Die Zeitung wie in echt

Mit dem E-Paper wollen die Zeitungsverlage neue Leser werben. von philipp steglich

Das große E-Paper-Fieber hat die deutschsprachigen Medien erwischt. Seit dieser Woche gibt es auch den Spiegel als E-Paper im World Wide Web, Seite für Seite sieht alles genauso aus wie in der gedruckten Ausgabe. Bereits seit Mitte des Monats erscheint mit der Frankfurter Rundschau auch die letzte der großen Tageszeitungen als E-Paper, wie das digitale Abbild der gedruckten Ausgabe genannt wird. In der Einführungsphase ist die Lektüre erst einmal kostenlos, der Spiegel wie auch die FR werden für einige Monate weltweit komplett im Netz zu lesen sein. Die jeweilige Ausgabe wird nicht in einem eigenen Online-Layout angezeigt, sondern als verkleinerte Printausgabe. Man »blättert« also wie gewohnt durch die »Seiten« und kann sich besser durch das Blatt hangeln, da die Texte an ihren bekannten Positionen stehen.

Denn die Platzierung und andere optische Gestaltungsmittel wie Typografie, Rahmen und Spaltenlänge geben Auskunft über die Textsorte. So lassen sich z.B. Glossen oder Kommentare schon anhand von Platzierung und Layout als solche erkennen. Für manchen Leser ist es also deutlich einfacher geworden, sich durch die Zeitung zu navigieren, da er sein vertrautes Produkt, wenn schon nicht in Händen halten, so doch in gewohnter Aufmachung betrachten kann. Und auch Leser, die wenig Erfahrung damit haben, Texte im Netz am Computerbildschirm zu lesen, müssen nicht komplett umlernen und mit ihren Lektüregewohnheiten brechen. Deshalb spekulieren die Verlage nicht ganz zu Unrecht auf künftige Abonnenten aus dem Ausland oder aus dem Bundesgebiet, die ihr Heimatblatt vermissen.

Allerdings ist das E-Paper nicht immer wirklich lesefreundlich: Entweder fällt die Darstellung auf dem Bildschirm recht klein aus oder man muss sich das E-Paper als PDF-Datei auf den Computer herunterladen. Die Datei kann wie im Fall der Sächsischen Zeitung schon mal die stolze Größe von zwanzig Megabyte haben. Der analog mit dem Internet verbundene Leser kann sich die am Vorabend erschienene Zeitung so über Nacht bis zum Frühstück am anderen Morgen in aller Gemütlichkeit herunterladen.

Ungelöst ist das Problem, wie die grafisch aufwendigen Werbeanzeigen dem E-Paper-Konsumenten ordentlich vor Augen geführt werden können, ohne dass sie übermäßig Bandbreite kosten, aber doch in lesbarer Qualität.

Die Hinwendung zum E-Paper ist zugleich eine Absage an die technischen Möglichkeiten des Internet, denn mit Ausnahme der virtuellen Erscheinungsform und der schnelleren Verfügbarkeit – schon am Vorabend des Erscheinens – nutzt das E-Paper nicht die technischen Möglichkeiten des Internet. Mit Hypertextualität – immerhin eine entscheidende Fuktionalität des Webs – hat das E-Paper nichts mehr zu tun. Selbst wenn eine Zeitung nicht rein linear, wie beispielsweise eine Erzählung, aufgebaut ist, so kann ihr »Verweissystem« aus Teasern, Inhaltskästen und Ausblockern nicht mit den Links des WWW mithalten.

Wir erinnern uns: In den Boomjahren des Webs – um das Jahr 2000 – gründeten die Verlagshäuser munter Online-Portale, deren Inhalte und Layout sich bewusst von der Printausgabe unterscheiden und dem User einen ordentlichen Mehrwert liefern sollten. So wollte man auf dem schnelllebigen Medienmarkt mit laufend aktualisierten Nachrichten, Newstickern, exklusiven Vorabmeldungen mithalten. Vorabmeldungen bildeten immerhin ein Äquivalent zu den Expressausgaben des letzten Jahrhunderts, die wir noch aus Schwarzweißfilmen kennen, in welchen sie von »Extrablatt!« rufenden bemützten Zeitungsjungen beworben wurden.

Mit Foren und einer Kommentarfunktion sollten die Leser zudem sofort eingreifen und am Diskurs teilhaben können. Mit diesen als besonders demokratisch angepriesenen Techniken wurde insgeheim vor allem eine belastbarere Leser-Blatt-Bindung angestrebt. Einst waren die Foren der taz legendär. Selten hatte man solchen reaktionären, unqualifizierten und chauvinistischen Dreck gelesen – das Bild von der Leserschaft verdüsterte sich mit jedem weiteren Eintrag. Zur Zeit des Kosovokrieges überflügelten sich die Forenbesucher gegenseitig und zuweilen sogar den taz-Reporter Erich Rathfelder in ihrem ausgeprägten Serbenhass. Und keine Schlussredaktion konnte sie stoppen. So nahm es nicht Wunder, dass dieses Angebot Ende 2001 eingestellt wurde; die Außenwirkung war einfach zu fatal, und selbst mit verstärkter Moderation und einer Zensur der Beiträge war dem nicht beizukommen. Nur die endgültige Abschaltung der Foren war möglich.

Mit dem E-Paper hat man solche Probleme nun nicht mehr. Der Aufbruch in eine neue Welt ist das allerdings nicht, sondern eher Schadensbegrenzung. Die in den letzten Jahren gegründeten Online-Redaktionen werden auf ein Minimum verkleinert. Jetzt braucht es ja nur noch das E-Paper. Wenn dies emphatisch als Neuerung gefeiert wird, dann ist das als Zeichen eines uneingestandenen Scheiterns anzusehen. Denn natürlich sind die Verlage ziemlich rat- und orientierungslos, wenn es um die Frage geht, wie mit virtuellen Inhalten und Formaten Profit zu machen sei.

Nach dem Zusammenbruch des Anzeigengeschäfts und der Stellenmärkte wollen sie ihre Online-Ausgaben nicht mehr länger quersubventionieren. Und das Modell einer Finanzierung durch Onlinewerbung funktioniert wohl nur bei den Internetseiten mit Millionenpublikum wie bei Spiegel-Online. Der Traum aus der seligen, von Euphorie geprägten Zeit des Neuen Marktes, mit Content Unsummen zu verdienen, ist aus. Es bleibt fraglich, ob die Zeitungen, wenn sie, wie die Süddeutsche Zeitung, nun von den Abonnenten drei und von Nicht-Abonnenten zwanzig Euro monatlich für die Nutzung des E-Papers verlangen, damit wirklich mehr als die entstehenden Kosten einnehmen.

Selbst das mit großem Aplomb zu Beginn des Jahres 2001 gestartete Portal faz.net der Frankfurter Allgemeinen Zeitung wurde, als die Kosten nicht eingespielt werden konnten, kontinuierlich reduziert. Jetzt enthält es neben wenigen – und nicht mal den wichtigsten – Artikeln der Druckausgabe vor allem einen Haufen Online-Gimmicks wie populäre Abstimmungsformulare, Wetterdaten und ähnlichen Schnickschnack, der die Seite überflüssig aufbläht. Das Portal ist wohl eines der anschaulichsten Beispiele für einen ungeordneten Gemischtwarenladen, wo es eher wie bei Hempels unterm Sofa zugeht und nichts mehr an die streng konservativ gestaltete FAZ erinnert. So findet selbst der erfahrene User nur selten, wonach er sucht. Dabei sind sogar über 20 000 Buchrezensionen aus der FAZ der letzten Jahre online und kostenlos verfügbar. Ein wirklich hilfreicher Nutzen für den Bücherfreund, wenn er einmal die entsprechende Suchmaske entdeckt hat.

Es bleibt als technischer Vorteil des E-Papers eigentlich nur die Vereinheitlichung der Darstellung. So dass man selbst noch nach Jahren das originale Erscheinungsbild sich vor Augen führen kann. Verbunden mit der Hoffnung, dass die Suchfunktionen dann einmal ebenso einheitlich funktionieren.