Öfter mal abheben

Deutschland und die Schulden von thomas blum

Fortwährend war in den letzten Monaten vom Sparen die Rede. Täglich wurde dem Bürger eingebläut, er müsse Verzicht leisten und den Gürtel enger schnallen. Jahrzehntelang, so hieß es vollmundig und verlogen, habe der Deutsche über seine Verhältnisse gelebt. Aber bei eingehender Betrachtung stellt sich vielmehr heraus, dass hierzulande geradezu kärglich, praktisch menschenunwürdig vegetiert wurde. Sie wissen, wovon die Rede ist: immer nur Urlaub auf Balkonien, immer nur Ersatzkaffee und zum Abendbrot jeden Tag kalte Platte. Das hat der Deutsche nicht verdient, nach allem, was er im letzten Jahrhundert geleistet hat: Zwei kräftezehrende Weltkriege und ein wuchtiges Wirtschaftswunder hat er ohne fremde Hilfe hingelegt, und was ist nun der Dank? Rezession, Arbeitslosigkeit, Sozialabbau und das Ausscheiden aus der Fußball-EM!

Nein, vom Sparen ist noch keiner jemals reich geworden. Wer spart, verarmt, lehrt die Geschichte. Damit ist jetzt Schluss. Andersrum wird ein Schuh draus. Nur wer vom Arbeitgeber oder vom Staat in steter Regelmäßigkeit mit beträchtlichen Mengen Geld ausgestattet wird, bleibt bei Laune und veranstaltet keine den Straßenverkehr behindernden Montagsdemonstrationen.

Dass in der Regierung bislang noch keiner darauf gekommen ist, ist beschämend. Doch nun zeigt uns Finanzminister Hans Eichel endlich, wie’s geht. In seinem Etat hat er wegen Steuerausfällen und fehlender Einnahmen »Ausgaben in Höhe von 255,6 Milliarden Euro« und eine »Neuverschuldung von 43,7 Milliarden Euro« vorgesehen, melden die Agenturen.

Und weil der Deutsche derzeit wenig Geld hat und künftig noch weniger, hat er die Botschaft verstanden und wehrt sich tüchtig auf seine Art. Er macht es seiner Regierung einfach nach! »Jetzt helfe ich mir selbst«, sagt sich der mündige Bürger und sucht stracks den Kreditgeber seines Vertrauens auf. Erste Erfolge dieses kühnen Aufbegehrens sind schon sichtbar. »In Deutschland hat die Verschuldung vieler Menschen vielfach dramatische Ausmaße erreicht«, meldet die Deutsche Presseagentur (dpa) in völliger Verkennung dieser lange ersehnten Revolte. »Mehr als drei Millionen Haushalte« seien »überschuldet« und könnten »Kredite nicht mehr mit ihrem Einkommen abzahlen«. Im Schnitt habe der Bundesbürger 3 000 Euro »Schulden«, heißt es im üblichen Wirtschaftsjargon. Die Übersetzung lautet: In drei Millionen Haushalten regt sich zaghaft endlich der Widerstand, auf den man so lange vergeblich gewartet hat.

Schon ein altes Sprichwort sagt: »Ist’s auf’m Konto nicht so toll / Leih’ dir Geld, dann wird’s schon voll.« Und das ist wohlgetan. Auch unsereins hat ein Recht auf sein tägliches Pfund Kaviar, Wachteln in Blätterteig und ein paar Hektoliter Champagner am wohlverdienten Wochenende nach einer Woche Arbeitsfron am Fließband, in der Fischmehlfabrik oder am Managerschreibtisch. Ist das etwa zu viel verlangt?

Und wer könnt’ es dem kleinen Mann von der Straße verdenken? Wird draußen in der weiten Welt, auf den Bahamas und in Beverly Hills etwa gespart, Herr Schröder? Nein, nur in Berlin und Buxtehude! Das ist ungerecht und muss sich ändern. Der zivile Ungehorsam hat begonnen! »Leiht euch Kohle, damit’s uns besser geht!« (Trio)