Indizien und ein Verdacht

Hinter dem Brandanschlag auf ein jüdisches Sozialzentrum in Paris vermutet die Polizei rechtsextreme Täter. von bernhard schmid, paris

Die Täter zeichneten Hakenkreuze und schrieben »Frankreich den Franzosen« und »Es lebe der Islam« an die Wände des jüdischen Sozialzentrums in Paris, das sie am 22. August anzündeten. (Jungle World, 36/04) Wollten sie bewusst Verwirrung stiften? Auf den ersten Blick ist es eine offene Frage, wer den Brandanschlag auf das Zentrum, das überwiegend als Armenküche diente, in der Nacht zum vorletzten Sonntag verübte. Bereits am nächsten Abend tauchte auf einer islamistischen Internetseite ein angebliches Bekennerschreiben auf, das möglicherweise in Dubai aufgegeben wurde. Darin hieß es, »junge Mujahedin« hätten »um vier Uhr Feuer in dem jüdischen Tempel in Paris gelegt«.

Die Ermittler glauben allerdings derzeit nicht an die Echtheit des Tatbekenntnisses, wie die Pressestelle der Pariser Polizeipräfektur der Jungle World bestätigte. Als Gründe für die Vermutung, es handele sich bei den Verfassern des Bekennerschreibens um Trittbrettfahrer, wird einerseits angeführt, dass ein solches Schreiben normalerweise dazu diene, »Täterwissen zu offenbaren«. In diesem Fall seien aber ebenso vage wie falsche Angaben zum Tathergang gemacht worden.

So handelt es sich bei dem angezündeten Lokal in der Rue de Popincourt nicht um einen Tempel oder eine Synagoge, sondern um eine kleine Sozialeinrichtung. Und auch die Uhrzeit, zu der die Brandstiftung begangen wurde, sei falsch angegeben worden. Denn der Feueralarm sei bereits um 3.30 Uhr ausgelöst worden. Außerdem gehen die Behörden davon aus, dass eine international operierende terroristische Gruppe nicht ein relativ kleines Sozialzentrum angegriffen, sondern spektakulärere Ziele ausgewählt hätte.

Die höchste Wahrscheinlichkeit misst die Pariser Polizei derzeit der Hypothese zu, dass rechtsextreme Täter hinter dem Brandanschlag stecken. Aber auch die Tat »eines Geistesgestörten« will sie nicht ausschließen, solange die Laboruntersuchungen der am Brandort sichergestellten Spuren noch nicht abgeschlossen sind.

Jenseits der Identität des Täters oder der Täter stellt sich die Frage nach der dahinter stehenden Absicht. Denn es ist unbestritten, dass es seit dem Beginn der jüngsten Serie von Schändungen jüdischer und moslemischer Gräber eine Reihe von Nachahmungstaten gegeben hat, etwa auch von jugendlichen Satanisten oder Teenagern, die sich einer »Mutprobe« unterzogen und in Einzelfällen auch christliche Gräber beschmierten, wie die Festnahme eines Jugendlichen im elsässischen Niederhaslach belegte.

Ausgelöst wurden all die Nachfolge- oder Nachahmungstaten offensichtlich von der Friedhofsschändung in Herrlisheim am 30. April dieses Jahres. 127 Gräber des jüdischen Friedhofs des Ortes im Elsass waren mit Hakenkreuzen und SS-Runen sowie prodeutschen Parolen wie »Elsass im Reich« besprüht worden, wobei die Täter anscheinend Schablonen benutzten und weitaus professioneller vorgingen als ihre Nachahmer.

Dass die verschiedenen Grabschändungen und Gewalttaten seit April von einer einzigen Organisation verübt wurden, ist kaum anzunehmen. Dagegen spricht nicht nur, dass die Ermittler keine Hinweise auf eine ähnliche Art und Weise der Durchführung der einzelnen Taten gefunden haben. Auch sind die in Frankreich existierenden militanten Neonazis und Skinheads nicht in festen Strukturen organisiert wie etwa die deutschen Neonazis in der NPD oder den so genannten Freien Kameradschaften.

Ehemals bestehende rechtsextreme Vereinigungen wie die 1980 verbotene Fédération d’action nationale et européenne und ihre Nachfolger sind in der Bedeutungslosigkeit versunken. Allein die Gruppierung Unité radicale war in jüngerer Vergangenheit aktiv. Doch sie wurde verboten, nachdem ihr geistig etwas verwirrtes Mitglied Maxime Brunerie am 14. Juli 2002 im Alleingang Staatspräsident Jacques Chirac zu töten versucht hatte. Die Unité radicale hat zwar eine Nachfolgeorganisation, den Bloc identitaire. Dieser dürfte jedoch von den Behörden aufmerksam beobachtet werden.

In Frankreich hatten bis vor kurzem die rechtsextremen Organisationen Front National und Mouvement national républicain (MNR) die Vorherrschaft über das rechtsextreme Spektrum von eher bürgerlichen Kreisen bis in gewalttätige Milieus hinein. Dabei stärkten sie zwar einerseits die in diesen Kreisen vorhandenen Ideologien, andererseits aber unterbanden sie nach Möglichkeit »kontraproduktive« Taten. Das verhinderte nicht, dass sie zugleich immer wieder aktionistischen oder »durchgeknallten« Hitzköpfen als Ideenlieferanten dienten.

Aber derzeit, da sich beim Front National das Parteileben auf den Machtkampf zwischen Jean-Marie Le Pen und seiner Tochter Marine einerseits und den altgedienten Kadern andererseits konzentriert und fast alle Aktivitäten der Basis zum Erliegen gekommen sind, nimmt seine Integrationskraft ab. Das im Jahr 1999 durch eine Abspaltung entstandene MNR von Bruno Mégret hingegen, das einige Jahre lang für die militanten Neonazis die Türen offen hielt, ist inzwischen nahezu bedeutungslos.

Dass einige aktionistische Anhänger auf eigene Faust aktiv geworden sein könnten, etwa um ein Fanal zu setzen, ist eine plausible Annahme. Pierre Lévy, der Vorsitzende des regionalen Zentralrats der Juden im Elsass, sieht hinter der Serie von Anschlägen auf jüdische und moslemische Gräber und Gebetsstätten derzeit den Versuch einer »rassistischen Polarisierung«; die beiden Minderheiten sollen seiner Meinung nach aufeinander gehetzt werden.

Das wird dadurch erleichtert, dass ihr Verhältnis ohnehin angespannt ist, auch weil seit dem Jahr 2000 zahlreiche Straftaten gegen französische Juden begangen wurden, teilweise von Jugendlichen aus Migrantenfamilien. In solchen Fällen benötigt der Wille zur politischen Brandstiftung unter Umständen gar keine zentrale Organisation.