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Die Sozialistische Selbsthilfe Köln hält sich mit Transporten und Wohnungsentrümpelungen über Wasser. Und sie expandiert. von jörg kronauer

Geld oder Leben?« titelt dramatisch kumm erus! Das »Kölsche Blatt für soziale Gerechtigkeit« hat eine »Sondernummer SSK« herausgebracht, auf zwölf Seiten im Zeitungsformat geht es ausschließlich um die Sozialistische Selbsthilfe Köln, den »SSK«, wie der Verein in der Stadt genannt wird. Der Anlass ist die drohende Räumung eines Hauses, das vom SSK genutzt wird.

Zwei Kollektive bilden den SSK, eines in Ehrenfeld, das andere, zentral gelegen, am Salierring. Dort gibt es seit mehr als zehn Jahren Ärger mit dem Besitzer zweier von der Gruppe gemieteter Häuser. Er setzte am 2. Juni ein Räumungsbegehren für eines der Häuser durch. »Dem Beklagten wird eine Räumungsfrist bis zum 30. September 2004 bewilligt«, urteilte das Kölner Landgericht. Seitdem ist »eines der ältesten Kollektive in der BRD (…) akut bedroht«, schreibt kumm erus!.

Seit 1969 existiert der SSK, damals gegründet, um aus Heimen geflohenen Jugendlichen eine Zuflucht zu bieten. »Sozialpädagogische Sondermaßnahmen Köln« nannten Studierende der Fachhochschule für Sozialarbeit den Verein. Doch ihre reformpädagogischen Konzepte hatten bei den Jugendlichen keinen übermäßigen Erfolg. 1975 kam es zur Umbenennung in »Sozialistische Selbsthilfe Köln«.

Aus dieser Zeit datiert das Grundkonzept – Selbsthilfe und Selbstorganisation –, das sich bis heute gehalten hat. »Der SSK befreit sich als politisches Projekt aus der Abhängigkeit von Politik und Staatsgeldern«, heißt es in einer Selbstdarstellung des Kollektivs. Praktisch bedeutet das: Gemeinsame Erwerbsarbeit steht an. »Ein bewusster Schritt raus aus (…) Entmündigung und Gängelung«.

Ein Möbellager und eine Siebdruckwerkstatt unterhält das Kollektiv zurzeit, mit Transporten und Wohnungsentrümpelungen verdient man das nötige Geld. Nur Knochenarbeit? »Wir wollen eine Arbeit ausüben, die jeder ausüben kann«, sagt Petra vom SSK. So lässt sich gewährleisten, dass niemand von vornherein vom Kollektiv ausgeschlossen ist.

Nach innen bietet das Kollektiv einen gewissen Freiraum. »Der Druck, der draußen herrscht, ist hier nicht gegeben«, meint Petra. Wohnung und Lebensunterhalt zahlt das Kollektiv, zusätzlich bekommen seine Mitglieder 200 Euro im Monat. Ist man da nicht immer knapp bei Kasse? Nein, sagt die Kollektivistin Annette entschieden: »Ich habe nicht das Gefühl, finanziell auf schmalem Grat zu leben.« Alltagsbedarf erhält man oft billig im eigenen Trödelcafé, Extraausgaben finanziert schon mal das Kollektiv. Mancher hat es satt, aus Mitleid in der Kneipe eingeladen zu werden.

Das Trödelcafé dient als Anlaufpunkt für sozial ins Abseits geratene Menschen. »Wir haben immer ein offenes Ohr für sie«, sagt Petra. Viele Menschen, die aus der staatlichen Fürsorge gefallen sind, vom Sozial- oder Arbeitsamt Geprellte und MigrantInnen kommen zum SSK. Früher waren die Mitglieder aus Ärger über die Verhältnisse politisch sehr aktiv. »Heute haben wir nicht mehr diese Präsenz«, heißt es selbstkritisch auf der Website des Kollektivs.

Die kostenlose soziale Arbeit scheint auch der Stadtverwaltung zu gefallen. Sie bietet finanzielle Unterstützung an, um die drohende Räumung zu verhindern. Der Kauf des Gebäudes wäre die Lösung. Aber er scheiterte bislang am Preis. »Wir versuchen alles, um an Geld zu kommen«, sagt Annette, eine Erbschaft hat inzwischen ein solides Fundament geschaffen. Mit aller Kraft kämpft die Gruppe für ihren Erhalt.

Zulauf hat der SSK in jüngster Zeit erneut erhalten und plant die Gründung eines dritten Kollektivs. Der Bedarf nach neuen Gebäuden ist vorhanden. »Selbsthilfe und Selbstorganisation« – die Maxime hat sich der SSK in den siebziger Jahren angeeignet. In Zeiten von Massenverarmungsprogrammen gewinnt sie offenbar wieder an Attraktivität.