Heimat, deine Lieder!

Auch im Radio sind zu kurz gekommene Deutsche auf dem Vormarsch. Wohin die Reise geht, weiß felix klopotek

Udo L. geht’s ans Geld. Heinz R.K. war auch schon da. Marius und Nena schmieden große Pläne. Muss man das noch erwähnen? Läuft doch wie geschmiert für Quotenmucker. Friedensbewegt hat sich längst gelegt. Heute juckt doch nur, wie das Konto steht. Spielen an der Front wie früher in Bonn Rockmusik – Arbeitsplätze hat man davon«, singt Peter Hein, das Mastermind der Fehlfarben, mit seiner Zweitband Family 5. Damit wäre eigentlich alles gesagt, denn von allen Nationalismen ist die Forderung nach einer Quote für Deutschpop der durchsichtigste und einfältigste.

Dass Nationalismus eben auch ein Betrugsmanöver kleinkarierter Lobbyisten und notorisch Zukurzgekommener ist, fällt an der Quotendebatte besonders auf. Fast ist es peinlich und übertrieben konstruktiv, die vier Argumente gegen eine Quote aufzuzählen:

Popmusik ist ein globales Phänomen, das sich noch nie Schemata gefügt hat, die sich dauerhaft national umhegen ließen. Szenen sind interessant als lokale und regionale (Hamburger Schule, Westcoast HipHop, Elektronik aus Köln), und Genres scheren sich nicht um Grenzen: Nicht einmal Nazirock ist ein deutsches Phänomen.

Dass es in den letzten Jahren eine Krise der angloamerikanischen Hegemonie gegeben hat, liegt auf der Hand, heißt aber nicht, dass an die Leerstelle deutsche Musik rücken müsste. Aufregende Musik kommt heute nicht nur aus London und New York, sondern aus Istanbul, Marseille, Warschau, Dakar, Havanna, Johannesburg und übrigens auch aus Berlin. Interessant daran sind weniger die angeblichen nationalen Eigenheiten, sondern die Richtungen, in die bestimmte Stile sich entwickeln, die Importe und Re-Importe von Rhythmen und Sounds. Wer guten HipHop hören will, muss sich heutzutage auch für Musik aus Tansania interessieren.

Die Musik, die in Deutschland gemacht wird und die es wert ist, dass man ihr zuhört, wäre von einer Quote ganz und gar nicht tangiert: The Notwist und Blumfeld haben eine Quote noch nie gebraucht und der Berliner Noisecore-Band Mutter würde selbst sie nicht viel helfen.

In den letzten fünfzehn Jahren hat es in der Instrumentalmusik einen Boom gegeben, nämlich Techno. Wie wollte man diese musikalische Spielart mit einer Quote fördern bzw. ausgrenzen? Was wäre an dem Beat von Westbam besonders deutsch?

Weil die hastig angezettelte Debatte um die Quote so dumm und also wenig durchdacht ist, wird sie verhältnismäßig schnell wieder verschwinden. Den Ruf, dass sich hier die kommerziellen Loser versammeln, um Punkte für ihre Gema-Abrechnung zu schinden, wird die Quoten-Charta nicht los.

Man könnte an diesem Punkt die Polemik beenden und sich den wichtigeren Dingen zuwenden. Man verkennt dann aber, dass das voraussichtliche Scheitern der Quotendebatte auf diese wichtigeren Dinge verweist: Es ist interessant, sich den nationalistischen Gehalt dieser Debatte vor Augen zu führen. Es handelt sich nämlich um einen selbstbezüglichen, jammernden und nörgelnden Nationalismus. »Wir müssen uns in unserem eigenen Land den Raum für unsere Musik und unsere Sprache erkämpfen!«, das ist der Aufschrei der Quotenkämpfer, und er hat in der Tat etwas Beleidigtes. Der kleine Mann stampft mit dem Fuß auf und will Mittelpunkt der Welt sein. Nun ist es so, dass die Deutschen in den letzten Jahren und Jahrzehnten an Hedonismus und Konsumsucht gewöhnt wurden, allein schon, um der schleichenden, stets drohenden Absatzkrise zuvorzukommen. Die Märkte quellen über und sie müssen leergefuttert werden, sonst funktioniert der Kapitalumschlag nicht mehr. Der Ruf nach einer Quote ist die Forderung nach Regulierung eines gesellschaftlichen Feldes, Regulierung heißt in diesem Fall Rückbesinnung auf nationale Werte. Der Konsument spürt, was das bedeutet: Einschränkung und Verzicht. Kein schnöder Hedonismus, sondern hehre Ideale. Das ist bitter.

Nationalismus artikuliert sich in Deutschland unter den Bedingungen der Neuen Mitte als etwas Lebendiges, nach außen Gerichtetes. Vermeintlich aufgeschlossen und modern präsentiert er sich, ungefähr so: »Wir sind stolz auf Deutschland, weil Schröder nicht am Irakkrieg teilnimmt, sondern sich als Friedenskanzler profiliert und Soldatenfriedhöfe in Frankreich besucht.« Auch Auschwitz wurde bekanntlich outgesourced aufs kosovarische Amselfeld. Zum neuen Nationalismus gehört auch der »selbstbewusste« Umgang mit der Geschichte: Dass Hitler eine Katastrophe war, geben wir gerne zu. Solange wir es sind, die davon reden! Die Vergangenheit ist eine deutsche Angelegenheit.

Die Forderung nach einer Quote ist eine Zombiedebatte aus den Tagen Helmut Kohls, als Nationalismus noch »Heimatliebe« hieß. Die spezifische nationalistische Leistung der Bundesegierung besteht darin, dass es mittlerweile weithin akzeptiert ist, dass man sich positiv auf Deutschland bezieht. Kohl entzweite die Bevölkerung mehr als Schröder. Niemand, auch die Popgruppe Mia nicht, hätte ihm den Nimbus des Friedenskanzlers zugestanden. Die Nationalideologie der rot-grünen Regierung beruht auf der Idee, dass man zugleich Weltbürger und Verfechter deutscher Interessen sein könne. Das eine bedingt das andere.

Was die deutsche Außenpolitik angeht, so ist Deutschland bereits auf der Höhe der Globalisierung. Innenpolitisch werden derweil Sozialabbau und autoritäre Armutsverwaltung (»Hartz IV«) betrieben. Dass sich die Politik dabei in durchaus dramatische Widersprüche verwickelt, dass man also schlecht an den Konsumenten im Lohnabhängigen appellieren kann, wenn man ihm gleichzeitig das Geld wegnimmt und erhöhtem Druck aussetzt, liegt auf der Hand. Diese verschlungenen und widersprüchlichen Wege des aktuellen deutschen Nationalismus zeigen sich nicht in der Quotendebatte, der es noch um Kohlsche Heimatliebe und Austerity geht. Umso deutlicher ahnen diejenigen, denen am Wohl der Nation gelegen ist, dass die Debatte hoffnungslos anachronistisch ist.

Sie hat allerdings einen aktuellen Aspekt. Sie verdeckt, dass es sehr wohl eine vernünftige Realpolitik im Bereich der Popmusik geben könnte. Um nur zwei Beispiele zu nennen: Das öffentlich-rechtliche Radio ist in den letzten Jahren kaputtgespart worden und verödet, Sendeformate, die den Anspruch haben, aktuelle Musik adäquat vorzustellen, gibt es kaum noch. Und in vielen Städten gibt es eine restriktive Politik des jeweiligen Ordnungsamtes. Besetzen junge Menschen ein leer stehendes Haus, um ein autonomes Zentrum zu haben, in dem dann die Konzerte stattfinden könnten, für die es sonst in der Stadt keinen Platz gäbe, so ist dies aus Sicht der jeweiligen Stadtverwaltung kein politisches, sondern ein polizeiliches Problem.

Gegen solche Phänomene der schleichenden Verblödung und der zunehmenden Repression lohnt es sich, Widerstand zu organisieren. Wer in angloamerikanischer Popmusik das Hauptproblem sieht und mit Deutschland im Großen und Ganzen Frieden geschlossen hat, wird dies kaum leisten können, denn er müsste den Widerstand zuallererst gegen sich selbst organisieren.