Blair bleibt Chef

Auf dem Parteitag der Labour Party »entschuldigte« sich Tony Blair: Der Krieg war richtig, die Gründe waren falsch. Trotz Kritik bekam er Unterstützung für seine Irakpolitik. von alex veit
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Blickt man zurück auf Labour-Parteitage vor Unterhauswahlen in den letzten Jahren, fällt vor allem die stetig sinkende Begeisterung für Premierminister Tony Blair in der Partei auf. 1996, in der Endphase einer in Skandalen untergehenden konservativen Regierung, wurde die Labour-Partei von einem nie zuvor gekannten Hoch in den Umfragen getragen, was den jungen Medienstar jenseits aller Kritik und Angreifbarkeit stellte. Der tendenziell undemokratische Führungsstil des Premierministers wurde ignoriert, solange der Glanz des dynamischen Blair auf die Partei ausstrahlte.

Der Labour-Parteitag 2001 ließ bereits nichts mehr von dem Stolz auf den Medienliebling Blair spüren. Die Delegierten beklatschten seine Rede wie das Publikum einer Fernsehshow, dem ein Praktikant Schilder mit der Aufforderung zum Applaus entgegenstreckt. Aber Begeisterung für eine Regierung, die Krankenhäuser und Schulen privatisieren wollte und auch sonst auf linke Symbolpolitik weitgehend verzichtete, zeigten die Vertreter der Arbeiter des Vereinigten Königreichs nicht. Die damalige Show im Seebadstädtchen Brighton war jedoch von einem Tony Blair dominiert, der eine erfolgreiche, wenn auch nicht sozialdemokratisch regierende Labour Party führte. Er war damals im Begriff, das historische Novum einer zweiten Amtszeit für eine Labour-Regierung zu erreichen, und dafür biss man sich auf die Zunge.

Vielleicht gewinnt Blair die im nächsten Jahr fälligen Unterhauswahlen auch mit Finanzminister Gordon Brown, der erneut eine Rede hielt, mit der er sich als ewiger Kronprinz und innerparteilicher Widersacher des Parteichefs profilierte, und gegen die ebenfalls quasi innerparteiliche Opposition der Gewerkschaften, die nach wie vor keine Strategie im Umgang mit einem wirtschaftsliberalen Labour-Chef gefunden haben.

Auf dem Parteitag in der vergangenen Woche blieben die Delegierten erkennbar zögerlich, bestätigten Blair aber erneut in seinem Amt als Parteichef. Ein Antrag, der den Abzug britischer Truppen nach Wahlen im Irak verlangte, wurde abgeschmettert. Noch sieht sich offenbar kein Parteipolitiker in der Lage, Blair von seinem Chefsessel zu vertreiben. Und freiwillig wird er nicht gehen: Am Donnerstag kündigte er sogar an, eine volle dritte Amtszeit regieren zu wollen.

Alles sollte sich um die Innenpolitik drehen. Was aber wird in Erinnerung bleiben von diesem Parteitag? Dass Tony Blair sich entschuldigt hat? Wenn auch nicht für den Krieg selbst, sondern für die Kriegsgründe: »Ich kann mich entschuldigen für die Informationen, die sich als falsch herausgestellt haben, aber ich kann mich nicht ehrlich für die Entfernung von Saddam entschuldigen.«

Vielleicht bleiben die pixelschwachen Bilder eines älteren, sportlichen Herren im Gedächtnis, der in einer orangefarbenen Uniform in einer Art Hühnerstall sitzend um sein Leben fleht und Tony Blair einen Lügner nennt: Kenneth Bigley, 62, Ingenieur einer Firma, die im Irak Militärbasen baut, ist in der Gewalt einer Gruppe namens Tawid & Jihad (»Monotheismus und Jihad«), die vor wenigen Wochen zwei US-amerikanische Kollegen von Bigley geköpft hat. Angeführt wird Tawid & Jihad von Abu Musab al-Zarqawi, derzeit angeblich nach Ussama bin Laden prominentestes Mitglied von al-Quaida.

Am Mittwoch vergangener Woche, einen Tag nach Blairs Rede, trug Kenneth Bigley seinen Teil zum Labour-Parteitag bei. »Ich möchte die britischen Bürger darüber informieren, dass es keine Fortschritte gibt. Tony Blair lügt«, sagte Bigley dem arabischen Sender al-Jazeera zufolge, der das Video mit unverständlichem Ton ausstrahlte. »Er kümmert sich nicht um mich. Ich bin nur eine Person. Blair sagt, er würde nicht mit Terroristen verhandeln. Ich flehe Sie an, ich flehe Sie an zu sprechen, sich einzusetzen.« Blair und sein Außenminister Jack Straw erklärten daraufhin, dass es zwar nichts zu verhandeln gebe, dass die Entführer sich jedoch melden könnten. Die Regierung selbst habe aber keine Kontaktadresse von Tawid & Jihad.

Bigleys Entführer fordern die Freilassung weiblicher politischer Gefangener im Irak. Davon gibt es nach Angaben der US-Regierung allerdings nur zwei, die im Regime Saddams tätig waren, und deren Freilassung sei derzeit nicht vorgesehen.

Kenneth Bigley hat einen Bruder, Paul, der seit der Entführung einen prominenten Platz in der Antikriegsbewegung eingenommen hat. Er nutzte die Zeit des Parteitags dazu, Blairs Rücktritt, den Abzug der britischen Truppen aus dem Irak und die Erfüllung der Forderungen der Entführer seines Bruders zu verlangen. »Blair hat nicht mehr genügend Glaubwürdigkeit, um ein Fahrrad zu verkaufen«, war das erfolgreichste Zitat Paul Bigleys.

Genauso sehen dies die Stop the War Coalition (STWC) und die Muslim Association of Britain, die die Proteste gegen den Irakkrieg organisiert haben. In einer gemeinsamen Erklärung forderten sie die Freilassung der Geisel. Außerdem reiste eine Delegation des gemäßigten Muslim Council of Britain in den Irak, um sich für Bigley zu verwenden. Demonstrationen für seine Freilassung, wie sie in Frankreich nach der Entführung der beiden Journalisten oder in Italien für die Freilassung der beiden Friedensaktivistinnen stattgefunden haben, gibt es in Großbritannien jedoch nicht.

Anders als in Frankreich und ähnlich wie in Italien machen die britischen Kriegsgegner nicht die Kidnapper, sondern die eigene Regierung verantwortlich für die Entführung. »Solche schrecklichen Episoden sind die direkte und unvermeidliche Konsequenz der illegalen Aggression gegen den Irak«, heißt es in einer Erklärung der STWC. Auf Nachfrage erklärte Andrew Burgin, ein Sprecher der Kriegsgegner, dass die Entführungen zwar nicht der Sache des irakischen Volks dienten, es jedoch ein Recht auf Widerstand gegen die Besatzung des Irak gebe. Ob auch die mutmaßlich zu al-Quaida gehörenden Entführer von Bigley legitime Widerstandskämpfer sind, wollte Burgin allerdings nicht spezifizieren. Die Entführungen seien zwar nicht ganz vergleichbar mit der Gefangennahme von Irakern durch westliche Truppen, meint Burgin, »aber es gibt da doppelte Standards: Auch in amerikanischen Gefängnissen wie Abu Ghraib sind Menschen in der Haft gestorben.«

Die Mehrheit der britischen Öffentlichkeit würde diesen Vergleich wohl nicht ziehen. Jedenfalls konnte die Labour Party am Donnerstag eine Nachwahl für den Unterhaussitz der langjährigen Labour-Hochburg Hartlepool gewinnen. Trotzdem bleibt der Irakkrieg für Tony Blair eine Last, die einen historischen dritten Wahlsieg verhindern könnte. Er kann nur hoffen, dass die Gewalt bis zu den Unterhauswahlen so weit zurückgeht, dass sie von den Titelseiten der Zeitungen verschwindet.