Opfer und Profiteur

Der Dealer als autonome Ich-AG
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Als diese Zeitung Howard Marks, dem wohl größten Drogendealer der siebziger und achtziger Jahre, die Frage stellte, warum der Ruf seiner Branche so schlecht sei, da antwortete er nur trocken: »Das ist eine Frage, die man nicht ausgerechnet einem Dealer stellen sollte.« (Jungle World, 4/99). Stimmt. Man sollte lieber die Konsumenten fragen, ob sie sich jemals Gedanken gemacht haben, wie der Stoff in ihre Hände gelangte, wie viele Leute am Transport beteiligt waren, wie viele Zöllner bestochen wurden, wie viele Menschen den Kopf dafür riskierten. Natürlich nicht aus Liebe zu den Usern, sondern schlicht wegen des großen Geldes, das im Drogengeschäft fließt.

Die wenigsten Dealer sind solche Global Players und Multimillionäre, wie Howard Marks es vor seinem Knastaufenthalt war. Die allermeisten sind mit ihrem Kleingewerbe vor allem im erweiterten Freundeskreis tätig und sorgen so dafür, dass der Durchschnittskonsument nie mit bewaffneten Banden in Berührung kommt. Auch Marks begann seine Karriere als kleiner Kiffer-Hippie, der nur mal vorübergehend seinen Stammdealer vertreten wollte. Mit Drogen kann man viel Geld machen. Sehr viel Geld. Darum treibt sich in der Branche durchaus eine Vielzahl finsterer Gestalten herum: europäische, amerikanische Mafiosi, afghanische Warlords, thailändische Zuhälter, peruanische Maoisten, die Hamas. Dass ihr Geschäft so lukrativ ist, verdanken sie der Prohibition. Schwarzmarkt und Schmuggel sorgen für die enormen Preise. Das muss der harmlose kiffende Schüler oder der obdachlose Elendsfixer am Ende alles ausbaden, sprich bezahlen.

Um an das nötige Geld zu kommen, steigen nicht wenige selbst in den Handel ein, was im Zweifelsfall sicher der bessere Weg ist, als sich beispielsweise zu prostituieren oder Tankstellen zu überfallen (und so in den Knast zu wandern). Mal eben ein paar Gramm von diesem oder jenem Zeug weiterverscherbeln, das ist ein recht geringer Aufwand, wenn die entsprechenden Kontakte ohnehin bestehen. Jedenfalls einfacher, als heutzutage eine Ich-AG zu beantragen, zumal wenn man schon eine Suchtproblematik vorzuweisen hat.

Der aktuelle Sozialabbau und die Wirtschaftskrise betreffen den Kleindealer nur insofern, als dass die Grundsicherung durch regelmäßig fließende Sozial- oder Arbeitslosenhilfe nun komplizierter wird, und den meisten – gerade den selbst konsumierenden – vermutlich zu kompliziert. Das heißt, ein größerer Teil des Lebensunterhalts muss durch den Drogenhandel finanziert werden.

Ein Problem ist das nicht. Denn kaum ein Produkt hat eine so stabile Nachfrage. Sie ist deshalb so stabil, da sie immer größer als das Angebot ist, wie Marks erläutert. Ein sicherer Markt. Jedenfalls solange es bei der Prohibition bleibt. Auf dem legalen Markt wäre vergleichsweise wenig Profit zu machen. Zwischen 1898 und 1931 wurde das Hustenmittel Heroin von der Firma Bayer vertrieben, ganz legal, nicht teurer als Aspirin. Erst das Verbot des schwer süchtig machenden Medikaments ließ die Preise explodieren. Cannabis kostete bis Ende 1929 in der Apotheke zehn bis zwölf Reichsmark pro Kilo.

Dealer sind Profiteure und Opfer der von Willkür bestimmten Drogenpolitik. Der Konsum ist legal, der Handel strafbar. Als ob die Konsumenten den Stoff auf der Straße fänden! In der öffentlichen Wahrnehmung sind Drogenabhängige arme, kranke Würstchen und Dealer böse Monster. Dabei übernehmen Dealer in einem vom Staat absichtlich in Grauzonen gehaltenen Bereich geradezu notwendige Funktionen: für die Abhängigen, als gesellschaftliche Sündenböcke und auch, um die doppelbödige, bigotte Drogenpolitik am Laufen zu halten.

ivo bozic