Sie prügeln inkognito

Viele Männer sind es nicht, die sich gegen Männergewalt einsetzen. Die Täterberatung der Initiative »Männer gegen Männergewalt« bildet eine Ausnahme. von jörg kronauer

Die Täter sind überall. Sie sind unauffällig, unscheinbar, überangepasst. Und sie sind viele, vielleicht fünf Millionen. Jeder fünfte deutsche Mann, der in einer heterosexuellen Beziehung lebt, verübt körperliche Gewalt an Frauen, schätzt der Hamburger Gewaltberater Joachim Lempert: »In jedem Bus, in jeder Kinovorstellung ist man von Gewalttätern umgeben.« Obendrein begegnen viele Opfer ihrem Peiniger täglich – in der eigenen Wohnung.

Weltweit protestieren Frauenorganisationen am 25. November gegen die ungebrochene Männergewalt. Das Datum geht zurück auf den 25. November 1960. Damals wurden drei Schwestern, die gegen die brutale Militärdiktatur in der Dominikanischen Republik gekämpft hatten, vom militärischen Geheimdienst nach monatelanger Folter grausam ermordet. Lateinamerikanische und karibische Feministinnen erklärten im Jahr 1981 ihren Todestag zum Internationalen Aktionstag gegen Gewalt an Frauen, weiteten die Proteste gegen den schrecklichen Mord auf die unerträgliche männliche Alltagsgewalt aus. Sie lenkten damit den Blick auch auf die Gewaltverhältnisse im Innern der reichen westlichen Welt.

Auf deutsche Männer etwa, von denen rund 20 Prozent vorübergehend oder dauerhaft eine Frau misshandeln. Erst vor wenigen Wochen veröffentlichte die Bundesregierung eine Studie, die zwar nichts grundlegend Neues enthält, aber das hohe Gewaltniveau in Deutschland regierungsamtlich bestätigt (Jungle World, 46/04). Zwei von fünf Frauen haben danach »körperliche oder sexuelle Gewalt oder beides seit dem 16. Lebensjahr erlebt«. Rund ein Viertel aller Frauen in Deutschland, gut zehn Millionen also, werden oder wurden von ihrem aktuellen oder früheren Lebenspartner misshandelt.

»Gewalt gegen Frauen und Mädchen gehört zu den schweren Menschenrechtsverletzungen«, heißt es in der Publikation. Würden die Untersuchungsergebnisse aus einer übel beleumundeten Diktatur gemeldet, verfiele Deutschland am 25. November wohl in einen Sturm der Empörung.

Die Täter sind meist mit dem Opfer gut bekannt. Weniger als 20 Prozent der misshandelten Frauen nannten einen Fremden als Aggressor, sieben von zehn Frauen erlitten die Gewalt in der eigenen Wohnung. Die Täter sind in aller Regel »bemerkenswert unauffällig«, schreibt Gewaltberater Lempert, der die Hamburger Beratungsstelle »Männer gegen Männergewalt« leitet. Männergewalt, das bestätigt er, ist überdies »unabhängig von Bildung und Einkommen, über alle Bevölkerungsgruppen gleich verteilt«.

Wie aber kann es gelingen, den Gewalttätern Einhalt zu gebieten? Frauennotrufe, Frauenberatungsstellen und Frauenhäuser unterstützen seit Jahrzehnten die Opfer, schaffen für Frauen Möglichkeiten zum Ausbruch aus einem Gewaltverhältnis. Einen Beitrag von Männern zur Beendigung der unhaltbaren Verhältnisse würde man sich eigentlich wünschen. Seit einigen Jahren sind Tätertherapien verstärkt im Gespräch, darunter auch Zwangstherapien: Täter werden von Gerichten verpflichtet, sich einer Behandlung zu unterziehen.

Eine Zwangstherapie kann gar nicht gelingen, meint Frank Arlandt von der Kölner Beratungsstelle »Männer gegen Männergewalt«: »Ich kann keinen zwingen, sein Verhalten zu verändern, es muss sich eine Eigenmotivation entwickeln.« Die entsteht – wenn überhaupt – durch den Druck des sozialen Umfelds, oft durch die Trennungspläne der misshandelten Frau. Hier setzt Arlandt an: Per Telefon-Hotline können reuige Täter Kontakt zu »Männer gegen Männergewalt« aufnehmen. Bescheinigungen, die etwa vor Gericht entlastend verwandt werden könnten, gibt es für die Beratung nicht.

Die meisten Täter legen sich Ausreden zurecht, berichtet Arlandt. In einem ersten Schritt muss der Täter anerkennen, dass er für seine Tat verantwortlich ist, sich bewusst für die Misshandlung entschieden hat. »Es gibt keine Entschuldigung für Gewalthandeln«, stellt Arlandt fest. Geschlechtsspezifische Verhaltensmuster spielen dabei eine entscheidende Rolle, meint er: »Männer nehmen die eigenen Grenzen nicht wahr, und auch nicht die Grenzen von anderen. Auf ›unmännliche‹ Gefühle wie Hilflosigkeit, Angst oder Trauer reagieren viele mit Gewalt.« Arlandts Beratung zielt daher auf die Entwicklung sozialer Kompetenz, auf die Fähigkeit, Grenzen zu akzeptieren und mit den eigenen Aggressionen vernünftig umzugehen.

»Männer gegen Männergewalt« ist inzwischen in mehr als 20 Städten in Deutschland, Österreich und der Schweiz aktiv. Die Beratungsstellen, die in den vergangenen 15 Jahren mehrere tausend Gewalttäter beraten haben, richten sich hauptsächlich an das »Dunkelfeld«: An die rund 95 Prozent der gewalttätigen Männer, die für ihre Tat nicht vor Gericht gebracht wurden und in Statistiken nicht als Straftäter in Erscheinung treten. Anders verhält es sich bei Zwangstherapien. Nehmen Straftäter an einem Täterprogramm teil, dann können Staatsanwaltschaften unter Umständen von einer Anklageerhebung absehen. Therapie statt Strafe – das ist für Gewalttäter oft nur eine billige Möglichkeit, weitergehende Konsequenzen aus ihrer Misshandlung von Frauen zu vermeiden. Dabei ist der Erfolg von Zwangstherapien mehr als ungewiss, kritisieren Unterstützerinnen der Opfer.

Umso fataler sind die Kürzungen, die staatliche Stellen den Fraueninitiativen gegen Männergewalt zumuten. »Am Tag, bevor Bundesfamilienministerin Renate Schmidt die neue Gewaltstudie vorstellte, beschloss der Berliner Senat eine weitere Kürzung des Frauenetats«, berichtet Kristin Fischer vom Zweiten Berliner Frauenhaus. Auf eine halbe Million Euro belaufen sich die Kürzungen des Senats insgesamt, für das Zweite Frauenhaus erzwingen sie eine Halbierung der Belegplätze. In Hessen hat die Landesregierung inzwischen die Mittel für acht von 32 Frauenhäusern komplett gestrichen, sagt Eva-K. Hack von der Zentralen Informationsstelle für Autonome Frauenhäuser in Kassel.

Dabei sind die – noch – fast 400 Frauenhäuser in Deutschland durchgängig belegt, berichtet Hack. Ein Rückgang der Männergewalt ist nicht in Sicht. In Hessen haben die angezeigten Gewalttaten an Frauen im vergangenen Jahr um 20 Prozent zugenommen, berichtet das Kasseler Kooperationsbündnis »Nein zu Gewalt an Frauen«. Angesichts von Hartz IV fürchten viele Frauenhausmitarbeiterinnen einen weiteren Anstieg der Gewalt.

»Ein Licht für jede Frau« heißt die Aktion, mit der Frauenhäuser bundesweit am 25. November gegen die ungebrochene Männergewalt protestieren wollen. Achtstellig müsste die Anzahl der Lichter sein, sollte jede misshandelte Frau eines bekommen. Die Täter treiben sich weiterhin überall herum. »Sie sind als Täter nicht erkennbar«, schreibt Gewaltberater Lempert: Sie sind unauffällig, unscheinbar, überangepasst.