»Wir hatten die Illusion, korrigieren zu können«

Rainer Einenkel

Die kämpferische Bochumer Belegschaft konnte nicht verhindern, dass bei Opel insgesamt 9 500 Stellen abgebaut werden, rund ein Drittel davon durch Vorruhestandsregelungen und Outsourcing. Zwar spricht der Gesamtbetriebsrat von einem Verhandlungserfolg, doch die meisten der 6 500 Mitarbeiter, die freiwillig und gegen Abfindung in »Beschäftigungsgesellschaften« wechseln sollen, dürften sich nach einem Jahr auf dem Arbeitsamt wieder finden.

Der stellvertretende Vorsitzende des Bochumer Betriebsrats, Rainer Einenkel, sieht die Gefahr betriebsbedingter Kündigungen nicht gebannt. Deshalb hat er in der vorigen Woche angeboten, von seinem Amt zurückzutreten. Nach ihm trat der Betriebsratsvorsitzende Dietmar Hahn aus, wie es hieß, gesundheitlichen Gründen zurück. Mit Rainer Einenkel sprach Deniz Yücel.

Haben sich schon 6 500 Mitarbeiter gefunden, die freiwillig ausscheiden wollen?

Das kann ich momentan nicht sagen und das ist schwer abzuschätzen. Denn die 6 500 Mitarbeiter, die sich bis Ende Januar 2005 finden sollen, verteilen sich auf die Werke Bochum, Rüsselsheim und Kaiserslautern. In Bochum haben etwas über 1 000 Kollegen Beratungsgespräche geführt.

Wie ist die Stimmung?

Begeistert ist niemand. Viele lassen sich erst einmal ausrechnen, was für sie herausspringen könnte. Manche denken: Wenn es noch schlimmer kommt, kriege ich am Ende weniger, also nehme ich jetzt die Abfindung.

Was passiert, wenn sich nicht genügend Freiwillige finden? Zwei Ihrer Betriebsratskollegen haben in der vorigen Woche erklärt, dass die Vereinbarung für diesen Fall betriebsbedingte Kündigungen vorsieht.

Das stimmt so nicht. Vereinbart ist nur, dass dann eine Einigungsstelle eingerichtet wird. Die Auffassung der Kollegen, dass dies automatisch betriebsbedingte Kündigungen bedeutet, teile ich nicht. Gleichwohl befürchte ich auch, dass betriebsbedingte Kündigungen nicht ausgeschlossen sind. Das ist der Grund, warum ich meinen Posten als stellvertretender Vorsitzender zur Verfügung gestellt habe. Und das ist der Grund, warum ich die Vereinbarung nicht für besonders glücklich halte. Aber sie war unvermeidlich, sonst wäre es schlimmer gekommen.

Der Vorsitzende des Gesamtbetriebsrats, Klaus Franz, hält das Verhandlungsergebnis für einen Erfolg, weil betriebsbedingte Kündigungen vermieden worden seien.

Er hätte Recht, wenn sich bis Ende Januar genügend Freiwillige melden. Wenn aber, was zu vermuten ist, diese Zahl unterschritten wird, drohen weiterhin betriebsbedingte Kündigungen.

So oder so wird Opel ein Drittel der Stellen in Deutschland streichen. Muss man nicht sagen, dass die Beschäftigungsgesellschaften eine Massenentlassung auf Raten bedeuten, dass also der Betriebsrat sein Minimalziel verfehlt hat?

Ich würde Ihnen gerne widersprechen …

Bitte …

Kann ich leider nicht. Als Mitte Oktober die Horrorzahl von 10 000 Stellenstreichungen in den deutschen Opel-Werken verkündet wurde, sind wir mit der Position angetreten, diese Arbeitsplatzvernichtung zu stoppen. Selbst wenn sich einiges als unvermeidlich herausstellen sollte, wollten wir auf jeden Fall betriebsbedingte Kündigungen verhindern. Wobei uns bewusst war, dass wir einen bestimmten Zug nicht würden aufhalten können. Das zeigt auch die Vergangenheit – in Bochum waren wir mal knapp 20 000 Beschäftigte, nun sind wir 9 500. Dennoch waren wir der Meinung, einiges korrigieren zu können. Im Laufe der Verhandlungen mussten wir aber erleben, dass die andere Seite keinerlei Spielräume hatte. Der Plan, der uns vorgelegt wurde und über den wir mit dem Opel-Vorstand verhandelt haben, stammte von General Motors. Und GM ist dazu entschlossen, seine Produktion in Europa zu verschlanken. In diesem Sinne kann man von einem Versagen des Betriebsrats sprechen, nämlich, dass wir die Illusion hatten, korrigieren zu können.

War es ein Fehler, Mitte Oktober den Streik in Bochum abzubrechen?

Vom Gefühl her würde ich sagen: Ja, wir hätten weitermachen müssen. Nur: Wie lange hätten wir weitermachen können? Wir wussten nicht, wie wir General Motors dazu hätten zwingen können, von seinen Plänen abzuweichen. Es ist ein Stück Hilflosigkeit dabei, wenn ich sage: Die Werke sind austauschbar und erpressbar geworden. Selbst in den drei Bochumer Werken gab es unterschiedliche Meinungen. Im Komponentenwerk, das ganz dicht gemacht werden sollte, war die Belegschaft klar dafür, den Ausstand fortzusetzen. In anderen Werksteilen war die Stimmung differenzierter. Schon nach ein oder zwei Tagen beginnen die Kollegen zu rechnen: Was verliere ich an Lohn, und was bekomme ich dafür? Die Solidarität, die wir von Menschen aus der Region erhalten haben, war toll. Aber für einen erfolgreichen Kampf hätten sich andere GM-Werke uns anschließen müssen. Diese Aussicht bestand nicht.

Hat der Bochumer Betriebsrat versucht, die anderen Belegschaften zum Ausstand zu bewegen?

Was in Bochum lief, war ja bekannt. Betriebsrat oder Belegschaft anderer Werke hätten sich beteiligen können – wenn sie gewollt hätten.

Teile der Bochumer Belegschaft haben die mangelnde Unterstützung des Streiks durch den Gesamtbetriebsrat und die IG Metall beklagt.

Die übrigen Mitglieder des Gesamtbetriebsrats waren anderer Auffassung darüber, wie gegen die Pläne von GM vorzugehen sei. Das muss man akzeptieren. Wir Bochumer haben es anders gemacht, und ich fand unsere Maßnahmen notwendig und angemessen.

Kritisiert wurde zudem, dass auf der Belegschaftsversammlung, in der das Ende des Streiks beschlossen wurde, nur der Betriebsratsvorsitzende, Dietmar Hahn, und der Bevollmächtigte der IG Metall reden durften. In der Abstimmungsfrage, ob der Betriebsrat die Verhandlungen weiterführen und die Arbeit wieder aufgenommen werden solle, wurden zwei verschiedene Fragen miteinander verknüpft.

Diskutiert hatte die Belegschaft sechs Tage lang, nun ging es darum, eine Entscheidung zu treffen. Daher hatte der Betriebsrat am Abend zuvor einstimmig beschlossen, dass zwei Redner den Stand der Dinge erläutern und wir dann zur Abstimmung schreiten. Über den Stimmzettel hatte der Betriebsrat anders diskutiert. Aber auf der Versammlung lag der Zettel mit dieser unglücklichen Formulierung vor und war nicht mehr zu ändern. Als Versammlungsleiter habe ich erklärt, dass wir unabhängig von der Formulierung annehmen können, dass auch die Kollegen, die mit »Nein« stimmen, sich nicht gegen Verhandlungen aussprechen und dass sich der Betriebsrat auf keinen Fall Gesprächen versperren würde. Egal, wie es zu diesem Stimmzettel kam – Dietmar Hahn und ich haben die politische Verantwortung dafür übernommen.

Wie kam es zu diesem Stimmzettel?

Er war einfach da. Der ist so entstanden, dass jemand gesagt hat, so machen wir es. Dabei sollten wir es belassen.

Wird der Betriebsrat eine Belegschaftsversammlung einberufen, um über das Verhandlungsergebnis zu reden?

Noch gibt es kein Verhandlungsergebnis, sondern nur einen Sozialplan. Die Verhandlungen über die vom Management geforderten Einsparungen beginnen erst. Ein Antrag für eine Belegschaftsversammlung liegt vor, im Januar wollen wir eine einberufen, an der auch Carl-Peter Forster von der Europazentrale von GM teilnehmen soll.

Das Kapital scheint die gewerkschaftlichen Bastionen im Häuserkampf zu erobern, während die IG Metall nicht mal versucht, eine gemeinsame Abwehr zu organisieren. Warum ist das so?

Das ist die gegenwärtige Schwäche der Gewerkschaften. Es gibt einen starken Betriebspatriotismus. Zwar wird immer von Zusammenarbeit gesprochen, aber wenn es um praktische Solidarität geht, stoßen wir schnell an unsere Grenzen. Die betrieblichen und gewerkschaftlichen Interessenvertreter müssen sich stärker vernetzen, auch international. Hier sind die Gewerkschaften gefordert.