Vetorecht ist Ehrensache

Ein ständiger Sitz im UN-Sicherheitsrat wäre für Deutschland ein enormer Zuwachs an Macht. Der Rat könnte zur alten Blockadepolitik zurückkehren. von rainer trampert

Wie die Zeiten sich ändern. Nazi-Deutschland verließ den Völkerbund, das rot-grüne Deutschland will in der Uno »mehr Verantwortung übernehmen«, sagt Außenminister Fischer, weil die Weltorganisation »den geopolitischen Realitäten entsprechen« müsse.

Geopolitik meint Macht und Einfluss auf dem Erdball. Und da hat sich in den vergangenen 15 Jahren tatsächlich viel bewegt. Der sowjetische »Riese« trat auf den Weltmarkt und zerfiel in einzelne Staaten. Das Westbündnis erodierte, weil ihm der Feind abhanden gekommen war. Die USA nutzen ihren militärischen Vorsprung mehr für sich. Deutschland legte seine Fesseln ab, dehnte sich gen Osten aus und begann unter Kanzler Gerhard Schröder das transatlantische Bündnis zu zersetzen, um mit Frankreich und Russland eine Kontinentalachse zu bilden. Bald war man mit 10 000 Soldaten im Außeneinsatz.

Eine beachtliche Leistung, die man sich entgelten lassen will mit einem Platz im »Club der Dicken«. So nennen afrikanische Diplomaten die ständigen Mitglieder im Sicherheitsrat der Uno, von denen jedes einzelne mit seinem Veto jeden Uno-Beschluss außer Kraft setzen darf.

Deutschland will nicht allein, sondern mit Japan, Indien, Brasilien und einem afrikanischen Staat in den Rat. Seit die Uno existiert, um »künftige Geschlechter vor der Geißel des Krieges zu bewahren«, nehmen die USA, Russland – als Nachfolger der Sowjetunion –, Großbritannien, Frankreich und China die Plätze der ständigen Mitglieder ein, die nun auf zehn aufgestockt werden sollen. Man könnte eine späte List der alten deutsch-japanischen Kriegsallianz vermuten. Zehn Staaten mit Vetorecht schwächen die exklusive Bedeutung der »Siegermächte«, soweit sie sich aus ihrer Position in der Weltorganisation ableitet, und könnten eine Entscheidungsblockade herbeiführen.

Schon jetzt karikieren die Bewerber den Status der Mächtigen. Neben Deutschland und seinen Partnern bewerben sich Indonesien, Senegal, Nigeria, Ägypten, Südafrika, auch Libyen, dessen Außenminister sagte, sein Land habe wegen »der politischen Philosophie seines Führers Muammar el Ghaddafi einen ständigen Sitz verdient«. Die Uno ist doch kein Karnevalsverein! Immerhin haben sich darin 191 Staaten »zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit« verpflichtet! Nicht nur Imperialisten, auch Generäle wie Augusto Pinochet und Perves Musharraf, oder Idi Amin, Nicolae Ceaucescu, Saddam Hussein und hundert andere Henker und Verbrecher waren und sind in der Uno für den Weltfrieden verantwortlich.

Die Blockade wäre einerseits eine Rückkehr zur Normalität. In 45 Jahren Blockkonfrontation trafen sich die Mächte mit Vetorecht, die Kriege, Überfälle und Diktaturen zu verantworten hatten, um routiniert ein Veto nach dem anderen gegen die Vorlagen des Gegenblocks einzulegen. Niemand verband mit der Uno Frieden und internationales Recht. Diese absurde Idee wurde erst populär, als der Irak Kuwait überfiel, weil Kuwait informell eine Provinz der USA und Großbritanniens ist. Da wurde internationales Recht zum Kriegsrecht. Vom Algerien- bis zum Vietnam-Krieg, vom Völkermord in Indonesien über die Aktivitäten der Juntas bis zu dem von Südafrika unterstützten 30jährigen Krieg in Angola, der Millionen das Leben kostete, waren und sind nahezu alle militärischen Konflikte grausamer als das Geplänkel um Kuwait.

Andererseits wäre die Blockade eine adäquate Modernisierung der Uno, weil die Weltpolitik zur Blockkonfrontation zurückkehrt. Deutschland, Frankreich, China und selbst Japan, das sich von den USA lösen will, setzen auf die multipolare Welt gegen »amerikanischen Unilateralismus« und meinen sich als Zentrum eines Gegenblocks. Tony Blair warnt vor »rivalisierenden Machtzentren«, die den »Kalten Krieg in anderer Form wieder erstehen« lassen.

Altkanzler Helmut Schmidt und der Sicherheitsstratege der CDU, Wolfgang Schäuble, werfen der Regierung unter Bundeskanzler Gerhard Schröder zu Recht »Geltungsbedürfnis« bzw. »Renationalisierung der Außenpolitik« vor, im Übrigen hinken sie aber der Zeit hinterher. Beide favorisieren einen gemeinsamen EU-Sitz und befürchten mehr Militäreinsätze. Abgesehen davon, dass keine europäische Außenpolitik existiert, würden sich Frankreich und Großbritannien nicht für den EU-Sitz aus dem Rat hinauswerfen lassen, um sich dem deutschen Einfluss zu unterwerfen. Deshalb unterstützen fast alle EU-Staaten das deutsche Streben nach einem eigenen Sitz, auch Großbritannien.

Dagegen sind nur die holländische und die italienische Regierung, die geradezu Amok läuft. Der italienische Außenminister Franco Frattini befürchtet den Bedeutungsverlust seines Landes, macht sich aber zum Fürsprecher der 56 arabisch-islamischen Länder, die er dort vertreten sehen möchte. Silvio Berlusconi bat den US-Präsidenten George W. Bush schriftlich um Hilfe »im Konflikt mit Deutschland«.

Für Militäreinsätze gilt: Die Zeiten, in denen die BRD absahnte, weil die USA die Welt in Schach hielten, sind vorbei. Die nationale Regression treibt ins 19. Jahrhundert zurück. Deutschland muss selber über seine Investitionen, Transportwege und Schutzgelder wachen, sonst sind sie weg. Man wird, wie im Irak-Konflikt, über die Beteiligung an Kriegen und Besetzungen danach entscheiden, ob für die Nation etwas abfällt.

Der Sitz im Sicherheitsrat böte einige Vorteile. Für die Kriegsverbrecher Deutschland und Japan wäre der von der »Weltgemeinschaft« anerkannte Rang neben Staaten, die ihretwegen Millionen Tote zu beklagen hatten, ein Prestigegewinn, und sie könnten ihr ökonomisches Gewicht besser in Politik umsetzen. Die Uno ist eine Börse, auf der mächtige Imperien sich gegenseitig mittel- und ohnmächtige Staaten für gefällige Resolutionen abhandeln und diese um ihre Preise feilschen, die sehr schwanken. Russlands Enthaltung im Irakkrieg kostete ein milliardenschweres Schuldenmoratorium. Die Stimme des Sudan wird man bekommen für das Versprechen, das Land so bald nicht zu bombardieren.

Wenn es Deutschland gelänge, im Rat die USA zu isolieren, würde man sich zu einer wichtigen Anlaufadresse mausern können, ohne die »künftige Krisen schwerer zu handhaben« wären, wie Fischer androht. Die Chancen auf den Sitz steigen, weil die USA geschwächt sind. Wenn die Irak-Konferenz der USA nicht nur Wahlkampfgetöse ist, sondern ein aus der Not geborener Versuch, ehemalige Gegner des Krieges für die Ordnung des Iraks zu gewinnen, wird Deutschland vielleicht einen hohen Preis verlangen: den Sitz im UN-Sicherheitsrat. Deutschland beginnt bald mit der Ausbildung des irakischen Militärs und liefert 20 Panzer für den Häuserkampf, die Israel verweigert wurden, weil sie für enge Gassen in palästinensischen Orten geeignet seien.

Wie es aussieht, werden Schröder und Fischer bis zur nächsten Bundestagswahl groß rauskommen. Man wird oft von Deutschlands nationaler Größe, von seinen Freunden in der Welt und den Feinden, welche die nationale Größe missachten, hören. Schon heute unterstützen 57 Prozent der Deutschen Infratest zufolge den ständigen Sitz im Sicherheitsrat auch dann, wenn er »mit zusätzlichen finanziellen Lasten und militärischen Einsätzen verbunden ist«. Man ist bereit zum Verzicht. Man möchte ja nur wissen, wofür. Und da zählt die Ehre der Nation manchmal mehr als der schnöde Mammon.