»Die Sharia bedroht das Leben von Frauen«

Homa Arjumand

Im Jahr 2003 hat die Provinzregierung des kanadischen Ontario beschlossen, dass Heirats-, Familien- und Geschäftsstreitigkeiten nach dem islamischen Sharia-Recht durchgeführt werden können. Das hat eine Diskussion über Frauenrechte, Multikulturalismus und die Vereinbarkeit des Beschlusses mit der kanadischen Rechtsordnung ausgelöst.

Die Frauenrechtlerin Homa Arjumand koordiniert die internationale »Kampagne gegen die Sharia in Kanada«. 1989 musste sie vor der Verfolgung im Iran nach Kanada fliehen. In Toronto sprach Imke Leicht mit ihr.

Wie ist es möglich, dass in Ontario über Familienstreitigkeiten nach den Regeln der Sharia verhandelt werden kann?

1991 hat die kanadische Regierung ein Schlichtungsgesetz eingeführt, das es erlaubt, Geschäftsstreitigkeiten durch außergerichtliche Schlichter zu klären. Schlichter sind qualifizierte Personen, die an kanadische Gesetze gebunden sind und von der Regierung akzeptiert werden.

Eine jüdische Gruppe machte dann den Vorschlag, einen Familienkonflikt gemäß dem Schlichtungsgesetz zu klären. Sie wollten auch Eigentumsstreitigkeiten zwischen Eheleuten als Geschäftsstreit verstanden wissen. Die Regierung stimmte zu, weshalb Juden Familienstreitigkeiten nunmehr auch außerhalb der Gerichte mit einem Rabbi als Schlichter lösen können.

Eigentlich war das Schlichtungsgesetz nur für geschäftliche Fragen vorgesehen, eine Definition dessen, was eine Familie ist, findet sich darin nicht. Von daher ist auch unklar, was Gegenstand eines Familienstreits sein kann und zwischen wem ein solcher Streit bestehen kann. Es sagt auch nicht, nach welchem Gesetz die Auseinandersetzungen geführt werden sollen.

1993 hat eine Gruppe von Muslimen der Regierung vorgeschlagen, Familienkonflikte nach dem Schlichtungsgesetz zu regeln. Das wurde zunächst abgelehnt. Im Oktober 2003 hat sich unter der Initiative des Rechtsanwalts Mumtaz Ali eine Gruppe von Islamisten getroffen. Sie haben einen veränderten Antrag eingereicht, und diesmal wurde er von der Regierung akzeptiert.

Welche praktischen Folgen hat es, wenn die Sharia bei solchen Schlichtungsverhandlungen angewandt wird?

Sharia allgemein meint »Lebensweise«. Sie regelt die meisten grundsätzlichen Fragen des individuellen Lebens und besagt, dass du nach ihrem Gesetz zu handeln hast. Wenn nicht, bist du Antimuslim und wirst mit den Konsequenzen konfrontiert, die bis zur Todesstrafe reichen können.

Frauen sind am meisten davon betroffen, da sie nicht als gleichberechtigte Menschen gelten. Sie dürfen nicht alleine das Haus verlassen, sogar in Kanada ist das oft so. Sie sind von ihrer frühen Kindheit an von der kanadischen Gesellschaft abgeschottet und ausgeschlossen, da sie unter der absoluten Kontrolle der männlichen Familienmitglieder stehen. Sie haben kein Sorgerecht und kein Recht auf Eigentum nach einer Scheidung. Wegen des sozialen und des ökonomischen Drucks müssen sich Frauen dem beugen. Es herrschen Unwissenheit und Informationsmangel, da sie von der Außenwelt ausgeschlossen sind. Das kanadische System begünstigt es, dass die islamischen Frauen in ihren Ghettos bleiben.

In welchem Zusammenhang steht diese Sharia-Regelung mit dem ausgeprägten Multikulturalismus in Kanada?

Der Multikulturalismus richtete sich ursprünglich gegen Rassismus. Er war ein Instrument, um mit den unterschiedlichen Kulturen, die zum Teil gegeneinander standen, umzugehen. Jedoch ist aus Multikulturalismus inzwischen ein Instrument zur Unterdrückung und zum Missbrauch von Frauen geworden, speziell von Frauen aus dem Nahen Osten und anderen islamischen Ländern. Der Grund dafür ist, dass der hiesige Multikulturalismus auch rückständige kulturelle Elemente respektiert. Das geht so weit, dass die Regierung viel Geld für eigene Gemeinschaften, Moscheen und Schulen zur Verfügung stellt. So wachsen die städtischen Ghettos, in denen Frauen vom Rest der kanadischen Gesellschaft isoliert bleiben. Das ist die größte Barriere, um etwa bei Missbrauch Hilfe zu suchen.

Wer betreibt die Kampagne für das Sharia-Gesetz in Kanada, und was ist deren Ziel?

Federführend ist das Islamische Institut für ziviles Recht in Kanada, ein zum politischen Islam gehörender Verein, der Verbindungen in den Iran, nach Algerien, Ägypten und Afghanistan unterhält. Die Bewegung des politischen Islam will, dass alle Fragen nach dem islamischen Recht geregelt werden sollen, ohne Rücksicht auf moderne Rechtsauffassungen. Diese Bewegung ist gefährlich und wird weltweit immer stärker. Wir haben gesehen, wie die Schule in Russland in die Luft gejagt wurde, wie all die Kinder im Namen des Islam getötet wurden. Kürzlich wurde in den Niederlanden Theo van Gogh ermordet, nur weil er einen Film gegen den politischen Islam produziert hatte. Die Regierungen verstehen nicht, wie gefährlich der politische Islam ist, und unterstützen ihn stattdessen. Sie unterstützen islamische Länder, um sie zu kontrollieren. Früher geschah dies, weil man einen sozialistischen Umschwung in diesen Ländern fürchtete.

Sind die Sharia-Gerichte schon eingeführt?

Sie sind noch nicht etabliert. Die »Kampagne gegen die Sharia« fordert, dass Familienstreitigkeiten grundsätzlich vom Schlichtungsgesetz ausgeschlossen werden. Nach dem kanadischen Gesetz sind viele Aspekte der Sharia illegal. Wir befürchten, dass das Leben von Frauen bedroht ist und dass Frauen gezwungen sind, diese Schlichter aufzusuchen anstelle säkularer Gerichte. Wenn sie nicht gehorchen, drohen ihnen tödliche Konsequenzen. Als Beraterin arbeite ich mit diesen missbrauchten Frauen aus unterschiedlichen Ländern. Wir müssen sie integrieren. Sie brauchen Unterstützung, um die hiesige Kultur, das System, das Gesetz und die Vorschriften zu verstehen. Und um zu verstehen, dass für sie als kanadische Bürgerinnen die säkularen kanadischen Rechte und Pflichten gelten. Sie können nach wie vor ihre Religion praktizieren, jedoch als private Angelegenheit ohne Überschneidung mit dem rechtlichen System. Unsere Kampagne versucht, Öffentlichkeit herzustellen. Wir machen Veranstaltungen, haben eine Petition ins Internet gestellt und sind weltweit vernetzt.

Welche Perspektiven haben Sie für Ihren Protest?

Ich glaube sehr stark an Menschen. Ich glaube, dass besorgte Menschen etwas in der Welt verändern können. Etwa 7 000 Menschen, die sich mit diesem Thema beschäftigen, sind weltweit miteinander in Kontakt. Sie gehen in die Öffentlichkeit und wenden sich an die Medien, was sehr wichtig ist. Mit gegenseitiger Unterstützung können wir auch die Regierungen beeinflussen. Wir wollen sicherstellen, dass der Säkularismus für jedes Individuum in diesem Land gilt. Wir müssen für Integration kämpfen und dafür, dass alle Menschen die gleichen Rechte haben. Unabhängig davon, woher sie kommen, welcher Ethnie sie angehören, welches Geschlecht oder welche Religion sie haben. Wir wollen, dass jeder Mensch gleich behandelt wird.

Weitere Informationen unter: www.nosharia.com