Scheck lass nach!

Nach der Flutkatastrophe in Asien hat bei deutschen Sendern ein humanitäres Wettrüsten eingesetzt. Wie viel Unterhaltung ist eigentlich notwendig, um den Spendenwillen aufrechtzuerhalten? von martin schwarz

Der Mann aus Norderney und seine Frau waren in Johannes B. Kerners ZDF-Millionenshow eindeutig die würdigsten Spender. Nachdem das Paar den Tsunami in Thailand knapp überlebt hatte und über die Hilfsbereitschaft der Einheimischen Auskunft gab, hob der junge Mann noch zu einer durchaus würdigen Rede an. Aus Dankbarkeit wollen er und etwa ein halbes Dutzend Freunde aus Norderney – allesamt namentlich genannt – gerne 500 Euro an die Flutopfer spenden. 500 Euro? Nicht viel. Aber in der Motivation erhabener als das, was deutsche Unternehmen vor den Kameras veranstalteten. Höflicher Applaus des Publikums, das die Nachricht von der 500 Euro-Spende offensichtlich erst sacken lassen musste, nachdem einige Unternehmen die Portokassen geplündert hatten.

Eine Million kam von der Deutschen Vermögensverwaltung, Daimler-Chrysler, Deutsche Post und Springer-Verlag schickten ihre Vorstände ebenfalls zum Scheck-in-die-Kamera-Halten und schütteten eine Million Euro aus. Anerkennendes Raunen durchfegte das Publikum, ungläubiges Staunen machte sich im Studio breit, als die Deutsche Bank gleich mal zehn Millionen Euro aus der Kasse nahm. Die Supermarktkette Lidl hatte davon offensichtlich nichts gewusst, denn der Riesenscheck über 500 000 Euro, der da ins Studio getragen wurde, schien plötzlich nichts mehr wert zu sein. Spontan verdoppelte der Lidl-Vertreter den Betrag. Eine Million Euro, das schien der Betrag der Stunde zu sein.

Freilich: Wenn die Deutsche Bank zehn Millionen Euro spendet und dafür wertvolle Sendeminuten bei Johannes B. Kerner, dem Premium-Wortspender des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, erhält, dann tut die Deutsche Bank das nicht nur, weil Aceh, Sri Lanka, Indien, Thailand, Myanmar und die Malediven dem Chef der Deutschen Bank, Josef Ackermann, Alpträume bereiten. Wenn die Deutsche Bank einen mannsgroßen Scheck anschleppt, dann wohl auch, weil das Werbe-Äquivalent zur besten Sendezeit aus der Spende ein Geschäft macht und weil die Marke Deutsche Bank damit direkt ins emotionale Epizentrum der werten Kundschaft einsickert. Die Deutsche Bank, ohnehin ständig von Skandalen bedroht, wurde nicht als Financier von Glaspalästen wahrgenommen, sondern als Erbauer von Hütten in Indonesien und anderswo. Für einen Augenblick wenigstens.

Johannes B. Kerner – immerhin – enthielt sich der offensichtlichen Spendenkeilerei, was sein Kollege Kai Pflaume, der emotional stets wohltemperierte Kuppler von Sat.1, eben nicht vermied: »Ich verspreche Ihnen, werte Unternehmer, wenn Sie mehr als 100 000 Euro spenden, dann halten wir einen großen Scheck in die Kamera«, hatte er tags zuvor beim Sat.1-Spendenspektakel gemeint.

Was falsch daran ist? Grundsätzlich wahrscheinlich nichts. Das Fernsehen übernimmt im Falle humanitärer Ausnahmesituationen immer wieder mal gerne die Funktion einer Werbefläche für spendenwillige Säulen des Wirtschaftsstandorts Deutschland.

Ein anderer Aspekt aber hinterlässt einen faulen Nachgeschmack: Warum muss jede noch so gut gemeinte Spendengala in ihrer Dramaturgie irgendwann einmal aussehen wie eine Mischung aus »Deutschland sucht den Superstar«, »Nur die Liebe zählt« und ZDF-Sportschau? Natürlich: Eine ästhetische Frage ist das, aber eine wichtige solche. Beispiel Kerner: Der lud sich eine offensichtlich durchaus wohlhabende deutsche Familie mit zwei tatsächlich bildhübschen Töchtern ein, die zwar Urlaub in Thailand gemacht hatten, aber nicht wirklich von der Flutkatastrophe betroffen waren. Nun, erstens war die Familie wohl bei Kerner, weil es eben diese beiden Töchter gab, und zweitens wohl, weil die Familie beschlossen hatte, eine Corvette aus der hauseigenen Garage zu verkaufen und die erwarteten 50 000 Euro zu spenden. Doch nicht einmal der Voyeurismus einer durchschnittlichen Nachmittagstalkshow wird damit bedient. Und warum gestattet man dem höchstwahrscheinlich künftigen Dschungelcamp-Insassen und belgischen Sänger, Helmut Lotti, ein Lied zu trällern, dessen Text er eigenhändig dem Anlass angepasst hatte: »Ich sehe 100 000 Tote, 500 000 Obdachlose, grenzenloses Leid«?

Noch ein wenig herzlicher ging es in der Sat.1-Spendengala zu. Wenn Kai Pflaume moderiert, weiß man, was man hat. Mit Brachialgewalt suggerierte er den Zuschauern auch immer wieder, was für eine großartige aktuelle Berichterstattung die monströse Senderfamilie hat: »Wir sehen ja täglich die Bilder in allen Nachrichtensendungen, Sat.1, Pro Sieben, N24 und so weiter.«

Derartiges leistete sich Pflaume öfter, und um die scheinbar von den Senderverantwortlichen gewünschte Positionierung als Tsunamitainment-TV zu unterstreichen, wurde in die Spendengala auch gleich mal Thomas Kausch, der neue Nachrichtenchef, implementiert. »Thomas Kausch wird uns im Laufe der Sendung immer wieder über die aktuellsten Ereignisse im Krisengebiet informieren«, kündigte Pflaume an. Allerdings passierte in den knapp drei Stunden in der Krisenregion nichts Sensationstaugliches. Ein paar Reporter wurden zugeschaltet, durften ihre Beiträge aus der Konserve abspielen. Einfach erbaulich war der Augenblick gegen Ende der Millionenshow, als Pflaume an Kausch übergab und ihn bat, die aktuellsten News zum Besten zu geben. Aber: »Neues gibt es eigentlich nicht, deshalb gleich wieder zurück zum aktuellen Spendenstand.«

Immerhin war der sowohl bei ZDF als auch bei Sat.1 durchaus befriedigend: Knapp elf Millionen sendete Sat.1 zusammen, mehr als 40 Millionen das ZDF. Und das bei relativ schlechten Quoten. Nur 3,36 Millionen wollten Pflaume sehen, 6,3 Millionen wollten Kerner. Ob da schon ein wenig die compassion fatigue beim Publikum eingesetzt hat, jenes Phänomen also, das eine gewisse televisionäre Übersättigung mit all dem Leid beschreibt und die Menschen nach anderen Themen Ausschau halten lässt? Genau da liegt übrigens auch der Knackpunkt der TV-Spendenflut: Sie läuft allen Intentionen zum Wiederaufbau zuwider, beschränkt das Leid der Betroffenen auf den Moment und packt es in halbwegs verdauliche Fernsehformate.

Ein wenig unwürdig war übrigens auch der Kampf der einzelnen Sender, die ersten zu sein: Sat.1 wollte seine Gala ursprünglich erst am 6. Januar ausstrahlen. Als jedoch ruchbar wurde, dass das ZDF bereits am 4. Januar mit Kerner auf Sendung geht, wurde der Starttermin auf den 3. Januar vorverlegt. Dass beim ZDF wesentlich mehr Geld zusammenkam, lag wohl an mehreren Faktoren: an den Großspenden der Deutschen Bank und Michael Schumachers einerseits und auch daran, dass das ZDF sich Bild als Partner ausgewählt hatte, während der Modernisierungsverlierersender Sat.1 sich das Flaggschiff der saturierten Nachdenklichkeit, die Zeit, als Partner ausspähte.