders als in Magdeburg, wo die Organisatoren streng auf den überparteilichen Charakter einer Volksbewegung achten, sich mittlerweile aber von den anfangs stark präsenten Neonazis abgrenzen, sind die Proteste in Städten wie Leipzig und Rostock offenbar fest in den Händen der üblichen Verdächtigen aus dem sozialreformistischen Spektrum. Schon deshalb scheint das von einigen Linken beschworene Schreckgespenst eines faschistischen Sozialprotests unbegründet. Die PDS und trotzkistische Grüppchen, die Stalinisten von der MLPD und die linkspopulistische Wahlalternative für Arbeit und soziale Gerechtigkeit fischen neben Sozialverbänden, Attac und Teilen der Gewerkschaften in den Protesten nach Gefolgschaft.

Von einem schlichten egoistischen Nein zur Verschlechterung der eigenen Lebensbedingungen, das auf Staatshaushalt und Volkswirtschaft pfeift, sind auch diese Kräfte gewohnheitsmäßig weit entfernt. Die nicht aus freien Stücken erfolgte Aufkündigung eines Zustands, der Akkumulation und soziale Versorgung halbwegs versöhnte, wird auch von ihnen als Versagen der Politik missverstanden.

Man rechnet den Staatshaushalt nach, brütet über Alternativen, träumt von Grundeinkommen und »zwei Millionen selbst gewählten, gesellschaftlich sinnvollen Arbeitsplätzen«, wie Peter Grottian, seines Zeichens Lautsprecher des Berliner Sozialprotests, seine »konkrete Utopie zur Abschaffung der Arbeitslosigkeit« formuliert. Linksradikale werden alle Hände voll zu tun haben, ein wenig gegen die große Einheitsfront für Arbeit anzugehen.