Rolltreppe abwärts

Über den Niedergang der Kaufhauskultur. von holm friebe

Die Hauptstadtzeitungen boten dieser Tage Kurioses: Neben sich zuspitzenden Hiobsbotschaften über den zerberstenden Karstadt-Quelle-Konzern waren fröhliche Anzeigen geschaltet, die auf das 75jährige Jubiläum von Karstadt am Hermannplatz aufmerksam machten und mit preisreduzierter »hochwertiger Satin-Bettwäsche-Garnitur« und »vielen weiteren tollen Angeboten« zum Mitfeiern einluden. Eben jenes Kaufhaus, das wie kein zweites von verblichener Größe und Glanz des Konzerns kündet und bei seiner Eröffnung im Jahr 1927 als das modernste Europas galt. Zur Hauptattraktion des neunstöckigen Baus wurden neben der integrierten Badeanstalt und dem Dachgarten die 24 Rolltreppen, die damals alle aufwärts fuhren und erst eine Stunde vor Geschäftsschluss die Richtung wechselten. Es fällt schwer, dahinter keine symbolische Dimension zu erkennen. Karstadt am Herrmannplatz war die Stein gewordene Utopie des Urbanen, die in Deutschland erst in der Zwischenkriegszeit ihren Höhepunkt fand. Nicht umsonst wurden die nächtlich beleuchteten Kaufhausfassaden die Ikone der Weimarer Republik schlechthin. In New York, London und Paris waren derartige Einrichtungen schon früh im 19. Jahrhundert als Alternative zu Wochenmärkten und Spezialgeschäften entstanden.

Die großen Kaufhäuser der europäischen Metropolen waren die Orte, an denen sich die bürgerliche Gesellschaft als Konsumgesellschaft konstituierte, wo das Raffinement des »haut commerce« zur Herausbildung des feinen Geschmacks und damit zur Veredelung des Menschen beitrug. Gemeinsam mit den Universitäten bildeten die Kaufhäuser und Arkaden die entlegensten städtischen Antipoden zur »Idiotie des Landlebens« (Karl Marx). Frühzeitig prägten sie das Bewusstsein dafür, dass Konsumkultur eben nicht nur mit Konsum, sondern auch mit Kultur zu tun hat. So beschreibt Balzac bereits 1837 das Pariser Modewarengeschäft »Le Petit Matelot« mit allen Attributen, die das moderne Kaufhaus auszeichnen: »Es war das erste der Geschäfte, die sich seither in Paris mit mehr oder weniger gemalten Reklameschildern, flatternden Spruchbändern, Schaukästen mit aufgehängten Schals, mit Krawatten, arrangiert wie Kartenhäuser, und tausenderlei anderen händlerischen Verführungskünsten etabliert haben, mit festen Preisen, kleinen Leisten, Plakaten, optischen Täuschungen, und all das zu einem solchen Grad der Vollkommenheit gesteigert, dass die Ladenfenster zu kaufmännischen Dichtungen geworden sind.« Emile Zola schrieb 1883 den gleichnamigen Roman über das fiktive Kaufhaus »Paradies der Damen«, das sich in seiner psychologisch ausgefeilten und genderspezifisch optimierten Verführungsgewalt jedoch alsbald als sozialer Moloch erweist. Mit dem raffiniert inszenierten Massenkonsum war die Konsumkritik geboren, die seither ein Korrektiv des Kapitalismus bildet.

Weder sie noch die vorübergehenden Einbrüche während des Zweiten Weltkrieges konnten dem Konzept Kaufhaus etwas anhaben. Vielmehr war es die vermeintliche Robustheit des Konzeptes selbst und seine demokratische Inflationierung, die den schleichenden, jahrzehntelang erfolgreich kaschierten Niedergang vorbereiteten. In bester Wirtschaftswundermanier wurde die bundesrepublikanische Provinz mit Kaufhäusern zugeklotzt, jede Klein- und Mittelstadt erhielt ihre Fußgängerzone und ein Hertie, Horten oder Karstadt, am besten gleich alle drei. Rolltreppefahren wurde für Provinzteenager der fünfziger Jahre, was es in den zwanziger Jahren für Metropolenkids gewesen war. Aber irgendwie war das utopisch-phantastische Moment des Konsums, das auch im bloßen Schauen und Träumen bestanden hatte, im Wühltisch untergegangen. Die Häuser trugen der nachholenden und nachschuborientierten Versorgungsmentalität Rechnung und sahen innen wie außen alle gleich aus. Selbst ein spektakulärer Bau wie das im Zweiten Weltkrieg nur leicht zerstörte Stuttgarter Kaufhaus Schocken mit seiner geschwungenen Fassade von Erich Mendelsohn musste 1960 dem schnöden Hertie-Einheitsdesign von Egon Eiermann weichen, das tatsächlich an nicht viel mehr denken lässt als an Eierkartons.

Auch die subtile semiotische Verschiebung vom Kauf- zum Warenhaus dürfte in diese Zeit fallen. Das anschwellende Warensortiment ging einher mit einer deprimierenden Gleichförmigkeit des Ambientes. Der schleichende Exodus der angestammten innerstädtischen Fachgeschäfte bildete lange Zeit die verdeckte Nachschubbasis dieses freudlos-pragmatischen Konsums, Schlussverkäufe und Vorweihnachtsgeschäft brachten immer wieder Geld in die Kassen und nährten die Hoffnung, man habe es nur mit konjunkturellen Dellen im Konsumklima zu tun, aber irgendwann war auch damit Sense.

Genau zu dem Zeitpunkt nämlich, als die Discounter und Fachmärkte ins Warenhaussortiment einbrachen, als große Versorgungsparks vor der Stadt begannen, die zuvor pseudo-urbanisierte Provinz nachhaltig zu amerikanisieren, und als die Verbraucher begriffen, dass sie auf das bisschen Service zugunsten geringerer Preise getrost auch noch verzichten können. In Zeiten polarisierter Märkte und hybriden Konsums ist das klassische, auf die nivellierte Mittelstandsgesellschaft ausgerichtete Warenhaus passé. Da helfen auch keine Eventkonzepte, Shop-in-shop-Systeme und erst recht keine verlängerten Ladenöffnungszeiten. Auf eine Weise kann es als Rache des stationären Sortimenteinzelhandels an den Warenhäusern interpretiert werden, dass kleine spezialisierte Läden und Boutiquen heute wieder eine Chance haben, indem sie eine besondere Nische abdecken, eine gute Vorauswahl treffen oder einen originellen Zusatznutzen bieten, während draußen auf der grünen Wiese oder bei Aldi der Basisbedarf abgedeckt wird.

Dass die Karstadt-Gruppe die Krise am härtesten trifft, während Konkurrenten wie Metro noch vergleichsweise gut dastehen, hängt zum Teil mit Missmanagement zusammen – einer aberwitzigen und absehbar gescheiterten Diversifizierungsstrategie zum großen Mischmaschkonzern –, zum andern hat es mit der Marke Karstadt selbst zu tun, die im mediokren Kaufhaussegment immer die mittelmäßigste war. Wofür Karstadt steht, das konnte auch das Heer der Marken- und Marketingstrategen, die sich im Lauf der letzten Jahre gut dotiert daran zu schaffen machen, nicht ergründen. Deshalb kopierten sie zum Schluss das Erscheinungsbild von Nivea (lies: vertrauenswürdige Volksmarke) so dreist, dass dieser Auftritt per Gerichtsentscheid abgeändert werden musste, und erfanden den Claim »Besser Karstadt«, der selbst dann, wenn man von der Branche wenig erwartet, eine beachtliche Minderleistung markiert.

Die Marke Karstadt wird wohl bestehen bleiben, ebenso wie das Karstadt am Hermannplatz sein Schattendasein als ehemaliger Konsumtempel, der den Namen verdiente, weiter fristen wird. Für die dort Angestellten mag das ein Trost sein, die bundesweit um die 8 000 zukünftigen Ex-Karstadt-Mitarbeiter in den kleineren Filialen sind zu bedauern. Wenn allerdings der Deutsche Städte- und Gemeindenbund angesichts der bevorstehenden Schließungen Alarm schlägt und warnt: »Wenn so ein Kaufhaus schließt und es gibt keine Nachfolgenutzung, dann hat das einen Verödungseffekt mit gravierenden Folgen nicht nur für die Bevölkerung, sondern auch für die Stadt« – dann ist dem entgegenzuhalten: Öder geht’s doch kaum noch. Man sollte die Kaufhäuser einfach abreißen und Wald pflanzen.