Unter Freunden

Das Schwule Museum in Berlin dokumentiert die 200jährige Geschichte homosexueller Emanzipation. von jörg sundermeier

Karl Heinrich Ulrich, der 1867 auf dem Deutschen Juristentag die Abschaffung aller gegen Homosexuelle gerichteten Paragrafen forderte und nicht nur deswegen von einigen als der »erste deutsche Schwule« bezeichnet wird, hatte fünf Jahre zuvor an seine Schwester geschrieben: »Mit großer Liebe ermahnst du mich, jetzt den Entschluss der Umkehr zu fassen. Du gibst zu, die Umänderung möge sehr schwer sein. Aber Gott werde helfen. Das lautet sehr schön – und wäre auch ganz richtig gesprochen, wenn meine Neigung eine Angewöhnung oder eine Abirrung von meiner angeborenen Natur wäre. – Aber, liebe Schwester, selbst das allerschönste Frauenzimmer zu lieben ist mir absolut unmöglich, und zwar lediglich deshalb, weil kein Frauenzimmer mir auch nur eine Spur von Liebesempfindung einflößt, kein Mensch aber sich selbst durch seine eigene Willenskraft Liebe gegen bestimmte Personen oder Geschlechter einflößen kann. Dies ist auch stets bei mir so gewesen. Hättest du Recht, ich hätte jemals auch nur eine leise Spur von Liebe empfunden zu Dorette K., Auguste H., Louischen U. oder zu einer der vielen jungen Mädchen, mit denen ich getanzt, dann hättest du auch im Übrigen Recht, dann fiele mein ganzes System zu Boden, und alle meine Sätze von A bis Z wären irrig.«

Den Kampf Ulrichs setzten andere fort, so gab beispielsweise das »wissenschaftlich-humanitäre Comitee«, das von vielen frühen Aktivisten der Gleichstellung der gleichgeschlechtlichen Liebe gegründet wurde, im Jahre 1901 die Aufklärungsschrift »Was soll das Volk vom dritten Geschlecht wissen?« heraus, in der es hieß: »Alle Eltern sollten bedenken, dass das eine oder andere ihrer Kinder ein Urning – so wollen wir nach dem Vorgange von Ulrichs in dieser Schrift die gleichgeschlechtlich Empfindenden bezeichnen – sein kann, sodass der erwähnte Paragraf (175) das ihnen Teuerste bedroht. Unter denen, die sich gegen die Aufhebung dieses Gesetzes aussprachen, befindet sich ein Pfarrer, von dem wir mit Bestimmtheit wissen, was er selber nicht weiß, dass unter seinen Söhnen ein Urning ist. Wie viele Mütter können es nicht begreifen, weshalb ihr Sohn trotz seiner vorzüglichen Charaktereigenschaften, trotz wahrer Herzensgüte stets so in sich gekehrt ist, keine Freude am Leben hat und sich eines Tages ein Leid antut, dass ihre Tochter einen Freier nach dem anderen von sich weist. Sie würden sie verstehen, wenn sie von dem Gegenstande dieser Flugschrift etwas wüssten und würden diesen Punkt gewiss bei der Erziehung, bei der Berufswahl und Verheiratung der Kinder nicht außer Acht lassen; sie würden berücksichtigen, dass für diese Kinder die Ehe und die Fortpflanzung geradezu ein naturwidriger Akt ist, für sie selbst eine Qual, und für die Nachkommen eine Gefahr, da bei letzteren Geistes- und Nervenstörungen aller Art sehr häufig auftreten. Es gibt Naturvölker, welche für Urninge ganz bestimmte Berufszweige, beispielsweise die Krankenpflege, offen halten und ihren Söhnen gestatten, Weiberkleidung zu tragen, sobald sie bemerken, dass sie Weiblinge sind. Sind diese Stämme nicht vielen Kulturvölkern an Verständnis und Gerechtigkeitsgefühl voraus?«

Ulrich und das wissenschaftlich-humanitäre Comitee bezeichneten den Beginn der organisierten Schwulenbewegung in Deutschland. Öffentlich und immer eingedenk des Umstandes, dass Homosexualität unter Strafe stand, protestierten sie mit ihren Texten und Vorträgen für die gleichgeschlechtliche Liebe. Sie sind die Helden der Ausstellung »Selbstbewusstsein und Beharrlichkeit – 200 Jahre schwule Geschichte«, die erste Dauerausstellung zur mann-männlichen Liebe, die seit Dezember 2004 im Schwulen Museum in Berlin zu sehen ist, das das erste seiner Art ist.

Die hier ausgestellte schwule Geschichte handelt von den drakonischen Strafen für Homosexuelle, die in der »Peinlichen Halsgerichtsordnung« aus dem Jahr 1532 festgeschrieben wurden, erst unter Friedrich II. von Preußen wurde die Todesstrafe nicht mehr für »Sodomie« verhängt. Nach den Verklärungen der griechischen Knabenliebe, der besonderen Beziehung von Jesus zu seinem »Lieblingsjünger« Johannes und anderer historischer Vorbilder einer ganz besonderen Freundschaft traten nun, am Ende des 19. Jahrhunderts, erstmals Schwule öffentlich für gleiche Rechte ein.

In der Ausstellung werden Adolf Brand und seine Zeitschrift Der Eigene, Magnus Hirschfeld und sein Institut für Sexualwissenschaft, die Thesen vom »Urning« und vom »dritten Geschlecht« und andere wohlbekannte Figuren und Projekte präsentiert, ebenso die diversen Treffpunkte für Homosexuelle im Berlin der Weimarer Republik, bekanntere und unbekannte homosexuelle Künstler, Kurt Hiller oder Conrad Veidt, daneben Vorbilder wie Marlene Dietrich, selbstredend fehlt auch Christopher Isherwood nicht. Überdies ist die Verfolgung durch die Nazis dokumentiert und die anhaltende Verfolgung und Diskriminierung der Homosexuellen unter Adenauer; auf einer Tafel finden sich auch magere Auskünfte über die Zustände in der DDR. Schließlich geht es auch um die Siebziger und Achtziger, die Differenzierung der Schwulenbewegung und die Aids-Krise, letztgenannte allerdings doch recht huschhusch in der ansonsten sehr aufwändig gestalteten Ausstellung, die mit den achtziger Jahren endet. Vielleicht wollte man aus Rücksicht auf Eitelkeiten nicht auch noch die jüngste Geschichte dokumentieren, etwa den Umstand, dass ein bekennender Schwuler Berlin regiert. Klaus Wowereit ist dann allerdings als Schirmherr dieser Ausstellung doch noch präsent.

Alles in allem bringt die Ausstellung wenig Neues, einige Ausstellungsstücke, etwa die Dokumente zum Salon des Kellners Richard Schultz, sind aus anderen, früheren Ausstellungen des Schwulen Museums bekannt, andere gehören gewissermaßen zum Kanon. Die Chance, anhand von weniger bekannten, nichtsdestotrotz sehr bedeutenden Figuren wie etwa dem literarischen und politischen Aktivisten Kurt Hiller (der sich erst nach seinem Tod per Autobiografie outete) die Schwierigkeiten und konkurrierenden Meinungen innerhalb der frühen homosexuellen Szene darzustellen, wurde verpasst. Auch zum Elitarismus, Exotismus und zur Frauenfeindlichkeit in der frühen homosexuellen Gleichstellungsbewegung findet sich kaum etwas.

Der Angriff auf die Homosexuellen wird in dieser Ausstellung nicht als ein Angriff auf die Menschen per se begriffen, er kommt vielmehr ausschließlich von außen, Rassetheorien und andere Ekelhaftigkeiten aus den Kreisen der frühen Vorkämpfer können und sollen offensichtlich nicht zum Thema werden. Das allerdings ist nicht nur dem recht kleinen Ausstellungsraum geschuldet, sondern leider auch dem doch allzu großen Bedürfnis nach Identifikation. Es muss eben eine »schwule Geschichte« gebildet werden, in der andere, störende Geschichtserzählungen keinen Platz haben.

So aber wird diese Geschichte eine Opfergeschichte, in der Helden die Befreiung bringen. Das ist, selbst dann, wenn man die Wowereits ebenso bedienen will wie die noch immer politisch radikalen Schwulen, wenn man ein Museum auch für den Durchschnitts-Icke macht, leider doch ein bisschen dürr, da es die ideologisch reine, möglichst bruchlose Erzählung der Kritik vorzieht.

»Selbstbewusstsein und Beharrlichkeit – 200 Jahre schwule Geschichte«. Schwules Museum, Mehringdamm 61, 10961 Berlin, tägl. außer Di. 14 bis 18 Uhr, Sa. bis 19 Uhr