Die Zeit der Schläge ist vorbei

Auch wenn es nicht für eine Medaille reichte, ist die olympische Fußballmannschaft des neuen Irak die Überraschung dieser Spiele. von thomas schmidinger

Mit einem Fallrückzieher schoss Mohammed Emad die irakische U23-Fußball-Auswahl im Spiel gegen Australien (1:0) ins olympische Halbfinale. Zuvor hatte das Team sensationell mit 4:2 den Favoriten Portugal geschlagen. Erst im Halbfinale gegen Paraguay verlor die irakische Mannschaft mit 1:3. Im Spiel um Platz drei am vergangenen Freitag hielten sich die Irakis besser, verloren jedoch in einem ausgeglichenen Spiel mit Torchancen auf beiden Seiten mit 0:1 gegen Italien.

Die Hoffnung auf die zweite irakische Olympia-Medaille in der Geschichte der Spiele – nach Bronze für den Gewichtheber Abdul Aziz 1960 in Rom – hat sich somit nicht erfüllt. Allerdings gilt schon der Einzug der Nummer 40 der Weltrangliste in das Semifinale des olympischen Fußballturniers als Sensation. Kaum jemand hatte dies den Kickern aus Bagdad vor Beginn der Spiele zugetraut.

Auch nicht ihr ehemaliger Trainer Bernd Stange. Der aus der DDR stammende Fußballlehrer hatte vor der Olympiade in einem Interview mit der Fifa erklärt: »Die haben kaum eine Chance, gerade auch wegen der widrigen Umstände, unter denen die Vorbereitung in Bagdad stattfinden musste.«

Unter dem Vorsitz von Saddam Husseins Sohn Uday, der bis zur Befreiung des Irak von der ba’athistischen Herrschaft unter anderem als Vorsitzender des irakischen olympischen Komitees fungierte, hatte Stange das irakische Nationalteam bis April 2003 trainiert, wenngleich mit weniger Erfolg als sein Nachfolger Adnan Hamad. Für Tiras Odisho Anwaya, den neuen Generaldirektor des olympischen Komitees des Landes, liegt der Erfolg primär an der Befreiung der irakischen Spieler von Uday Husseins eigenartiger Sportpädagogik. »Bei allen Problemen, die wir immer noch in unserem Land haben, ist der Hauptgrund für unsere sportliche Verbesserung der, dass wir keine Angst mehr haben müssen«, erklärte der Komiteevorsitzende.

Uday Hussein führte unter den irakischen Sportlern das eiserne Terrorregime seines Vaters weiter. Erfolglose Spieler wurden regelmäßig im berüchtigten »roten Zimmer« misshandelt.

Der ehemalige Fußball-Nationalspieler Ahmed Sabat erzählte nach dem Sturz des Regimes, was dort vor sich ging: »Sie schlugen uns zur Strafe mit Stöcken auf die Füße und auf den Rücken und ohrfeigten uns.« Ammo Baba, ein früherer Nationaltrainer, meint: »Nach schlechten Spielen war am Flughafen eine Liste angeschlagen, und wessen Name draufstand, der wusste, dass er ins Gefängnis wandert.«

Bernd Stange will von all dem nicht viel bemerkt haben. Er bestreitet die Schläge zwar nicht, meint aber: »Wenn die Spieler das so empfinden, wird es sicher eine Rolle spielen. Wenn es Elfmeter gab, haben sich aber immer sechs Spieler gemeldet. Das macht man normal nicht, wenn man beim Verschießen Schläge auf die Fußsohlen kriegt. Aber danach gab es doch Anzeichen für diese Bestrafungen, obwohl sich die Spieler mir aus Angst nicht richtig anvertraut haben.«

Der Fußball musste sich im Irak ganz der Ideologie des Regimes unterordnen und stellte quasi die zivile Fortsetzung des permanenten Krieges gegen alle möglichen und unmöglichen Verschwörungen dar, seien sie nun zionistisch, imperialistisch oder iranisch. Als der Irak 2002 auf die USA traf, trugen irakische Zeitungen Schlagzeilen wie: »Eure Mission ist es, euch den Mächten des Dämons entgegenzustellen.«

Heute ist von dieser Vereinnahmung nichts mehr zu sehen. Wie sensibel die irakischen Spieler sich gegen jede politische Vereinnahmung verteidigen, zeigte bereits die Kritik an der Verwendung der Erfolgsmannschaft für einen Wahlkampfspot der Republikaner im derzeitigen US-Wahlkampf. In dem Spot für die Wiederwahl von Präsident George W. Bush heißt es: »An der Olympiade werden zwei freie Staaten mehr beteiligt sein und zwei Terror-Regime weniger.« Bereits am Montag der vergangenen Woche wehrte sich jedoch der irakische Fußballnationaltrainer Adnan Hamad öffentlich gegen diese parteipolitische Instrumentalisierung. Und das Internationale Olympische Komitee (IOC) ließ wissen, dass es in die Kampagne Bushs nicht involviert gewesen sei.

Nicht nur im Irak stieß der Sensationserfolg in Athen auf Begeisterung. Auch von den vier Millionen Irakern und Irakerinnen im Exil hielten viele zum ersten Mal seit Jahrzehnten zu ihrer Nationalmannschaft, die so lange das Team des Tyrannen war. Hussein, ein Lehrer aus dem Südirak, der heute in Wien ein kleines Geschäft betreibt, schafft es allerdings nicht, sich die Spiele anzuschauen: »Ich bin so nervös, dass ich es gar nicht aushalte hinzugucken. Ich drehe zwar jedes Mal den Fernseher an, muss dann aber doch aus dem Zimmer laufen.«

Andere Iraker sammeln sich zur Übertragung des Spiels um den dritten Platz im Irakischen Club im 12. Wiener Gemeindebezirk. Zuerst läuft al-Jazeera, aber der Sender ist heute kaum zu empfangen. Schließlich wird auf al-Arabia umgeschaltet. Begeistert schaut die Menge auf den Fernseher und drückt ihrer Mannschaft die Daumen. Im Irakischen Club fiebern Mitglieder der kurdischen Partei Puk gemeinsam mit Kommunisten und Anhängern der Da´wa-Partei für das irakische Team. Sogar ein bärtiger Anhänger Muqtada al-Sadrs gesellt sich nach einiger Zeit dazu. Nebenbei wird Tee getrunken, Wasserpfeife geraucht oder gekochte Bamia gegessen.

Das kleine Finale hatte wegen der Ermordung des italienischen Journalisten und Kriegsgegners Enzo Baldoni durch die radikalislamistische »Islamische Armee im Irak« an politischer Brisanz gewonnen. Amir al-Saadi, Generalsekretär des irakischen Nationalen Komitees, drückte vor Beginn des Spieles auf einer Pressekonferenz sein Beileid aus: »Unsere Gedanken sind beim italienischen Volk. Ich bin sicher, es waren keine Irakis, die das gemacht haben.« Die italienische Mannschaft spielte mit Trauerflor.

Auch wenn das Spiel verloren geht, jubeln die versammelten Iraker, als habe ihre Mannschaft gewonnen. Und genau genommen hat sie das auch. Das irakische Team hat der Welt gezeigt, dass Spaß und Geld die bessere Motivation für guten Fußball sind als Drohungen und Schläge. Über den vierten Platz freuen sich die meisten Irakis mehr als andere über eine Goldmedaille.