Rabbis gegen Rabbis

Die israelische Rechte und Sharons Rückzugsplan von stefan gilles

Als die Ministerpräsidenten der Arbeitspartei, Yitzhak Rabin und Ehud Barak, über einen weitgehenden israelischen Rückzug aus den 1967 eroberten Gebieten verhandelten, scheiterte das Ganze an der Friedensunwilligkeit Arafats. Doch auch mit einem kompromissbereiteren Partner wäre es für die beiden schwer gewesen, mögliche Räumungen den israelischen Siedlern und der Rechten zu vermitteln.

Es sah zunächst so aus, als ob Ariel Sharon die Rechten für einen Rückzug aus dem Gazastreifen gewinnen könnte. Die Umfragen sehen in der Bevölkerung deutliche Mehrheiten für Sharon, der als Vater der Siedlerbewegung gilt. Doch je näher der Räumungstermin im Frühjahr rückt, desto aktiver werden auch seine Gegner.

Sharon wird von Teilen der Rechten als »Diktator« oder sogar »Judenrat« diffamiert, so etwa von Nadia Matar, einer Aktivistin der Siedlerorganisation Women in Green. Einige drohen sogar mit der Ermordung des Ministerpräsidenten: Rabbi Yosef Dayan etwa kündigte die Abhaltung einer »pulsa de nura« an, einer kabbalistischen Todesfluch-Zeremonie. Diesen Fluch hatten jüdische Extremisten im Oktober 1995 gegen Rabin ausgesprochen, kurz danach wurde er ermordet. Führende Vertreter des konservativen Judentums in Israel haben inzwischen ihre Anhänger aufgefordert, für Sharons Sicherheit zu beten.

Andere Siedlerlobbyisten gehen von Haus zu Haus und veranstalten Demonstrationen, um für den Erhalt der Siedlungen zu werben. Sie geben zu bedenken, dass ein Rückzug aus dem Gazastreifen die Bekämpfung der terroristischen Infrastruktur dort erheblich erschwere. Kaum jemand in Israel glaubt an eine Verringerung des Terrors nach einem Abzug, denn die Hamas und andere Extremisten, die Israel vernichten wollen, würden einen Rückzug als Bestätigung ihres mörderischen Tuns werten.

Seit September rufen rechtsgerichtete Persönlichkeiten in verschiedenen Petitionen die Soldaten auf, Befehle zur Räumung von Siedlungen zu verweigern, unter ihnen 60 Rabbiner, die orthodoxe Soldaten religiös unterweisen. Doch zahlreiche andere prominente Rabbiner wie Shlomo Riskin aus der Westbanksiedlung Efrat wandten sich vergangene Woche in einem eigenen Aufruf dagegen. Riskin sieht trotz seiner Ablehnung des Abzugsplans in der Verweigerung des Armeedienstes eine Gefahr für die Zukunft Israels und widerspricht der Ansicht, Sharon verstoße gegen die Religionsgesetze: »Es gibt kein eindeutiges Verbot, auf Teile des Landes Israel zu verzichten, wenn es sich als notwendig erweist, um andere Teile des Staates zu stärken.«

In den israelischen Medien werden seit Wochen Bürgerkriegsszenarien debattiert. Befürworter und Gegner des Abzugsplans werfen sich gegenseitig vor, die Gesellschaft zu spalten. Mitte Oktober wurde zum ersten Mal in der Geschichte des Staates Israel eine Regierungserklärung in der Knesset abgelehnt. Dennoch kann Sharon hoffen, seinen Plan durchzusetzen. Mit den loyalen Abgeordneten seines Likud, mit der Arbeitspartei, der säkularen Shinui und dem orthodoxen Vereinigten Thorajudentum hätte er eine Mehrheit in der Knesset. Sharon hat viele Abgeordnete gegen sich aufgebracht, dennoch sind sich die meisten einig, dass der Rückzug langfristig dem Wohle Israels dient.

Die kürzlich vorgestellten neuen Medaillen der Marine scheinen das Ergebnis etwas vorschnell vorwegzunehmen, auch wenn die staatliche Münzstelle jede Verbindung zum Abkopplungsplan bestreitet: Auf der dort abgebildeten Karte Israels ist der Gazastreifen nicht mehr eingezeichnet.