Neue Taktik, alte Strategie

Was Mahmoud Abbas als neuer Chef der Palästinensischen Autonomiebehörde erreichen will. von andré anchuelo

Der jüngsten Umfrage des Jerusalem Media and Communication Center zufolge kann Mahmoud Abbas bei den bevorstehenden Wahlen zum Vorsitz der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) mit einer klaren Mehrheit rechnen. Wer ist der designierte Nachfolger Yassir Arafats, und welche politischen Ziele verfolgt er?

1935 im heute israelischen Safed geboren, flüchtete Abbas 1948 mit seiner Familie nach Syrien. 1957 ging er in das Ölscheichtum Katar, wo er zu einem erfolgreichen Geschäftsmann avancierte. Dort begann auch Abbas’ Engagement für die »palästinensische Sache«. Er war Gründungsmitglied der Fatah-Bewegung, die 1965 die »Revolution zur Befreiung Palästinas« mit einem Anschlag in Israel startete. In den folgenden vier Jahrzehnten erwarb sich Abbas den Ruf, der am meisten gemäßigte und kompromissbereite palästinensische Politiker zu sein. Tatsächlich war er nur der konsequenteste Verfechter des Etappenplans, der seit 1974 offizielle Beschlusslage der palästinensischen Dachorganisation PLO war.

Diesem Plan zufolge sollte zunächst »auf jedem Teil des palästinensischen Gebietes (…), das befreit wird«, ein palästinensischer Staat gegründet werden. Das aber sollte nur die erste Etappe auf dem Weg zum weiterhin gültigen Endziel sein, »Palästina von der zionistischen Präsenz zu reinigen«. Dass es Arafat gelang, sowohl den Etappenplan, als auch die Staatsproklamation von 1988 und die Osloer Abkommen der Weltöffentlichkeit wie auch den Israelis als Anerkennung des israelischen Existenzrechts zu verkaufen, lag nicht zuletzt an Abbas’ Wirken.

Bereits in den siebziger Jahren traf sich Abbas mit israelischen Linken und verkündete öffentlich als Ziel eine Zwei-Staaten-Lösung. Anfang der Neunziger, inzwischen zur Nummer zwei der PLO aufgestiegen, war er maßgeblich an der Ausarbeitung der Osloer Abkommen beteiligt. Später, während der Hochphase des »al-Aqsa-Intifada« genannten Terrorkrieges gegen Israel im Jahr 2002, kritisierte Abbas als einziger hochrangiger PLO-Funktionär die »Militarisierung der Intifada« als »Fehler«. 2003, in seiner Zeit als PA-Premierminister lobte ihn selbst US-Präsident George W. Bush. Zwar konnte Abbas neue Anschläge, auch aus dem Umfeld der Fatah, nicht verhindern, andererseits war es der Konflikt mit Arafat um die Kontrolle der Sicherheitskräfte, der ihn zum Rücktritt bewog.

Trotzdem wurde Abbas von vielen Palästinensern fortan endgültig als Erfüllungsgehilfe Israels und der USA angesehen. Umso erstaunlicher ist es, wie glatt seine Machtübernahme verlaufen ist. Nicht nur konnte er sich auf breite Mehrheiten in den Fatah-Gremien stützen, sondern auch die Unterstützung der al-Aqsa-Märtyrerbrigaden gewinnen.

Viele Beobachter vermuten, dass Abbas seine Erfolgsaussichten einer rhetorischen Härte verdankt, die er nach der Wahl wieder ablegen werde. So verkündete Abbas, dass es »keinen Frieden« zwischen Israelis und Palästinensern geben werde, solange in der Westbank Siedlungsblöcke und die »Trennungsmauer« stünden. Außerdem sei die israelische Anerkennung des »Rückkehrrechts« für palästinensische Flüchtlinge unumgänglich.

Doch Abbas ist ein Pragmatiker, kein Gemäßigter. Tatsächlich bestehen zwischen ihm und seinem verstorbenen Vorgänger in strategischen Fragen keine Differenzen. Abbas’ Kritik an der »Militarisierung der Intifada« ist vor allem taktischer Natur. Anders als Arafat weiß er, dass ein Krieg gegen einen militärisch übermächtigen Gegner weniger Erfolg verspricht als der »demokratische Weg zur Befreiung« Palästinas.

Die Waffe auf diesem Weg heißt Demographie. »Wenn wir vom Rückkehrrecht sprechen, sprechen wir über die Rückkehr von Flüchtlingen nach Israel«, stellte Abbas immer wieder klar. Das bedeutet, die knapp vier Millionen als Flüchtlinge registrierten Palästinenser sollen Israel zu einem arabischen Staat machen – und so das Ende des jüdischen Staats Israel besiegeln.