Jenseits der Klischees

In der arabischen Welt streitet man darüber, wie repräsentativ die Kultur ist, die auf der Buchmesse in Frankfurt am Main vorgestellt wird. von hannah wettig, beirut

Als die Arabische Liga die Organisation für die Präsentation der arabischen Gäste auf der diesjährigen Buchmesse in Frankfurt am Main übernahm, wurde schnell Skepsis laut. Diesseits und jenseits des Mittelmeers fanden Autoren, Künstler und Literaturkritiker, dass die Dachorganisation der 22 arabischen Länder nicht der richtige Partner für eine Kulturveranstaltung sein könne.

In Europa lebende Araber und Kurden warnten, dass die Liga als Repräsentantin repressiver Regime Zensur üben würde. Doch in der arabischen Welt läuft die Kritik zumeist in eine ganz andere Richtung. Hier hat man vor allem die Inkompetenz der notorisch zerstrittenen Arabischen Liga vor Augen. Die ägyptische Autorin Salwa Bakr beschwerte sich in einem Interview mit der libanesischen Tageszeitung As-Safir, dass die Araber sich mal wieder nicht einigen könnten. Im selben Artikel, den die Zeitung mit »Die Messe in Frankfurt – eine Katastrophe?« übertitelte, wird auf die eifrigen Koreaner hingewiesen, die viel früher mit der Organisation ihres Ehrenauftritts auf der Frankfurter Buchmesse im kommenden Jahr begonnen hätten.

Der Fernsehsender al-Jazeera zeigte jüngst eine Fragerunde mit dem Präsidenten der Arabischen Verlegergemeinschaft, Ibrahim Muallim. Ob denn auch der Hass auf die USA und der wirkliche Islam in Frankfurt angemessen dargestellt würden, fragte ein Zuschauer. Und der Moderator kritisierte, dass die arabischen Repräsentanten nur das säkulare westliche Denken verträten.

»Glücklicherweise«, würde die libanesische Schriftstellerin Iman Humaidan-Junis sagen: »Ich hoffe, dass dies nicht so eine Veranstaltung ist, wo der Westen denkt, Dialog mit der arabischen Welt bedeute Dialog mit Fundamentalisten. Ich habe dieselben Probleme mit Fundamentalisten«, sagt die Autorin, deren Roman »Wilde Maulbeeren« zu Beginn der Messe ins Deutsche übersetzt wird. »Ich höre von allen um mich herum, dass es ein Skandal wird, weil wir nichts zu zeigen hätten. Selbstverständlich haben wir das! Das Problem ist, dass wir auf das, was wir haben, nicht stolz sind.«

Der Stolz sei mit den Leitbildern verloren gegangen, glaubt sie: »Die großen Ideologien sind tot. Übrig sind der Fundamentalismus und die alten Regime. Leute wie wir sind marginalisiert. Meine erste Reaktion war zu fragen: Wie können wir in den Raum zwischen diesen beiden Polen eindringen?« So sehr man Humaidan-Lunis zustimmen mag, die Reaktionen der Zuschauer und des Moderators in jener al-Jazeera-Sendung zeigen, was das Problem ist. Nämlich die Frage, wie repräsentativ die Kultur ist, die in Frankfurt vorgestellt wird. Der Islamismus hat anders als vormals linke Ideologien keine großen Schriftsteller hervorgebracht, sondern Massen an religiösen Schriften, die auf früheren Buchmessen häufig das einzige waren, was arabische Verleger an ihren Ständen darboten.

Staatliche Zensur, sagen viele Kulturschaffende, ob in Marokko oder Ägypten, ist ein geringeres Problem als die gesellschaftliche Stimmung. Mit dem Zensor kann man vielleicht verhandeln. Militante Islamisten hingegen bedrohen nicht nur ihre Gegner mit dem Leben, ihre Mitläufer lesen auch einfach keine unreligiöse Literatur. In Ländern wie Ägypten, wo die Alphabetisierungsquote bei nur 50 Prozent liegt, ist der Anteil derer, die mal ein Buch lesen, ohnehin gering. Doch auch im Libanon mit seinem hohen Bildungsniveau klagen Buchhändler wie Pädagogen über eine geringe Bereitschaft zum Lesen. Hier wie auch in den Ländern des Maghreb kommt noch das Problem der Sprache hinzu. Der französische Kolonialismus hat in einigen Gegenden ein Bildungssystem hinterlassen, das das Arabische dem Französischen unterordnet. Noch heute müssen Kinder, die im Libanon französische Schulen besuchen, nicht nur auf dem Pausenhof französisch reden, selbst ihre Eltern werden dazu angehalten, kein Arabisch zu sprechen.

»Die Leute, die solche Bücher hier lesen, lesen sie ohnehin auf Englisch oder Französisch«, erläuterte jüngst der arabische Verleger von Dan Browns »Da Vinci Code« auf die Frage, warum ihn das Verbot des Buches im Libanon finanziell nicht beunruhige. Da verwundert es nicht, dass Autoren wie der Libanese Amin Maalouf oder der Marokkaner Tahar Ben Jelloun gleich auf Französisch schreiben. In der Autorengemeinde sorgt das für Unmut. Bei einem Treffen des Generalsekretärs der Arabischen Liga, Amr Moussa, mit den libanesischen Schriftstellern, die nach Frankfurt eingeladen sind, kam es zu einem Tumult, als einer der auf französisch Schreibenden forderte, die Frankophonen müssten mehr Raum bekommen, weil sie schließlich im Westen bekannter seien.

Wenn auch die meisten Autoren erbost ihre Wahl für das Arabische verteidigten, so wissen sie doch, dass nur die Übersetzung der Werke in westliche Sprachen ihren Beruf auch zum Broterwerb machen kann. Doch auf dem globalen Buchmarkt haben es arabische Autoren schwer. In Deutschland sind von mehr als 125 000 belletristischen Titeln 40 Prozent Übersetzungen. Doch weniger als 0,3 Prozent stammen aus der arabischen Welt. Das mag ein Stilproblem sein. Wie Peter Ripken von der Gesellschaft zur Förderung der Literatur aus Afrika, Asien und Lateinamerika in einer Untersuchung über Übersetzungen aus dem Arabischen schreibt, sind arabischen Autoren »ein Lesepublikum in Europa und international erfolgreiche Erzählstrategien, wie sie besonders US-amerikanische Autoren pflegen, ziemlich gleichgültig«. Doch haben arabische Autoren auch mit Stereotypen zu kämpfen. »Es gibt deutliche Indizien dafür, dass europäische Verleger, aber auch Leser vorgefertigte und feste Meinungen darüber haben, worum es bei arabischer Literatur eigentlich gehen soll«, schreibt Ripken. Titel mit dem Wort »Schleier« verkauften sich besser als Titel ohne orientalische Konnotationen.

Frauenliteratur liegt im Trend. Vor allem im englischsprachigen Raum, aber auch in Deutschland haben Verlage auffällig viele arabische Autorinnen im Programm, häufig mehr als deren männliche Kollegen. »Leider sind aber gerade Bücher mit so genannten Frauenthemen diejenigen, die Klischeevorstellungen über die Frau im Islam befördern«, schreibt Ripken. »War es seit einigen Jahren besonders der Schleier, der Texte von arabischen Frauen verkaufen half, so ist es in jüngster Zeit neben der Gewalt an Frauen besonders die Erotik in von Frauen geschriebenen Romanen.«

Assaad Khairallah, Professor für nahöstliche Sprachen an der Amerikanischen Universität in Beirut, bestätigt das. »Weibliche Schriftstellerinnen sind überall en vogue, besonders im Westen. Stammen sie aus arabischen und islamischen Ländern, sind sie noch attraktiver, weil man annimmt, sie seien verschleiert und ohne Stimme«, sagt Khairallah. Allerdings betont er, dass es in der arabischen Welt auch tatsächlich immer mehr Autorinnen gibt. »Ihre literarische Produktion ist der ihrer männlichen Kollegen sowohl in Quantität als auch in Qualität gleich.«

Doch häufig spielt der Geschmack von Verlegern und Lesern nur eine untergeordnete Rolle. Zunächst einmal muss ein Buch schließlich übersetzt werden. Übersetzer haben in der Vergangenheit viel Schelte von arabischer Seite bekommen: Sie würden Autoren ungerechtfertigt zu Ruhm verhelfen, gar ihre besten Freunde bei Übersetzungen bevorzugen. Übersetzer geben zu, dass sie Lieblingsautoren haben. Das ist bei anderen Sprachen nicht anders. Doch ist die Riege der Übersetzer aus dem Arabischen ungleich kleiner. Für Übersetzungen ins Deutsche gibt es nur vier oder fünf professionelle Übersetzer.