In der Indie-Hölle

felix klopotek sprach mit Howe Gelb über Giant Sand, Calexico und andere Family Affairs

Eine Standardfrage an in Würde ergraute Musiker – wann wussten Sie eigentlich, dass Sie Musiker werden, dass Sie der Musik Ihr Leben widmen werden? Howe Gelb, Mastermind von Giant Sand und das, was man einen Helden des Indierock nennt, macht eine kurze Pause, verzieht ein wenig das Gesicht. Vielleicht weil ihn das Pathetische der Frage stört. »Ich habe mein Leben nicht der Musik gewidmet. Ich habe eine Familie, seit 18 Jahren. Ich bin Vater von drei Kindern. That’s where your life goes. Und was übrig bleibt, steckst du in die Musik.« Und was bleibt übrig? Gelb muss kurz lachen. »Manchmal drei Monate im Jahr, manchmal zwei Stunden am Tag.«

Das Leben als Indie-Held muss man sich als Hölle vorstellen. Es ist ökonomisch nicht zu rechtfertigen, und doch lockt es den Musiker über Jahre mit der Illusion, dass die nächste Platte den großen Durchbruch bringen könnte. Der Indie-Held ist in der schlechten Mittelposition zwischen dem Rockstar und dem Frickler anzusiedeln: Der Rockstar kann sich ganz seiner Berufung widmen, muss es sogar, denn Musik und Startum fallen zusammen. Wie sähe das denn aus, wenn Iggy Pop in Michigan noch ein Autohaus betriebe und sich alle paar Wochen um eine Urlaubsvertretung kümmern müsste, weil er woanders die Hallen zu füllen hätte?

Der Frickler, der genialische, aber verschrobene Songwriter oder Computerbastler, kann verhältnismäßig bequem seine Existenz spalten. Er macht einen Halbtagsjob und verdient sich den Rest mit seiner Musik dazu. Ein- oder zweimal im Jahr wird getourt, man freut sich, wenn an den Abenden um die 100 Leute auftauchen; alle zwei Jahre macht man eine CD, von der sich, wenn es gut läuft, 2 000 Stück verkaufen. Das Leben ist prekär, aber überschaubar.

Der Indie-Held dagegen verkauft nicht 2 000 Platten, sondern 20 000. Er – und in wenigen Fällen auch: sie – spielt nicht vor 100 Leuten, sondern vor 500. Er macht, wie der Star, einen Fulltimejob. Musikmagazine nennen ihn erst »next big thing«, widmen ihm in der Folgezeit aber lieber kleinere Textformate als Titelstorys und haken ihn nach 15, 20 Jahren ab als »semi-legendär«, »kultig« oder »musician’s musician«. Man kommt über die Runden, aber fürs Alter reicht es kaum, erst recht nicht, wenn man sich noch um Kinder kümmern muss.

Howe Gelb veröffentlicht in diesen Tagen mit »Giant Sand – Is all over the map« ein neues Album. Das 20.? 25.? Kommt darauf an, wie man zählt. Gelb hat zahlreiche Solo-Alben veröffentlicht, spielte in anderen Combos. Er ist ein »musician’s musician«, PJ Harvey verehrt ihn, der Topproduzent John Parish liebt ihn, und Calexico, die allseits beliebte Mariachi-Postrock-Combo, hätte es ohne Giant Sand, ohne Howe Gelb nie gegeben. Howe Gelb aus Tucson/Arizona und mit ihm die Musiker, die über die Jahre hinweg sich in Giant Sand einreihten, haben den Wüstenrock – man kann beinahe sagen: erfunden. Sicher, es gab Thin White Rope, Green On Red, die Meat Puppets. Aber Giant Sand gibt es noch.

Der US-amerikanische Wüstenrock gedieh in einer kulturellen Landschaft, die Diedrich Diederichsen in einem älteren Text über Giant Sand einst so beschrieb: »Da ist man jetzt gleichzeitig irgendwo kurz hinterm Jagen und Sammeln, noch vor der griechischen Polis, andererseits postindustriell und kulturell im 13. Jahrhundert und im Video/ Computer-Age.« In ihren besten Momenten haben Giant Sand so geklungen – wenn auch rebellischer und mit subversiven Absichten: Als hätte einst Quentin Tarantino Neil Young für einen Soundtrack engagiert zu einem Film, bei dem es um einen wilden Streik mexikanischer Landarbeiter und korrupte Gewerkschaftsbosse geht.

Die Alben von Giant Sand sind beides: das Schwelgen in Klischees und ihre Zerstörung nur wenige Minuten nach der romantizistischen Illusion. Dann zerreißt seine jaulende E-Gitarre die Wüstenatmo, taucht die selige Texmex-Stimmung in Dissonanzen. Es kracht und scheppert in den sonst so beschaulichen Ecken seiner Songs. »Improvisation rettet dir dein Leben. Ich liebe Jazz, ich liebe Thelonious Monk, ich liebe diese freien Sachen.«

Kurz vor dem Ziel, das da heißt: »Kommerzieller Erfolg durch eingängige Songs mit dem gewissen Ethno-Flair«, bleibt Gelb zuverlässig stehen und gibt den selbstdestruktiven Berserker. Er steht auf Punkbands, die zu lange im Proberaum abhängen und darüber wunderlich werden. »Ich kenne Bands, die arbeiten an ihrem zweiten Album, weil sie das erste nie fertig gekriegt haben.« Er lacht wieder. »Ich kann das verstehen! Ich kann das verstehen!« Gelb kompensiert diese Neurose durch gnadenloses Veröffentlichen. Raus damit! Wer zwei Dutzend Alben gemacht hat, wird nicht daran gemessen, ob das aktuelle gut, mäßig oder schlecht ist. »All over the map« ist übrigens ein gutes Album.

Du hast Howe Gelb interviewt? fragt ein Kollege. Und ergänzt, dass Giant Sand vor 20 Jahren mit REM verglichen wurden (das »Next big thing«-Syndrom), dass er vor zehn Jahren aufgehört habe, Gelbs Weg zu verfolgen. Und dass er natürlich die Platten von Calexico besitze. Calexico – da bohrt was, am besten, man wartet, bis Gelb das Thema selbst zur Sprache bringt. »Wir waren eine eingespielte Band. Das ging bis zur Telepathie. Wir konnten jeden Abend die gleichen Songs spielen, und es klang immer anders. Die Jungs haben mir das Gefühl gegeben, dass ich mich wirklich frei in den Songs bewegen konnte.« Die Jungs, das sind Joey Burns, Bassist und Gitarrist, und John Convertino, Schlagzeuger. Die Jungs waren mehr als zehn Jahre Gelbs Rhythmusgruppe. Die Jungs waren schließlich so gut, dass sie richtig in die Band reinwuchsen.

Convertino und Burns haben irgendwann in den Neunzigern Calexico gegründet und sind binnen kurzer Zeit viel größer geworden, als Giant Sand es in den letzten zehn Jahren jemals hätten werden können. Seit zwei Jahren gehen Calexico und Gelb offiziell getrennte Wege. Gelb lästert nicht über Calexico, Convertino ist in Tucson ein Nachbar, ein guter Freund. Aber enttäuscht darüber, dass sein Dream Team auseinanderbrach, ist Gelb schon.

Gelb ist ein kleiner, fast zarter Typ, seine Stimme, auf den Alben markant und charismatisch, ist leise, er redet ruhig und abgeklärt. Gelb scheint mit der Indie-Hölle, dem Beinahe-Star-Sein, klarzukommen. Er ist kein Klischee seiner selbst geworden, kann sogar auf sein geliebtes Tucson verzichten. Mit seiner dänischen Frau wohnt er mindestens vier Monate im Jahr in Dänemark. Dort hat er auch – mit einheimischen Musikern und Produzent John Parish – das aktuelle Album eingespielt. Es ist etwas schnörkelloser, präziser und härter als das letzte Werk. Howe Gelb hat aufgehört, seine Veröffentlichungen zu zählen.

Giant Sand: Is all over the map (Thrill Jockey/Rough Trade)