Listen und Kosten

Wahlen im Irak von jörn schulz

An Auswahl wird es den Irakis nicht fehlen, wenn sie am 30. Januar ihre Wahlzettel in Empfang nehmen. Von den mehr als 200 registrierten Parteien wurden 120 zu den Wahlen zugelassen, zudem treten mehr als 120 Einzelkandidaten an. Zur Wahl stehen Geistliche und Kommunisten, Notable und Feministinnen. Politische Restriktionen gibt es mit Ausnahme des Verbots der Ba’ath-Partei nicht.

Die großen kurdischen und schiitischen Parteien treten jedoch jeweils mit einer Einheitsliste an. Die kurdische Führung der Parteien Puk und KDP will vor allem die Autonomie des von ihr dominierten Gebiets erhalten. Die von schiitischen Geistlichen, den islamistischen Parteien Da’wa und Sciri sowie säkularen Gruppen gebildete Liste beansprucht, die schiitische Bevölkerungsmehrheit zu vertreten.

Möglicherweise werden manche Politiker am 30. Januar eine unangenehme Überraschung erleben, denn nicht alle Schiiten und Kurden lieben ihre Ayatollahs und Parteifürsten. Doch die Verhältnisse drängen die Bevölkerung an die Seite der politischen Führung. Denn die Parteien dominieren Regierung und Verwaltung, sie verteilen die meisten Jobs. Und häufig sind es ihre Milizen, die für relative Sicherheit sorgen. Der »Widerstand« stärkt den Regionalismus. Der überwiegend kurdische Nordirak ist von den Kämpfen und Anschlägen kaum betroffen, und seit der Integration der Miliz Muqtada al-Sadrs sind auch im Süden Terrorakte das Werk von Gruppen aus dem Zentralirak.

Dort dürften die Wahlen höchstens in eingeschränkter Form stattfinden. In vielen Städten ist die Kontrolle der Regierung und der US-Truppen allenfalls oberflächlich. Die wichtigsten sunnitischen Organisationen haben sich für einen Wahlboykott entschieden. In dem vermutlich regionalisierten Parlament wird die vor dem Krieg dominierende Oligarchie kaum vertreten sein.

Die bedeutendsten schiitischen und kurdischen Parteien sind ehemalige Oppositionsorganisationen. Im Zentralirak, wo die Kontrolle des Regimes am stärksten war, gab es keine vergleichbaren Gruppierungen. Und einflussreiche neue politische Kräfte haben sich nach dem Krieg nicht entwickelt. Die Regionalisierung der Politik ist eine Folge der Diskriminierung nicht arabisch-sunnitischer Bevölkerungsgruppen unter Saddam Hussein, die politische Stagnation der Nachkriegszeit ist jedoch auch eine Folge des Krieges.

Während des Nachkriegsaufstands von 1991 bildeten sich Räte und andere Strukturen der Selbstverwaltung (Jungle World, 32/04). Unter der US-Besatzungsherrschaft geschah das nicht, verständlicherweise erwartete die Bevölkerung, dass die neuen Herren für alles sorgen würden. Auf längere Sicht dürfte die Politisierung der Bevölkerung zunehmen, denn mit der Privatisierung und dem Abbau von Subventionen stehen schon in diesem Jahr Entscheidungen an, die fast alle Irakis existenziell betreffen. Doch bisher waren es die gut organisierten ehemaligen Oppositionellen, die die neuen Chancen am besten nutzen konnten.

Damit haben sie auch die US-Regierung faktisch ausgebootet. Allenfalls die kurdischen Parteien können als ihre Verbündeten gelten, aber nur, solange die USA die kurdische Autonomie schützen. Der vor dem Krieg hofierte Oppositionsführer Ahmed Chalabi, von dem der Aufbau einer bürgerlichen, proamerikanischen Partei erwartet wurde, hat sich der schiitischen Einheitsliste angeschlossen. Der Krieg sei »die Kosten nicht wert« gewesen, klagte Ende Dezember Zbigniew Brzezinski, der frühere Sicherheitsberater des Präsidenten Jimmy Carter. Zukünftig müssten sich die USA wohl mit einer »begrenzten Rolle« im Irak begnügen.