Fehlt bloß das Kopfballtor

»Nur« Mädchenfußball gibt es nicht mehr. Die Girliekicker vom FV Vaalserquartier spielten in Berlin. von elke wittich

Eigentlich möchte Sophie nicht mehr mit Journalisten reden. Vor einiger Zeit hatte ihr eine Reporterin der Heimatzeitung nämlich einen Satz in den Mund gelegt, den sie so nie gesagt hat und über den sie sich noch heute aufregt. Die 13jährige hatte in Aachen an der Alemannia Soccer University teilgenommen und dort auch zusammen mit Jungs in einem Team gespielt. Das habe Spaß gemacht, wurde sie später zitiert, normalerweise kicke sie nämlich »nur in einer Mädchenmannschaft«. Über dieses hineingemogelte »nur« ist Sophie immer noch sauer: »So klang es, als hielte ich Mädchenfußball für etwas zweitklassiges, dabei spielen wir nicht schlechter als die Jungs. Nie im Leben würde ich mich so verächtlich über mein Team äußern!«

Viel Zeit zum Ärgern bleibt Sophie heute jedoch nicht, denn ihre Mannschaft, die C-Jugend des FV Vaalserquartier, bestreitet ein ganz besonderes Auswärtsspiel: in Berlin, gegen den VfB Lichterfelde. Trainerin Claudia Volmary hatte das Match organisiert, die gebürtige Berlinerin sammelte schließlich 1996 beim Südberliner Club erste Fußballerfahrungen. Nicht als Spielerin, »dafür bin ich leider zu alt, organisierten Frauen- und Mädchenfußball gab es in meiner Jugend einfach noch nicht. So habe ich halt lediglich mit Jungs aus der Nachbarschaft ein bisschen gebolzt!«

Volmary besuchte Lehrgänge und Fortbildungsveranstaltungen, und als sie im Jahr 2000 mit ihrer Familie nach Aachen zog, übernahm sie das Training der Mädchenmannschaft bei Vaalserquartier. »Vom Training her macht es keinen Unterschied, ob man Jungs oder Mädchen coacht«, sagt sie. Allerdings merke man es sofort, »ob ein Mädchen mit Jungs gespielt hat«. Wie viele ihrer Schützlinge in der Pubertät mit dem Sport aufhören werden, ist eine Frage, die die selbständige Unternehmensberaterin gar nicht gerne hören mag. »Zum einen ist das eine Sache der richtigen Motivation, Trainer, Verein und Betreuer sind da gefragt. Und bei Jungs kommt das schließlich auch vor, wenn auch etwas später, zwischen dem 15. und 17. Lebensjahr!«

Nun ist jedoch Konzentration auf das bevorstehende Spiel angesagt, »als wir wegzogen, habe ich immer gesagt, wenn ich zurückkomme, dann mit einer Mannschaft«, sagt Volmary, die immer wieder Bekannte begrüßen muss.

Zunächst sieht es für die grüngekleideten Girlies von Vaalserquartier nicht gut aus. Selbst aussichtsreiche Chancen werden versemmelt, was zur Folge hat, dass das Team immer nervöser wird. Trainerin Volmary versucht ihr Bestes, das angeschlagene Selbstbewusstsein zu erhöhen, aber zwei ausgesprochen dumme Tore der zu allem Überfluss auch noch in der D-Jugend kickenden Gegnerinnen machen alle ihre Bemühungen zunichte.

Nach dem Pausenpfiff herrscht beim FV folgerichtig großer Frust. Die Mädchen meckern einander ein bisschen an, beschließen dann jedoch, das Spiel trotz des Rückstandes noch nicht verloren zu geben.

Das Match sei bisher nicht schwierig zu pfeifen gewesen, sagt Schiedsrichter Stefan Oesker in der Pause. »Generell kann man sagen, dass Mädchen fairer spielen als Jungen, selbst in den unteren Altersklassen wird bei Jungs-Kicks wesentlich häufiger gefoult.« Eigentlich ist Oesker gar kein Referee, sondern Stürmer beim Mariendorfer SV. Seine Tochter, die beim VfB im Tor steht, sei »praktisch mit Fußball aufgewachsen«, dass sie nun selber kicke, freue ihn ganz ungemein. Ist es aber nicht verwunderlich, dass die Lichtenfelderinnen überlegen führen, obwohl sie im Schnitt einen Kopf kleiner sind als ihre Gegnerinnen? »Die Körpergröße spielt eigentlich kaum eine Rolle – Vaalserquartier ist auch gar nicht so schlecht, wie das Ergebnis vermuten ließe. Die lange Reise spielt sicher eine Rolle, dazu kommt die Aufregung, auf einem wildfremden Platz in einer wildfremden Stadt zu stehen. Wenn unsere Mädchenmannschaft in Westdeutschland spielt, ist es das Gleiche …«

Kurz nach dem Wiederanpfiff versucht eine einsame Vaalserquartier-Supporterin, das grüne Team anzufeuern. Und hat zunächst gegen drei Lichterfelder Zehnjährige kaum eine Chance; die Jungs haben gerade eben ihr Spiel gewonnen und geben nun lautstark durchdachte Anweisungen wie: »Nimm ihr den Ball ab!« Was jedoch kaum Wirkung zeigt, die Gäste beherrschen plötzlich das Spiel.

Blöderweise erweist sich das Wort Vaalserquartier jedoch weder als singbar noch als sonstwie in den gängigen Schlachtrufen unterzubringen. »Aachen! Aachen!« schreit die Frau schließlich, woraufhin der Jungsblock beweist, wie laut drei wirklich entschlossene Kinder sein können. Sophie und ihre Kollegin Prisca zeigen derweil, wie einfach Toreschießen sein kann: Ein maßgerechter Pass, ein entschlossener Schuss, und schon steht es 2:1. Was wenig verwundert, denn beide Mädchen spielen in der U-15 des DFB-Stützpunktes Mittelrhein.

Kurz darauf fällt der Ausgleich. Diesmal war es Prisca, die passte, und Sophie, die verwandelte. »Los jetzt!«, feuern sich die Aachenerinnen gegenseitig an, »das gewinnen wir!«, während die Lichterfelder Trainerin plötzlich an ihren Spielerinnen verzweifelt. »Zum Ball gucken!« schreit sie ein Mädchen an, das verträumt durch die Gegend schaut, »ran!« und »hin!« fordert sie die Berlinerinnen auf. Erfolglos, denn kurz darauf schlagen Sophie und Prisca wieder zu. Die nach dem 3:2 allerdings noch ein bisschen zittern müssen, denn plötzlich haben es sich die bis dato eher lethargisch wirkenden VfB-erinnen anders überlegt und spielen wieder mit.

Zudem wird der dreiköpfige Fanblock wieder aktiv und muntert die Lichterfelderinnen auf: »Hey, wir haben auch 3:2 hinten gelegen eben und es trotzdem noch geschafft«, rufen sie, ziehen ihre Trikots an und starten die Welle. Die Aachenerinnen verteidigen jedoch geschickt, und am Ende sind sie immens stolz. Nach Berlin zu fahren und dort auch noch zu gewinnen, sei etwas ganz Besonderes, sagen sie, während die Gegnerinnen die mitgebrachten Printen in Empfang nehmen. Doch, erklärt auch Sophie nach dem Abpfiff, mit dem Ergebis sei sie sehr zufrieden, einen Treffer habe sie »mit rechts geschossen, einen mit links, fehlte nur noch ein Kopfballtor«.