Die Rückkehr des Verdrängten

Das Verfahren gegen Andrea Klump wegen des Attentats auf einen Bus mit jüdischen Auswanderern im Jahr 1991 ist abgeschlossen. Das Kapitel des linken Antisemitismus noch nicht. von oliver tolmein

Die Internetseite, auf der für Solidarität mit Andrea Klump geworben wurde, wurde bereits vor der Urteilsverkündung abgeschaltet. Die Erklärung, die die 47jährige ehemalige Sympathisantin der Roten Armee Fraktion (RAF) in ihrem Verfahren vor dem Oberlandesgericht Stuttgart abgab, ist weder von den Anwälten noch von den Angehörigen noch von der Angeklagten selbst zu erhalten.

Da auch sonst, anders als beim ersten Prozess gegen Klump, der im Mai 2001 abgeschlossen worden war, keine Stellungnahmen an die Öffentlichkeit gelangten, prägen die Versatzstücke aus den Medien die Wahrnehmung dieses wohl trostlosesten Verfahrens, das die Generalbundesanwaltschaft gegen Leute aus der RAF und ihrem antiimperialistischen Umfeld je führte.

In der vorigen Woche wurden die Verhandlungen mit einem Urteilsspruch beendet, der, verglichen mit anderen Entscheidungen der Staatsschutzsenate der Oberlandesgerichte, zumindest nicht als drakonisch bezeichnet werden kann. Klump erhielt für ihre Rolle bei dem in Ungarn ausgeführten Anschlag auf 28 jüdische Emigrantinnen und Emigranten aus der damaligen Sowjetunion im Jahr 1991 eine Einzelstrafe von sieben Jahren. Das Gericht verurteilte sie wegen Beihilfe zu dem von ihrem zeitweiligen Lebensgefährten Horst Meyer und einem unbekannt gebliebenen weiteren Täter verübten Anschlag. Das Sprengstoffattentat wurde vom Gericht als 32facher versuchter Mord bewertet. Zwei ungarische Polizeibeamte wurden damals schwer und vier ungarische jüdische Businsassen leicht verletzt. Zu dem Anschlag bekannte sich eine »Bewegung für die Befreiung Jerusalems«.

Da Andrea Klump im Mai 2001 bereits zu neun Jahren Haft für ihre Beteiligung an einem misslungenen Sprengstoffanschlag auf den von US-amerikanischen Streitkräften genutzten Militärstützpunkt im spanischen Rota im Jahr 1988 verurteilt worden war, bildete das Oberlandesgericht Stuttgart aus beiden Freiheitsstrafen eine Gesamtfreiheitsstrafe von 12 Jahren.

Trostlos an dem in 20 Verhandlungstagen abgewickelten Prozess war die Selbstdarstellung von Andrea Klump, der die Bundesanwaltschaft wegen DNA-Resten auf einem in einer Budapester Wohnung gefundenen Betttuch auf die Spur gekommen war. Die in den siebziger und frühen achtziger Jahren in der antiimperialistischen Szene aktive Frau stellte sich im wesentlichen als Opfer fremder Einflüsse dar, eine Tendenz, die sich bereits in ihrer Prozesserklärung aus dem Rota-Verfahren vor vier Jahren abgezeichnet hatte.

Vor allem betonte sie ihre emotionale und materielle Abhängigkeit von Horst Meyer, der in den Jahren der Illegalität mit palästinensischen Gruppen kooperiert hatte. »Sie hatte Angst, dass sie bei einem Bruch der Beziehung allein ohne soziale Kontakte und Geld leben müsste, und dies im Ausland«, bewertete der Vorsitzende Richter Udo Heissler in der mündlichen Urteilsbegründung das Teilgeständnis Klumps. Horst Meyer wurde bei der Festnahme 1999 in Wien von der Polizei bei einem Schusswechsel getötet.

Klump hatte für Meyer, dessen Pläne sie kannte, aber ihrer Aussage zufolge ablehnte, in Budapest vor dem antisemitischen Anschlag sechs Wohnungen unter konspirativen Bedingungen angemietet. Außerdem hatte sie Bus- und Zugverbindungen ermittelt und so Meyers Flucht mitorganisiert. Sie hatte nach ihren eigenen Angaben lediglich darum gebeten, rechtzeitig vor dem Anschlag informiert zu werden, um selbst aus Budapest verschwinden zu können.

Im Prozess erklärte Klump, die zunächst behauptet hatte, an dem Mordversuch an jüdischen Auswanderern nicht beteiligt gewesen zu sein: »Auch wenn ich nur am Rande mit dem Sprengstoffanschlag zu tun hatte, empfinde ich heute Scham über mein Verhalten.« Zweifelsohne ist es für die rechtliche Beurteilung ihrer Schuld wichtig festzustellen, dass Andrea Klump nur eine Randfigur dieses Geschehens war. Warum es für ihr eigenes Schamgefühl wichtig sein sollte, erläuterte sie nicht. Sie führte auch nicht genauer aus, wofür sie sich heute schäme. Auch angesichts des späten Zeitpunkts ihres Eingeständnisses, das erst am 17. Verhandlungstag erfolgte, gut fünf Wochen vor Ende des Prozesses, ist nicht anzunehmen, dass es Andrea Klump in erster Linie darum ging, sich mit der Tatsache auseinanderzusetzen, als deutsche Linke an der versuchten Ermordung von Juden beteiligt gewesen zu sein, die vor den häufiger werdenden antisemitischen Übergriffen in der SU nach Israel fliehen wollten.

Der Anschlag von Budapest verlängerte die Reihe der antisemitischen Verbrechen, die militante deutsche Linke in Zusammenarbeit mit palästinensischen Gruppen oder auch ohne ihre Hilfe vor allem in den siebziger Jahren begangen haben, in die neunziger Jahre. Damals wurde der linke Antisemitismus und die besondere Nähe gerade der bewaffnet kämpfenden Gruppen zu ihren palästinensischen Genossen von anderen Linken bereits scharf kritisiert. Etwa der Sprengstoffanschlag der Gruppe »Schwarze Ratten – Tupamaros Westberlin« auf das Haus der Jüdischen Gemeinde in Berlin am 9. November 1969, die begeisterte Reaktion von Ulrike Meinhof auf den Überfall des palästinensischen Kommandos »Schwarzer September« auf die israelische Olympiamannschaft in München im Jahr 1972, bei der mehrere Sportler ermordet wurden, oder die Beteiligung von Mitgliedern der Revolutionären Zellen an der Entführung eines französischen Passagierflugzeugs nach Entebbe in Uganda im Jahr 1976, bei der die jüdischen Passagiere von den nicht jüdischen getrennt wurden.

Die Auseinandersetzung über den linken Antisemitismus hatte in den Monaten vor dem Anschlag von Budapest in der Kontroverse über den Zweiten Golfkrieg im Jahr 1991 eine wichtige Rolle gespielt. Es wurde zum Beispiel über die an den besetzten Häusern in der Hamburger Hafenstraße angebrachte Parole debattiert: »Boykottiert Israel – Waren – Kibbuzim und Strände!« Ende 1991 wurde auch das von ehemaligen Aktiven der Revolutionären Zellen verfasste Papier mit dem Titel »Gerd Albartus ist tot!« veröffentlicht, das sich, ausgehend von der Ermordung ihres zeitweiligen Mitstreiters Albartus durch eine palästinensische Gruppe im Dezember 1987, kritisch mit dem Verhältnis der deutschen Linken zu Israel und den palästinensischen militanten Gruppen befasste.

Der Anschlag auf den Bus mit jüdischen Auswanderern, der nur wegen einer ungenauen Einstellung des Zeitzünders der Bombe den vorausfahrenden Polizeiwagen zerstörte und nicht den Bus, zeigt noch einmal, dass es die in diesen endlosen Debatten immer wieder behauptete klare Grenze zwischen Antizionismus und Antisemitismus nicht gibt. Die Juden, die in Budapest getötet werden sollten, flohen vor dem in der SU wachsenden Antisemitismus in das Land, das bereit war, sie aufzunehmen und ihnen Schutz zu bieten: nach Israel. Sie töten zu wollen, um den Kampf der Palästinenser zu unterstützen, bedeutete auch, ihren Verfolgern in der SU in die Hände zu spielen.

Von deutschen Linken hat es bislang kaum Stellungnahmen zu diesem Prozess gegen Klump gegeben. Auch dass der Anschlag von deutschen Linken ins Werk gesetzt wurde, ist bislang weitgehend mit Stillschweigen quittiert worden. Dabei ist dieser Anschlag, blickt man auf die Geschichte des deutschen Linksradikalismus zurück, kein unerklärlicher Zwischenfall, der nur den unmittelbar an der Tat Beteiligten zur Last fiele.