Die Flut der Versprechen

Die staatliche Hilfe für die Opfer der Tsunami-Katastrophe dient der nationalen Selbstdarstellung. Sie könnte auch die Bündniskonstellationen in der Region ändern. von jörn schulz

Der vorläufige Sieger heißt John Howard. Mit der Zusage von einer Milliarde Dollar verdrängte der konservative Premierminister Australiens in der vergangenen Woche Japan und Deutschland von ihrem Platz an der Spitze der Liste staatlicher Spender. Howard zahlt mit australischen Dollars, seine Zusage übersteigt das Versprechen Gerhard Schröders, 500 Millionen Euro auszugeben, nur um 78 Millionen Euro. Im Gegensatz zu anderen Regierungschefs hat Howard jedoch seine Zusage konkretisiert.

Die Hälfte des Geldes soll in den nächsten fünf Jahren als Schenkung ausgezahlt werden, die andere Hälfte in Form zinsloser Kredite. Das vereinbarte Howard mit dem indonesischen Präsidenten Susilo Bambang Yudhoyono im Rahmen der Gründung einer »australisch-indonesischen Partnerschaft für Wiederaufbau und Entwicklung«. Die Indonesier können hoffen, dass das Geld tatsächlich ankommt.

Selbstverständlich ist das nicht. Nach dem Erdbeben im iranischen Bam im Dezember 2002 versprach die »internationale Gemeinschaft« 1,1 Milliarden Dollar. Ausgezahlt wurden nach Schätzungen der Uno bisher nur 115 Millionen. UN-Generalsekretär Kofi Annan befürchtet, dass die Zusagen auch diesmal nicht eingehalten werden: »Wahrscheinlich werden wir am Ende nicht alles bekommen.« Staatliche Geldgeber haben versprochen, knapp vier Milliarden Dollar bereit zu stellen.

Zunächst wurden nur wenige Millionen Dollar zugesagt, und am Tag nach der Katastrophe klagte Jan Egeland, der UN-Koordinator für Nothilfe: »Ich kann wirklich nicht verstehen, warum wir so geizig sind.« Bald darauf begann der Wettbewerb um die Spitzenpositionen auf der staatlichen Spenderliste. Innerhalb von weniger als zwei Wochen haben sich die Summen der von den wichtigsten westlichen Industriestaaten zugesagten Hilfsgelder etwa verhundertfacht.

Das dürfte nicht allein auf das von Egeland geweckte schlechte Gewissen zurückzuführen sein. Seine Bemerkung scheint aber dazu beigetragen zu haben, dass die Großzügigkeit zu einem Mittel der nationalen Selbstdarstellung (»Aktion Deutschland hilft«) wurde, insbesondere bei Staaten, die wie die USA ein Imageproblem haben oder wie Deutschland, Japan und Indien einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat wollen.

Die Tsunami-Katastrophe eignet sich dazu besser als die Nothilfe für die Opfer unübersichtlicher afrikanischer Bürgerkriege. Es gibt keine streitenden Warlords und keine internationalen Debatten darüber, welche Kriegspartei unterstützt oder bekämpft werden muss. Zudem gilt Südasien als Wachstumsregion. Sich hier eine gute Position zu verschaffen, ist ertragreicher als Großzügigkeit in afrikanischen Bürgerkriegsgebieten. Das könnte die relativ große Spendenbereitschaft westlicher Konzerne erklären.

Da nur die Streitkräfte der Großmächte über die logistischen Kapazitäten für die sofortige Hilfe in einem Radius von 6 000 Kilometern um das Epizentrum verfügen, eignet sich die Katastrophe gut für die Imagepflege des Militärs. US-Außenminister Colin Powell hofft, sie werde »der Welt die Gelegenheit geben, die amerikanische Großzügigkeit und die amerikanischen Werte in Aktion zu sehen«. Die Welt kann aber auch indische Werte in Aktion sehen. »Wir sind glücklich, die Stärke der indischen Marine in den Dienst humanitärer Hilfe zu stellen«, sagte Indiens Außenminister Natwar Singh. Deutsche Werte repräsentieren die Sanitätsflugzeuge der Bundeswehr und die Zeltstädte, die Soldaten unter anderem in Thailand aufbauen.

Die Machtverhältnisse und Bündnissysteme in der Region des Indischen Ozeans sind in Bewegung geraten, da kann sich Großzügigkeit auszahlen. Das »Foreign and Trade Policy White Paper« der australischen Regierung erklärte 1997 die Beziehungen zu Indonesien für gleichrangig mit den Beziehungen zu den USA, China und Japan. Die nun getroffene Vereinbarung geht weit über die unmittelbare Katastrophenhilfe hinaus, und Howards Milliarde soll zwar überwiegend den betroffenen Regionen zugute kommen, ist aber grundsätzlich für »alle Gebiete Indonesiens« bestimmt. Die Wiederaufbauhilfe dient, ähnlich wie ein großer Teil der Entwicklungshilfe, dem Aufbau langfristiger wirtschaftlicher Bindungen.

Ein Staat aber verweigerte sich dem Status des Empfängerlandes. Man habe selbst »adäqaute Ressourcen« und benötige die Hilfe anderer Staaten nicht, erklärte Indiens Außenminister Singh: »Falls wir Hilfe brauchen, werden wir sie informieren.« Indien schickte Schiffe der Marine nach Sri Lanka und Indonesien.

Es gebe gute Gründe für den Namen »Indischer Ozean«, dozierte Ronen Sen, Indiens Botschafter in den USA: »Er lag immer in der indischen Einflusssphäre.« Lange Zeit hieß das, einen Rückzug des US-Militärs aus der Region zu fordern. Mittlerweile aber gilt die US-Präsenz als willkommenes Gegengewicht zur chinesischen Militärmacht. Die US-Regierung, die China als potenziellen strategischen Konkurrenten betrachtet, scheint das Bündnis mit Indien stärken zu wollen. Russland und China dürften über diese Annäherung nicht begeistert sein. Sie sind bei der Katastrophenhilfe kaum hervorgetreten.

Die Gelegenheit zur Repräsentation ihrer Werte haben auch die islamischen Staaten versäumt. Die Golfmonarchien bringen gemeinsam nicht einmal 100 Millionen Dollar auf. »Wir sind reich, wir müssen ihnen mehr geben«, forderte die kuwaitische Tageszeitung al-Qabas, der libanesische Daily Star beklagt den »kollektiven Geiz« der Regierungen.

Aktiver sind islamische Hilfsorganisationen. Viele arbeiten wie die meisten christlichen Verbände ohne missionarischen Eifer. Doch auch militante Islamisten sind aktiv. Demonstrativ errichtete die Laskar Mujahedin in der Nähe des Flughafens der indonesischen Provinz Aceh einen Stützpunkt, vor dem ein Schild mit der Aufschrift »Islamic Law Enforcement« aufgestellt wurde.

Auch andere nicht staatliche Akteure wie die Tamil Tigers in Sri Lanka, die bei den Bergungsarbeiten die Effizienz ihrer Truppen unter Beweis stellten, wollen die Gelegenheit zur Profilierung nutzen. Die Ziele der Islamisten sind globaler, sie wenden sich vor allem gegen die US-Militärpräsenz. In den meisten betroffenen Staaten dürften die Regierungen ihre Aktivitäten jedoch unterbinden oder streng kontrollieren. So versuchen sie, die Katastrophe vornehmlich ideogisch zu nutzen, und bezeichnen die Tsunamis als Strafe Gottes für die Abweichung vom Islam. Gott hätte es allerdings wohl kaum versäumt, bei dieser Gelegenheit die Kreuzfahrerfestung Diego Garcia hinwegzuspülen. Auf der britischen Insel im Indischen Ozean, die einen dieser wichtigsten Militärstützpunkte der USA beherbergt, gab es kaum Schäden.