Völker, hört die Signale!

Die Themen in Porto Alegre von carlos kunze

Sie hat’s nicht leicht, die »Bewegung der Bewegungen«, die hin und wieder, etwa von Fausto Bertinotti von der italienischen Rifondazione Comunista, gar zur »zweiten Weltmacht« stilisiert wird. Das Europäische Sozialforum im Oktober 2004 in London hat einen gewissen Wendepunkt markiert. Dort war die Leitung des Forums von den Jihad-Freunden der Socialist Workers Party gehijackt worden. Die Tendenz zur Sozialdemokratisierung war unübersehbar, radikalere Kräfte sprengten einige Veranstaltungen, die Abschlussdemonstration war vergleichsweise mickrig. Und allgemein wurde beklagt, dass die jährliche Abhaltung solcher Großevents kaum Raum und Zeit für die Organisierung von Widerstand lasse.

Das war natürlich höchstens die halbe Wahrheit. Wie man aus dem, was sich auf den Foren tummelt – Politiker, NGO-Jetset, arbeitsfetischistische Gewerkschafter, Tobin-Steuer-Intellektuelle, staatstragende Attacler und konstruktive Linksradikale –, eine Bewegung schafft, die »eine andere Welt« erkämpft, ist eine Frage, die noch den gutwilligsten Bewegungsfetischisten in die Verzweiflung treiben kann. Besser, man stellt sie nicht und redet von etwas anderem.

Dazu bietet sich nun das Weltsozialforum in Porto Alegre an. Eine AG »Methodologie des Internationalen Rats des WSF« hat im vergangenen Jahr eine thematische Umfrage gemacht und aus den Vorschlägen von »1 863 Organisationen« elf Themenschwerpunkte für die Diskussionen auf dem WSF »kondensiert«. Sie dürften repräsentativ für den Bewusstseinsstand der »zweiten Weltmacht« sein. »Sicherung und Verteidigung der öffentlichen Güter und Völker«, »Kunst und Kreativität – für eine Kultur des Widerstands der Völker«, »Recht auf Diversität, Pluralität und Identität«, »Souveräne Ökonomien durch und für die Völker«, »Ethik, Weltansichten und Spiritualität – Widerstand und Herausforderungen für eine neue Welt«: über all das soll diskutiert werden.

Kurz: Es völkelt an allen Ecken und Enden. Kritik raus, Esoterik rein – das scheint das Leitmotiv zu sein. Aber dieser weitere Ideologisierungsschub ermöglicht es, sich umstandslos mit allen Bewegungen in Lateinamerika solidarisch zu erklären, die gegen die krisenhafte kapitalistische Modernisierung mystifizierte vorkapitalistische Vergesellschaftungsformen in Anschlag bringen. Nebenbei: Das entspricht dem Vorgehen der so genannten konservativen Revolution in der Weimarer Republik, die richtigerweise als moderne Reaktion zu bezeichnen ist.

Was passiert, wenn der Wille zu blinder Solidarität jeden kritischen Gedanken ausschaltet, illustriert auch der Text »Die Frage über die solidarische Wirtschaft in Porto Alegre« auf der Website von Attac. Denn »was aus Porto Alegre vor allem heraussticht«, schreibt dort Antoine Rouillé d’Orfeuil, ist »der Wille, ein Netzwerk aufzubauen, das die Partner der solidarischen Wirtschaft und sämtliche Sozialpartner überhaupt zusammenführt, als echte Alternative zum neoliberalen Modell«. Zu den Partnern zählt der Autor offenbar »Guy Hascoët, den französischen Staatssekretär für solidarische Wirtschaft«, und auch die Gründung einer »solidarischen Weltbank« wurde bereits »angesprochen«. So ist zu befürchten, dass das WSF in diesem Jahr zuallererst eine Funktion erfüllt: als globale Ideologieschleuder.