»Den Frauen wird Arbeit versprochen«

Klara Skrivankova

500 000 Frauen, so die offiziellen Schätzungen, werden jährlich Opfer von Frauenhandel in Westeuropa. Der Bundestag verschärfte Ende Oktober die Strafvorschriften für Menschenhandel und Zwangsprostitution. Die Betroffenen können dennoch weiterhin abgeschoben werden. La Strada, eine internationale regierungsunabhängige Organisation, die gegen Frauenhandel in Polen und Tschechien tätig ist, wurde 1995 gegründet. Das Projekt wurde bei der Verleihung der 11. MTV-Awards in Rom mit einer Sonderauszeichnung, dem »Free Your Mind«-Award, gewürdigt. Mit Klara Skrivankova, einer Mitarbeiterin von La Strada in Tschechien, sprach Kerstin Eschrich.

Prostitution ist in Tschechien offiziell verboten und findet in der Grauzone der Illegalität statt. Noch in diesem Jahr will die sozialliberale Regierung unter Premierminister Stanislav Gross die Prostitution legalisieren. Kann dieses Gesetz helfen, den Frauenhandel zu bekämpfen?

Nein, das Gesetz dient lediglich dazu, die Prostitution zu regeln. Es ist kein Instrument, um Menschenhandel zu verhindern. Natürlich kann es die Situation der Sexarbeiterinnen verbessern, die freiwillig arbeiten, indem es Minimalstandards in Nachtklubs festlegt – Arbeitsplatzbedingungen, Hygienevorschriften. Die Tendenz ist auch in den anderen europäischen Ländern die, dass gesetzliche Regulierungen konkret beim Thema »Arbeitsplatzbedingungen« ansetzen und nicht etwa beim Thema »öffentliche Ordnung«. Aber das ist noch nicht die Lösung für das Problem des Menschenhandels, schon deshalb nicht, weil das Problem national nicht in den Griff zu kriegen ist.

Wie definieren Sie Frauenhandel? Geht es dabei vor allem um den Bereich der Prostitution?

Die Definition, die wir als Organisation für unsere Arbeit verwenden, entspricht der UN-Konvention gegen organisiertes Verbrechen. Ein Zusatzprotokoll beschäftigt sich hauptsächlich mit Menschenhandel, was den Handel zur Ausbeutung von Menschen in der Sexindustrie einschließt. 80 bis 90 Prozent der Menschen, die in diesem Bereich verkauft werden, sind Frauen. Frauenhandel beschränkt sich aber nicht nur auf den Bereich der Prostitution. Daneben existieren auch Zwangsarbeit oder sklavereiähnliche Praktiken z.B. in privaten Haushalten, wo Frauen als Pflegerinnen und Putzkräfte ohne irgendwelche Rechte arbeiten müssen. Sklavenähnliche Arbeitsverhältnisse existieren in Fabriken oder in der Landwirtschaft. Dies betrifft dann Frauen und Männer gleichermaßen.

In den letzten Jahren zeichnet sich ab, dass gerade die Tschechische Republik immer stärker von dem Problem des Menschenhandels betroffen ist. Was sind die Gründe?

Inzwischen gilt Tschechien als relativ reiches Land und ist von drei verschiedenen Formen des Menschenhandels betroffen. Zum einen gibt es immer noch das Problem, dass Tschechinnen und Tschechen ins Ausland geschafft werden. Zum anderen ist Tschechien selbst zum Zielland geworden, in das Menschen aus dem Ausland gebracht werden. Ein neues Phänomen stellt der Handel innerhalb des Landes dar; das bedeutet, dass innerhalb der verschiedenen tschechischen Regionen mit Menschen gehandelt wird. Wie meistens bei dieser Form der organisierten Kriminalität werden sie aus ärmeren Regionen in reichere Gebiete oder in Gegenden geschafft, in denen es eine Konzentration der Sexindustrie gibt.

Aus welchen Ländern kommen die Menschen, die in der Tschechischen Republik verkauft werden? Vor allem aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion?

Nicht ausschließlich aus der ehemaligen Sowjetunion, obwohl es dort einige Länder gibt, in denen diese Verbrechen weit verbreitet sind. Genauso kommen die Menschen aus Vietnam und China. Ihnen wird Arbeit versprochen. Das können Jobs sein, von denen es explizit heißt, dass sie in der Sexindustrie angesiedelt sind, aber es kann auch sein, dass man den Leuten erzählt, dass sie Champignons auf einem Feld pflücken würden. Meistens handelt es sich aber um ganz andere Arbeiten, oder die Arbeitsbedingungen sind katastrophal.

Mit welchen Druckmitteln erreichen die Menschenhändler ihre Ziele?

Oft werden die Opfer einfach mit brutaler körperlicher Gewalt gezwungen, ganz grauenvolle Arbeiten unter entwürdigenden Bedingungen zu verrichten. Oder sie werden psychisch unter Druck gesetzt, bedroht oder in Schuldknechtschaft gehalten. Einer Frau wird beispielsweise der Job angeboten, im Ausland Obst zu pflücken. Sie wird über die Grenze geschafft, und dort sagen ihr die Händler dann: »Ab sofort wirst du als Prostituierte arbeiten.« Weigert sich die Frau, wird sie geschlagen oder vergewaltigt. Oder sie wird irgendwo eingesperrt und unter dauernder Beobachtung gehalten. Es kann auch passieren, dass die Händler sagen: »Du willst das nicht tun, okay, wir kennen deine Familie, wir wissen genau, woher du kommst, und wir werden uns deine Kinder schnappen.« In den vergangenen Jahren haben wir beobachtet, dass immer mehr mit raffinierten psychologischen Mitteln gearbeitet wird, um die Opfer gefügig zu machen.

Was wissen Sie über die Täter?

Oft stammen die Täter, die das Opfer ködern, aus seinem sozialen Umfeld, sie werden also von einem Freund, einer vertrauten Person oder sogar einem Familienmitglied angesprochen. Diese Personen sind dann das erste Glied in der Kette der Organisation. Der Menschenhandel geschieht zumeist im Umfeld von organisierter Kriminalität, wird also von international organisierten Gruppen betrieben. Auch wenn es üblich ist, vor allem von männlichen Menschenhändlern zu sprechen, gibt es eine nicht geringe Anzahl von Frauen, die an dem Verbrechen beteiligt ist.

Welcher Personenkreis ist besonders gefährdet, Opfer von Frauenhandel zu werden?

Man kann nicht sagen, dass es das typische Opfer gibt. Die betroffenen Frauen sind jedoch meist zwischen 20 und 30 Jahre alt und kommen aus armen Regionen. Aber es kann genauso Frauen mit Hochschulabschluss betreffen.

Wie könnte man effektiver gegen Menschenhandel vorgehen?

Realistische und schnell durchführbare Maßnahmen wären, den Opfern besser zu helfen, die Menschenhändler rigoros zu verfolgen und streng zu verurteilen. Den Betroffenen muss eine Lebensperspektive geboten werden, damit sie nicht wieder im Handel landen. Es ist gefährlich, wenn die Menschen in ihre Herkunftsländer zurückkehren und wieder in die gleiche hoffnungslose Situation zurückkommen. Das kann ein Teufelskreis sein.

Wo setzt La Strada an?

Unser Schwerpunkt liegt auf Prävention und Aufklärung. Auch wenn die Gefahren des Frauen- und Menschenhandels inzwischen in Tschechien allgemein bekannt sind, gibt es immer noch viele, die blauäugig sagen: »Mich kann das nicht treffen.«

Der andere Teil unserer Arbeit ist Sozialarbeit mit den Opfern. Auch nach Tschechien kommen natürlich immer wieder Frauen zurück, die ins Ausland verkauft wurden. Sie erfahren zu Hause dann oft Missbilligung. Sie brauchen Anonymität und Schutz. Wir geben ihnen gesundheitliche und psychologische Hilfe. Und wir unterstützen auch Menschen bei der Legalisierung ihres Status in Tschechien, wenngleich sehr viele Frauen zurück in ihre Herkunftsländer wollen. Wir versuchen, ihnen dann zusammen mit örtlichen Hilfsorganisationen dort einen Neubeginn zu erleichtern.