Tödliche Absichten

In der Mailänder Umgebung häufen sich neofaschistische Überfälle gegen linke Militante. Bei einem Übergriff wurden in Mailand sechs Menschen teils schwer verletzt. von federica matteoni

Im traditionell linken Stadtviertel Ticinese in Mailand ließen sich Rechtsradikale bislang selten blicken. Seit den sechziger Jahren gilt das im südlichen Teil der Stadt liegende Viertel wegen der Präsenz von sozialen Zentren wie O.R.So oder Cox 18 und von einigen besetzten Häusern als Hochburg des militanten Antifaschismus.

Als aber am 6. August drei rechte Skinheads die Bar Malabestia in der via Conchetta betraten, war sofort klar, dass sie Ärger suchten. Die drei beschimpften den Barkeeper und verließen den Raum, ohne die Getränke zu bezahlen. Als die linken Barbesucher aus dem nicht weit entfernten sozialen Zentrum Cox 18 Verstärkung holten, tauchten noch mehr Skinheads auf, die die ganze Zeit unbemerkt vor der Bar gewartet hatten. Damit hatten die Linken nicht gerechnet. Insgesamt ließen die ca. 30 mit Eisenstangen und Messern bewaffneten Rechten sechs Verletzte zurück, zum Teil mit Messerstichen in lebenswichtigen Organen.

Vor allem aber ist der Eindruck entstanden, dass sich in der Mailänder rechtsradikalen Szene etwas in Bewegung gesetzt hat, dass die Rechtsradikalen dort wieder in die Offensive gegangen sind. Ein erstes Anzeichen dafür gab es im März vergangenen Jahres, als Davide Cesare, ein junger Militanter vom sozialen Zentrum O.R.So, nur einige Straßenecken von der Via Conchetta entfernt von drei Naziskins niedergestochen wurde (Jungle World, 15/03).

»Auch diesmal wollten sie jemanden töten.« Davon sind Autonome und Antifaschisten in Mailand fest überzeugt: »Es war ein Überfall in militärischem Stil: Alle hatten ein Messer in der Hand«, erzählten einige Militante von Cox 18 der linken Tageszeitung il manifesto. Die Faschisten waren bewaffnet und konnten für ca. eine halbe Stunde in der Via Conchetta Panik verbreiten, berichteten Augenzeugen. Unbestätigt bleiben bislang Aussagen von Augenzeugen, wonach der Angriff von einem älteren, am Rande stehenden Mann »geleitet« worden sei, der der Truppe Anweisungen gegeben haben soll. Noch bevor die Polizei eintraf, sammelte sich die Gruppe wieder, stimmte alte faschistische Lieder an und verschwand. Am schwersten wurde ein 31jähriger verletzt, der sich drei Leberoperationen unterziehen musste.

Die Mailänder Antifaschisten sind sich darüber einig, dass dieser Überfall eine neue Vorgehensweise der Rechtsradikalen zeigt. Denn bislang war diese Art vorsätzlicher Übergriffe auf Linke in Mailand eher selten gewesen. Zu Auseinandersetzungen zwischen Links- und Rechtsradikalen kam es in der Regel immer dann, wenn es dafür einen Anlass gab: bei Demos, linken oder rechten Gedenkveranstaltungen oder Fußballspielen.

Seit einiger Zeit aber reden die Mailänder Antifaschisten von einer Art Neuzusammensetzung der rechtsradikalen Szene. Deren Ziel sei es – zumindest seit dem Mord an Davide Cesare –, Mailand und die gesamte Lombardei politisch zu polarisieren. In der Umgebung Mailands fanden in den vergangenen Wochen mehrere Übergriffe bewaffneter Rechter auf Linke statt. Damit hat sich der Eindruck verstärkt, dass die Rechtsradikalen aus Mailand und der Provinz angefangen haben, ihre Aktionen zu koordinieren. Vor allem wiederholt sich seit einiger Zeit das Schema der Überfälle: Kleine Gruppen von Rechtsradikalen, meist bekleidet mit »White Power«-T-Shirts, besuchen linke Orte – Bars, Veranstaltungen, soziale Zentren –, und sobald die Linken auf die Provokation reagieren, tauchen andere, bewaffnete Faschos auf, schlagen zu, um dann schnell wieder zu verschwinden.

Ob sie einer besonderen rechtsradikalen Gruppierung zuzuordnen sind, ist nicht klar. Die White-Power-Skinheads gehören zu einer breiten Naziskin-Bewegung, die Anfang bis Mitte der neunziger Jahre in den italienischen Fußballstadien besonders stark war. In Mailand war das Hooligan-Milieu in diesen Jahren von Auseinendersetzungen zwischen den rechtsradikalen Inter-Mailand- und den eher links orientierten AC-Mailand-Hools geprägt. Mittlerweile stimmt diese Unterscheidung nicht mehr, vor allem weil sich die Hooligans des AC Mailand in den letzten Jahren immer weiter rechts positioniert haben. Jedenfalls ist in den italienischen Fußballstadien in den vergangenen Jahren eine gewisse Entpolitisierung zu beobachten: Politische Symbole und Sprüche sind in den Kurven kaum noch zu sehen bzw. zu hören.

Allein mit der Rivalität zwischen Fußballhooligans seien die Überfälle auf Linke nicht zu erklären, meinen viele Beobachter in Mailand. Nicht auszuschließen sei es aber, so die Vermutung, dass die rechtsradikalen politischen Gruppierungen ihre Präsenz im Naziskin- und Stadion-Milieu verstärkt haben, um ihr »militärisches« Profil auszubauen.

Die rechtsradikale Szene in Mailand besteht bereits seit langem aus einem Netzwerk von Parteien, Gruppierungen, Organisationen und informellen Treffpunkten, die bislang weder eine entscheidende Kraft darstellten noch besondere Gegenden in der Stadt »erobern« konnten. Zu den bekannten Protagonisten dieser Szene gehören in erster Linie die Neofaschisten der Forza Nuova (FN), die seit ihrer Gründung im Jahr 1997 als mobilisierungsfähigste rechtsradikale Gruppierung Italiens gilt. Insbesondere in Mailand, aber auch im restlichen Norditalien ist es der FN gelungen, mit ihren ausländerfeindlichen, nationalistischen und an den katholischen, antimodernistischen Integralismus anknüpfenden Kampagnen Naziskins und alte Faschisten zu vereinen, die sich in der institutionalisierten Regierungspartei Alleanza Nazionale (AN) nicht mehr zu Hause fühlen. Ähnlich wie die AN hat auch die rechtspopulistische Lega Nord durch die nationalrevolutionäre Propaganda der Forza Nuova viele ihrer radikalen Anhänger der ersten Stunde verloren.

Die Mailänder Antifaschisten betonen die Notwendigkeit, die politische Bedeutung der rechtsextremen Überfälle in den Vordergrund zu stellen und sich gegen die Interpretation von Polizei und lokalen Medien zu wehren, mit der die jüngste Attacke als Ausdruck der Rivalität zwischen linken und rechten Fußballhooligans heruntergespielt werden soll. Die Polizei hat Anfang vergangener Woche einen 20jährigen rechtsradikalen Hooligan festgenommen, der nach ihren Angaben bei dem Übergriff seine Geldbörse samt Personalausweis verloren hat. Nach dieser Festnahme konnte die Polizei die Theorie vertreten, es habe sich keineswegs um einen Übergriff mit politischem Hintergrund gehandelt: Die ideologische Dimension des Ereignisses sei nicht zu übertreiben, erklärte der Präfekt von Mailand lokalen Medien.

Doch die Linke beschäftigt sich mit der politischen Dimension des Angriffes. Eine Reaktion wird jedoch nicht sofort kommen: »Es ist Mitte August, wir sind zu wenige für eine breite Mobilisierungskampagne«, sagt die Aktivistin Titti von Cox 18. »Wir wollen nicht riskieren, als Antifaschisten ein schwaches Zeichen zu setzen.«