»Es gibt Gespräche«

Der Gesandte der israelischen Botschaft in Berlin, ilan mor, über Perspektiven im Nahen Osten und die Hoffnungen und Sorgen Israels
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Israels Ministerpräsident Ariel Sharon spricht von einem »Schicksalsjahr 2005«. Inwieweit herrscht Aufbruchsstimmung im Nahen Osten?

Ich würde nicht übertreiben. Es ist kein Aufbruch, es herrscht kein Jubel, weder bei uns noch bei den Palästinensern. Leider haben wir schon zu viele schlechte Erfahrungen gemacht. Wir haben mit großer Euphorie und Hoffnung den Oslo-Prozess begleitet, und die Enttäuschung danach war sehr groß. Deswegen sollten wir auf beiden Seiten ganz nüchtern bleiben. Es bleiben noch Möglichkeiten und eine kleine Hoffnung. Aber die Situation an sich ist sehr heikel, sehr instabil. Die Palästinenser müssen mit dem Terror aufhören. Wir werden uns stufenweise aus dem Gaza-Streifen zurückziehen. Und dann werden wir zusammen mit den Palästinensern schauen, wie wir gemeinsam weitergehen können.

Hat der Tod Arafats diese neuen Perspektiven eröffnet, oder ergibt sich nicht schon aus den vitalen Interessen Israels die Notwendigkeit einer politischen Lösung?

Die Gründe sind sehr vielfältig. Ein Grund ist natürlich der Tod von Arafat, ein anderer unsere Sehnsucht nach Frieden. Arafats Tod hat, was die Psychologie des Konfliktes anbelangt, eine gewisse Veränderung gebracht. Arafat war immer ein Teil des Problem und nicht der Lösung. Dazu gehören aber auch die Bereitschaft von Ministerpräsident Sharon, dass sich Israel aus dem Gazastreifen zurückzieht, und auch die der israelischen Gesellschaft, einen Kompromiss zu finden. Auch dazu gehört, dass sich innerhalb der palästinensischen Gesellschaft die Einsicht durchsetzt, dass all der Terror nichts gebracht hat.

Auch das Platzen der israelischen Regierungskoalition war sicher ein Faktor. Jetzt gibt es eine neue Koalition mit der Arbeitspartei, die allerdings nur eine hauchdünne Mehrheit hat. Was würde ein Scheitern dieser Regierung für den Friedensprozess bedeuten?

Israel ist die einzige Demokratie in der Region, bei einem Scheitern käme es zu Neuwahlen. Ich bin sicher, dass dadurch der Prozess ins Stocken geraten würde. Wenn wir Wahlen haben, wird niemand in der Lage sein, die richtige strategische Entscheidung zu treffen. Ich glaube, das sieht auch die große Mehrheit der Israelis so. Weder Likud noch Arbeitspartei können Neuwahlen gebrauchen. Deswegen bemühen sich beide Seiten, Stabilität zu gewährleisten und den Abzugsplan von Ministerpräsident Sharon zu verwirklichen.

Welche Gefahren für den Friedensprozess sehen Sie aktuell?

Die Hamas ist ein Stolperstein. Ebenso die Hizbollah und auch der Iran. Sie sind in der Lage, den Prozess zu blockieren. Der Iran bemüht sich um Massenvernichtungswaffen, darunter Nuklearwaffen, und sieht Israel als Erzfeind. Die Hizbollah versucht, über den Iran Kontakt mit Terroristen der Hamas aufzunehmen, um die Hamas zu ermutigen, mehr Terroranschläge zu verüben. Darüber hinaus überweist der Iran große Summen an die Hizbollah und die Hamas. 2004 stand die Hizbollah hinter mindestens 64 Terrorakten, bei denen 26 Israelis ermordet wurden.

Auf der israelischen Seite ist einer der Stolpersteine die Siedlerbewegung.

Es ist beschlossene Sache: Wir werden uns aus dem Gazastreifen und aus vier Siedlungen im Norden des Westjordanlands zurückziehen. Da wir eine Demokratie sind, können die Leute, die dagegen sind, alles daran setzen, um dies zu blockieren. Alles im Rahmen der Gesetze. Wer außerhalb der Gesetze agiert, wird bestraft, das ist ganz klar. Aber ich mache mir tatsächlich Sorgen, was die innere Zerrissenheit der israelischen Gesellschaft anbelangt. Es ist nicht so einfach, zwei, drei Generationen von Siedlern mal eben einen »Befehl« zu geben, liebe Leute, ihr müsst jetzt eure Häuser und euer Eigentum aufgeben. Das ist sehr schwer. Aber man muss die Situation strategisch sehen: Auf Dauer können wir nicht so weiterleben. Wir müssen einen Kompromiss finden. Seit vielen Jahren haben wir uns darum bemüht. Israel hatte bisher keinen richtigen Gesprächspartner auf der palästinensischen Seite. Nach dem Tod Ararfats und den palästinensischen Wahlen hoffen wir, dass es einen solchen Partner geben wird. Beide Seiten müssen kompromissbereit sein. Wir sind es auf jeden Fall.

Es geht in diesem Friedensprozess ja zweifelsohne um eine Zweistaatenlösung. Glauben Sie, dass es auf palästinensischer Seite durchgängig ein ehrliches Interesse daran gibt, also an einer Lösung, bei der die Existenz Israels außer Frage steht?

Ich kann das nicht beurteilen. Ich bin davon überzeugt, dass Israel als Land, als Gesellschaft eine Tatsache im Nahen Osten ist. Die Frage ist doch, warum sehen das so viele Antizionisten, Araber und Moslems anders. Ich bin davon überzeugt: Die Anerkennung Israels durch unsere Nachbarn ist das Hauptthema. Wenn neben Ägypten und Jordanien auch Syrien, der Iran, Libyen, der Libanon, also die arabische Welt, Israel anerkennen würde, dann wäre schon sehr viel geschafft.

Wie soll ein palästinensischer Staat überhaupt lebensfähig gemacht werden? Sieht sich Israel da mit in der Verantwortung?

Natürlich hat Israel ein Interesse daran, dem palästinensischen Staat zu helfen. Aber wir werden nicht von uns aus auf die Palästinenser zugehen. Wenn sie unsere Hilfe wünschen, dann stehen wir zur Verfügung. Aber die Weltgemeinschaft, die seit Jahren die Palästinenser unterstützt hat, muss jetzt alles daran setzen, diesem möglichen Staat eine Zukunft zu geben. Lippenbekenntnisse nutzen da nichts.

Wünschen Sie sich eine weitere Internationalisierung des Friedensprozesses? Sollen sich Europa und die USA vermehrt einmischen?

Im Moment gibt es keine offiziellen Verhandlungen. Nur hinter den Kulissen wird gesprochen. Dort allerdings gibt es tatsächlich unmittelbare Begegnungen und Gespräche zwischen Israelis und Palästinensern. Das ist ein Zeichen dafür, dass beide Seiten bereit sind, miteinander etwas zu erreichen.

In der Anfangsphase sollten uns die anderen Länder lieber alleine lassen, also die Israelis und die Palästinenser. Erst mal müssen jetzt die Wahlen in den palästinensischen Gebieten stattfinden. Wir wünschen den Palästinensern alles Gute dabei. Und dann liegt es an uns, dass wir es schaffen, den Gaza-Abzugsplan von Sharon zu realisieren. Das wird gar nicht einfach werden. Sobald wir erkennen, dass die Palästinenser den Terror bekämpfen, können wir diesen Abzugsplan auch mit ihnen abstimmen. Am Ende dieses Jahres dann, so hoffe ich, werden wir positive Entwicklungen im Nahen Osten sehen. Was mir die meisten Sorgen macht, ist, dass unsere Gesellschaft so durcheinander ist. Bezüglich des Gaza-Abzugsplans herrscht eine tiefe Zerrissenheit in Israel. Ich mache mir deswegen wirklich sehr große Sorgen.

Kann man sagen, dass ein anderer Ministerpräsident als Sharon, der ja ein alter Freund der Siedlerbewegung ist, kaum die Chance gehabt hätte, diesen Kurs einzuschlagen?

Ja, so kann man das sehen. Man muss wissen: Sharon ist sehr pragmatisch.

Wie sieht der Zeitplan für den Friedensprozess aus?

Auf der einen Seite haben wir es eilig. Das ist ganz klar. Auf der anderen Seite, um es mit einem arabischen Sprichwort zu sagen: Geschwindigkeit kommt vom Teufel. Wir haben so viele Jahre gewartet und so viele Jahre miteinander gekämpft, wir müssen aus dieser Vergangenheit Konsequenzen ziehen. Bei Oslo haben wir uns enorme Hoffnungen gemacht, und dann war die Realität doch stärker als wir. Wir müssen miteinander sprechen, immer wieder, immer neu. Aber ich bitte um Geduld und noch einmal Geduld und, nach Bedarf, noch einmal um Geduld.

interview: ivo bozic