»Italien und Deutschland sind auf einer Linie«

Paolo Cuttitta

Beinahe wöchentlich werden Flüchtlinge bei dem Versuch, das Mittelmeer zu überqueren, von den Küstenwachen aufgegriffen. Europäische Politiker debattieren, wie solche Versuche unterbunden und die so genannten Flüchtlingsströme kontrolliert werden können. Dabei gibt es in vielen Bereichen bereits eine effektive Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Union und den Regimes der Staaten, aus denen die Flüchtlinge kommen. Paolo Cuttitta ist Politikwissenschaftler und beschäftigt sich seit langem mit der Kontrolle von Flüchtlingsbewegungen rund um das Mittelmeer. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des Forschungsinstituts für Wirtschaft des Mittelmeers an der Universität Palermo. Mit ihm sprach Matthias Becker.

Vergangene Woche besuchte der italienische Ministerpräsident Silvio Berlusconi den libyschen Staatschef Muammar al-Gaddafi, um mit ihm über eine verstärkte Zusammenarbeit bei der Migrationskontrolle zu beraten. Was will Berlusconi vom selbst ernannten Revolutionsführer?

In Libyen sollen drei Auffanglager für Flüchtlinge entstehen. Wie Tunesien oder Marokko ist Libyen für viele Migranten ein Transitland auf dem Weg nach Europa. Deshalb scheint dem deutschen Innenminister Otto Schily und seinem italienischen Amtskollegen Giuseppe Pisanu dieses Land ideal für die Errichtung solcher Lager. In dieser Frage liegen Deutschland und Italien mehr oder weniger auf einer Linie, wobei es den Italienern ausdrücklich um Abschiebelager geht. In diesen sollen Migranten inhaftiert werden, die entweder aus Europa zurückgebracht oder von der libyschen Polizei aufgegriffen wurden.

Und was verspricht sich Gaddafi davon?

Gaddafi ist schwer einzuschätzen. Natürlich will er die Aufhebung des EU-Embargos, und er fordert Entschädigungen für die Kolonialzeit, als Libyen von den Italienern besetzt war.

Kann man von einer neuen, internationalen Qualität der Migrationskontrolle sprechen?

Nein. Die italienische Regierung hat schon den Bau von tunesischen Abschiebelagern finanziert. Insgesamt gibt es 13 solcher Lager, elf davon befinden sich an geheimen Orten. Keiner kennt die Zustände dort, auch nicht das UN-Hochkommissariat für Flüchtlinge. Gerüchten zufolge werden viele Migranten aus diesen Lagern einfach von der Polizei an die Südgrenze zu Algerien begleitet und dort in der Wüste abgesetzt.

Diese Politik ist also nicht ganz neu, aber die EU-Staaten versuchen verstärkt, die Grenzkontrollen in die nordafrikanischen Transit- und Herkunftsländer zu verlagern. Das gilt insbesondere für Italien. Die Regierung hat in den letzten Jahren auf die Transitländer Libyen, Tunesien und Ägypten Druck ausgeübt, um sie zu einem konsequenteren Einsatz bei der Überwachung der Küsten sowie der jeweiligen grünen Grenzen in der Sahara zu bringen. Die Länder selbst haben daran nur bedingt Interesse. Aber die Politik der Abschottung kann meiner Einschätzung nach nicht funktionieren.

Welchen innenpolitischen Hintergrund hat Berlusconis Staatsbesuch?

In Italien wird gerade eine heftige Debatte über Einwanderung geführt. Dabei ist öffentlich die Rede vom »Staatsnotstand« und einer »Invasion« von illegalen Einwanderern.

Italiens Innenminister Pisanu zufolge warten an den Küsten Libyens und Tunesiens derzeit zwei Millionen Menschen darauf, nach Europa kommen zu können …

Woher will das jemand wissen? Die Anzahl der aufgegriffenen Flüchtlinge stieg zwischen 1999 und 2002 stark an, seitdem ist sie leicht gesunken. Niemand weiß, wie viele durchkommen oder ertrinken. Solche Zahlen sind höchst ungenau, auch weil die libyschen Behörden ihre Zahlen geheim halten. In Libyen leben mehr als zwei Millionen Einwanderer, das ist ein Zuwanderungsland. Aber solche Ausländerquoten sind normal für Länder, die Erdöl produzieren, das ist in den Golfstaaten genauso. Gaddafi kommen solche Zahlen natürlich nur recht, denn er kann sie als politisches Argument benutzen und sagen: »Seht her, wir brauchen Hilfe, das Embargo muss weg!«

Ministerpräsident Berlusconi steht jedenfalls unter Zugzwang. Deshalb hat seine Regierung kürzlich ein offensichtlich völkerrechtswidriges Gesetz erlassen, das es der italienischen Polizei erlaubt, fremde Schiffe auf hoher See zu inspizieren, was im vergangenen Monat im Fall des deutschen Rettungsschiffes »Cap Anamur« geschah.

Welche Auswirkungen hat das 2002 von der Regierung Berlusconi verabschiedete Immigrationsgesetz hinsichtlich des Quotensystems für die Aufnahme von Drittstaatsangehörigen?

Schon seit 1989 gibt es in Italien ein Quotensystem für Einwanderer, das manchen Menschen aus Nicht-EU-Staaten ermöglicht, legal ins Land zu kommen. Die damalige Mitte-Links-Regierung hatte es eingeführt, aber durch das jüngste Ausländergesetz – das so genannte Bossi-Fini-Gesetz – wurde diese legale Einwanderungsmöglichkeit wieder eingeschränkt, zum Beispiel mit der Abschaffung des so genannten Sponsorsystems. Dadurch wurde es für Einwanderer möglich, mittels Bürgen für ein Jahr nach Italien zu kommen. In der Regel waren es ihre zukünftigen Arbeitgeber, die sie »einluden«. Deshalb sind Arbeitgeberverbände und Betriebe in der Landwirtschaft strikt gegen das neue Gesetz: Sie halten die momentanen Quoten für zu niedrig und haben sie auch tatsächlich für 2004 schon ausgeschöpft.

Das Bossi-Fini-Gesetz spaltet die Regierungskoalition in eine fremdenfeindliche Fraktion, die von der rechtspopulistischen Lega Nord vetreten ist, und die Fraktion der »Kapitalfreunde«, die Migranten vor allem als billige Arbeitskräfte betrachten.

Kommt die Politik der Abschottung bei der Bevölkerung an?

Wie populär diese Politik ist, lässt sich schwer sagen. Ich selbst lebe in Sizilien, wo viele der afrikanischen Flüchtlinge ankommen. Trotzdem gibt es hier keine fremdenfeindlichen Demonstrationen wie auf der Insel Lampedusa. Dort lebt fast jeder vom Tourismus, und die Einheimischen denken, dass durch die Flüchtlinge die Anziehungskraft der Insel leidet.

Mit welchen Mitteln haben die EU-Staaten Länder wie Libyen oder Tunesien dazu gebracht, so mit ihnen zusammenzuarbeiten?

2002 hat die EU beschlossen, alle Projekte für Entwicklungshilfe unter den Vorbehalt zu stellen, dass die entsprechenden Länder mit ihr bei der Flüchtlingskontrolle zusammenarbeiten. Am wichtigsten ist allerdings das italienische Quotensystem. Das wurde im Laufe der Zeit immer stärker zu einem politischen Druckmittel gegenüber den Herkunftsländern im Süden. Mit Kontingenten konnten die Länder Nordafrikas quasi erpresst werden. Einwanderung nach Italien außerhalb solcher Quoten gibt es jetzt kaum noch. Die meisten Einwanderer sind deshalb Bürger jener Staaten, die mit Italien eng zusammenarbeiten, Marokko, Tunesien oder Libyen.

Für die afrikanischen Staaten geht es dabei um viel Geld, denn die Geldüberweisungen von Auswanderern in ihr Heimatland machen einen großen Teil des Bruttosozialprodukts aus. Ein Land wie Tunesien hat da keinen Verhandlungsspielraum. Mit der Erhöhung oder Senkung der Quoten werden Herkunfts- und Transitländer für ihre Kooperationsbereitschaft entweder belohnt oder bestraft. Italien hat versucht, dieses System auf die ganze Europäische Union auszuweiten. Während der italienischen Ratspräsidentschaft 2003 schlug die Regierung Berlusconi vor, ein Einwanderungsquotensystem nach italienischem Vorbild einzuführen. Das scheiterte allerdings, auch weil die deutsche Regierung damals um ihren eigenen Spielraum bei der Einwanderungspolitik fürchtete.