Speerspitze der Solidarität

Eine griechische Lokalpolitikerin wollte bei den olympischen Spielen auf Kosten einer 18jährigen Sportlerin aus dem Gaza-Streifen für Palästina antreten. von martin krauss

Die sportlichen Erfolge liegen bei Sofia Sakorafa schon eine Weile zurück, aber sie sind nicht gerade klein. 1980 nahm die griechische Speerwerferin an den olympischen Spielen in Moskau teil, 1982 wurde sie mit Weltrekord Europameisterin. Danach trat sie vom Leistungssport zurück und ließ sich unter anderem auf einer linken Liste ins Athener Stadtparlament wählen. In diesem Jahr aber stand die einstige Weltklassesportlerin mal wieder im Lichte der Weltpolitik: Yassir Arafat verlieh ihr ehrenhalber die palästinensische Staatsangehörigkeit.

Da entstand eine Idee: Sie wollte für die Mannschaft, die als »Palästina« an den olympischen Spielen teilnimmt, den Speer werfen. Diese Mannschaft ist sehr klein und besteht aus einem Läufer, einer Läuferin, jeweils über 800 Meter, einem Boxer und einem Schwimmer.

67,04 Meter war Sakorafas Weltrekordweite, und da die Qualifikationsweite, die der Weltleichtathletikverband IAAF vorgegeben hatte, bei 56 Meter lag, war sie optimistisch. Anfang Juli nahm sie an einem Meeting in Athen teil und erreichte bloß 42,39 Meter. Das seien, sagte der Generalsekretär der IAAF, Istvan Gyulai, »sechs Meter weniger als die schlechteste Teilnehmerin dieses Wettkampfs«.

Sportlich war der kurze Traum der 48jährigen, an den Spielen teilzunehmen, bei denen schließlich auch eine 47jährige Martina Navratilova mitmacht, also gescheitert. Aber Sofia Sakorafan versteht sich auch eher als Politikerin und Friedensaktivistin. »Das war eine symbolische Geste, um meine Unterstützung für das palästinensische Volk zu zeigen«, sagte sie, »ich werde mit meiner Unterstützung weitermachen.« Und mit der Gewieftheit einer Lokalpolitikerin verkündete sie, es sei ein Verstoß gegen die olympischen Prinzipien der Völkerfreundschaft, wenn das Internationale Olympische Komitee (IOC) sie nicht teilnehmen lassen wolle.

Gyulai antwortete, das IOC habe mit der Entscheidung, Frau Sakorafan zu sperren, gar nichts zu tun. Normalerweise qualifizierten sich Athleten, weil sie die entsprechenden Normen erfüllen. Damit aber möglichst viele Länder, vor allem solche, deren Athleten die Normen nicht erfüllen, teilnehmen könnten, sei es ihnen erlaubt, pro Sportart je einen Mann und eine Frau zu entsenden. Für die Leichtathletik sei das die bereits nominierte Läuferin, die für Palästina über 800 Meter antreten werde. »Das wichtigste Prinzip ist, dass die jeweils besten Athleten ihrer Länder antreten können, um ihren Sport vorwärts zu bringen«, sagte Gyulai. »In keinem Fall wurde diese Regelung vorgesehen, damit politische Demonstrationen stattfinden können.«

Und der Ungar fügte noch hinzu, dass er sich brieflich bei der palästinensischen Sportführung erkundigt habe, ob es denn wirklich Hinweise gebe, dass Frau Sakorafa die beste Athletin in den palästinensischen Gebieten sei. »Wenn sie mir morgen ein zehnseitiges Schreiben schickten, in dem sie beweisen, dass sie ihre beste Athletin ist, würde ich vermutlich meine Entscheidung revidieren.«

Auf ein solches Fax wird Gyulai allerdings noch eine Weile warten dürfen, denn Sakorafa lebt in Athen. Die palästinensische 800-Meter-Läuferin, die sie verdrängt hätte, heißt Sana Abu Bkheet, ist 18 Jahre alt und lebt im Gaza-Streifen. Ihre persönliche Bestzeit ist zwar 30 Sekunden schlechter als von der IAAF festgelegt, aber allein die Tatsache, dass sie startet, hat viel mit der Förderung von Frauensport in den palästinensischen Gebieten zu tun. »Zuerst fanden die Leute es merkwürdig und kritisierten mich«, sagte Abu Bkheet neulich dem Daily Star, »es war das erste Mal, dass sie ein Mädchen durch die Straßen haben laufen sehen.« Gegen diese Widerstände habe sie sich nun durchgesetzt.