Eine Jagdfreundschaft

Zwischen der Essener WAZ-Gruppe und der Belegschaft der rumänischen Tageszeitung Romania Libera tobt ein heftiger Konflikt um redaktionelle Einflussnahme, Zensur und politische Interessen. von martin schwarz

Eigentlich ist Miklos Haraszti, Beauftragter für Pressefreiheit der Wiener Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), ein recht zurückhaltender Mensch. Kritiker meinen manchmal, er habe die diplomatischen Floskeln zu schnell gelernt, und das nicht unbedingt zugunsten seiner Mandanten – unabhängigen Medien und Journalisten in ganz Europa. Doch Ende September gab sich der Ungar einen Ruck und ließ schweres Geschütz gegen die Essener WAZ-Gruppe auffahren: »Die WAZ phantasiert, wenn sie mir unterstellt, ich hätte den Konflikt untersucht und sämtliche Verletzungen der Pressefreiheit ausgeschlossen«, äußert sich Haraszti in einem Rundschreiben.

Die WAZ nämlich hatte ihrerseits in einer Pressemitteilung darüber spekuliert, dass Haraszti nicht in dem Konflikt zwischen Konzern und der Redaktion von Romania Libera vermitteln wolle, weil es nichts zu vermitteln gebe. Tatsächlich besteht Haraszti darauf, dass er nicht in die Rolle des Mediators schlüpfen kann, solange dies nicht auch die Belegschaft der Bukarester Zeitung will.

Die Redaktion des Blattes wirft den Essenern vor, die Berichterstattung zugunsten der regierenden Sozialdemokraten beeinflussen zu wollen – was angesichts des Wahlkampfes um das Präsidentenamt und das Parlament umso schwerer wiegt. Da nämlich kämpften in den letzten Monaten der Wunschnachfolger des sozialistischen Präsidenten Ion Iliescu, Premier Adrian Nastase, und der liberale Kandidat und Bukarester Bürgermeister, Traian Basescu, verbissen um die Wählerstimmen. Umso größer waren natürlich die beiderseitigen Begehrlichkeiten rund um die innenpolitische Berichterstattung, und Iliescu und Nastase, beide mit der deutschen Bundesregierung in engstem Verhältnis, nützten die guten Beziehungen zu WAZ-Geschäftsführer Bodo Hombach.

Besonders enge Vertraute sind offensichtlich Hombach und Nastase: Die beiden würden gar miteinander Jagdausflüge unternehmen, ließ kürzlich der gefeuerte Romania-Libera-Direktor Petre Mihai Bacanu durchsickern. Dass die beiden miteinander durch die Wälder Transsylvaniens streifen und dabei offenbar auch schon mal über medienpolitische Strategien plaudern, erboste die Redaktion des rumänischen Blattes besonders. Eingeengt fühlen sich die Redakteure auch, weil die WAZ angesichts der Querelen um redaktionelle Freiheit und politische Einflussnahme gleich zwei Statthalter gen Bukarest entsandt hatte, die für Ordnung sorgen: Klaus Overbeck und sein Assistent Markus Kleininger sollen zumindest nach Darstellung der Redaktion immer wieder darauf gedrängt haben, kritische Artikel gegen die derzeitige sozialdemokratische Regierung, aber auch gegen Präsident Ion Iliescu zu unterlassen.

Der gefeuerte ehemalige Direktor Bacanu – ihm wirft die WAZ-Gruppe ihrerseits kriminelle Absichten vor – sieht mittlerweile die geleistete Aufbauarbeit bedroht und die Pressefreiheit gefährdet. Vielleicht ist aber Bacanu selbst nicht unbedingt der Anwalt der Pressefreiheit, sondern lediglich sein eigener: Zumindest nach Angaben der WAZ hatte Bacanu versucht, seinen Anteil an Romania Bacanu zu einem »unrealistischen« Preis an die WAZ zu verkaufen; dies sei von dem Essener Konzern abgelehnt worden, woraufhin Bacanu im eigenen Blatt eine Kampagne gegen den Mehrheitseigentümer losgetreten habe. Bodo Hombach sei als Lügner dargestellt worden, die Zeitung bezeichnete ihn nur noch als »Bodo Münchhausen«.

Allerdings dürfte nicht alles von Bacanu gesteuert sein; immerhin scheinen sich auch die Journalisten von Romania Libera ernsthafte Sorgen um die Blattlinie zu machen, und zwar so sehr, dass Ende September neun von ihnen in einen klapprigen Kleinbus stiegen und die weite Fahrt zur WAZ-Zentrale in Essen auf sich nahmen, um gegen die redaktionelle Einflussnahme zu protestieren.

Die WAZ-Pressestelle, professionell immerhin, machte aus der Demonstration einen Arbeitsbesuch und erklärte, die Gespräche zwischen Rumänen und WAZ-Entscheidungsträgern hätten in einem »atmosphärisch guten Rahmen« stattgefunden. Doch viel scheinen sie nicht erreicht zu haben, der Konflikt wird unterdessen auch von den rund 440 Angestellten von Romania Libera – darunter 150 Redakteure – unterschiedlich beurteilt. Die Zeitung berichtete Anfang November, dass es schon zu teils handgreiflichen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Fraktionen gekommen sei, um Artikel ins Blatt zu rücken oder eben deren Abdruck zu verhindern.

Der gefeuerte Chef Bacanu, unter Ceaucescu wegen regimekritischer Aktionen angeblich sogar mal im Gefängnis gelandet, fühlte sich angesichts der Auseinandersetzungen gar an das Jahr 1989 erinnert, als »die von Ceaucescu geschickten Minenarbeiter in die Redaktion eindrangen und alles zerstörten«. In den Dezembertagen 1989 hatte Romania Libera eine führende Rolle beim Sturz des sturen Diktators inne und war in den darauf folgenden Jahren zum Medium einer liberalen und intellektuellen Mittelschicht geworden – eine Rolle, die sie nun verspielt zu haben scheint: Die Auflage fiel von ursprünglich 77 000 Exemplaren auf nur noch 44 000 Stück.

Pressefreiheit ist also nicht immer eine Garantie für wirtschaftlichen Erfolg – das müssen nun die Redakteure von Romania Libera, aber auch die der zum Schweizer Ringier-Konzern gehörenden Tageszeitung Evenimentul Zilei bemerken. Sie protestieren ebenso heftig gegen Versuche der Konzernzentrale, sich redaktionell mit den derzeitigen Machthabern zu arrangieren. Mit Sympathie für die postkommunistische Regierung hat die interventionistische Haltung mitnichten etwas zu tun, sondern mit einer relativ realistischen Einschätzung der rumänischen Verhältnisse. Wenn jemand Inserate in einer der beiden Zeitungen schaltet, dann sind es meist Staatsfirmen; und in die Mediaplanung kommt nur, wer der Regierung nicht zu nahe tritt.

So sind es rumänische Redakteure gewöhnt, dass schon mal ein Minister persönlich anruft und mit einer Streichung der Anzeigen von Staatsbetrieben droht, wenn zu kritisch über die Regierung berichtet würde. Eine Praxis, die praktisch alle Medien demütig über sich ergehen lassen – bis auf die größte Tageszeitung des Landes, Adevarul. Die hatte vor einigen Monaten auf mehreren Seiten detailliert die Telefonorgien der Minister beschrieben und jeden Anruf eines Kabinettsmitgliedes dokumentiert. Bloß kann Adevarul sich das wegen ihrer Marktmacht leisten; die in der Krise steckenden Zeitungen von WAZ und Ringier dagegen nicht. Insofern könnten sowohl WAZ als auch Ringier versucht sein, die Attraktivität der Medien für potenzielle staatsnahe Anzeigenkunden eben durch staatsnahe Berichterstattung zu fördern.

Übrigens jagen Nastase und Hombach nicht nur gemeinsam nach rumänischem Wild. Wiewohl in einem anspruchsvollen Wahlkampf verheddert, nahm sich Rumäniens Regierungschef vor wenigen Wochen gar Zeit, um in Essen an einer Konferenz über Investitionen in Rumänien teilzunehmen; organisiert wurde der Promi-Auftrieb von WAZ-Statthalter Bodo Hombach. Mit dabei war auch Bundeskanzler Gerhard Schröder. Freundschaft verbindet eben.