Celebrating Freedom

George W. Bush ging bei den Feierlichkeiten zu seiner Amtseinführung in Washington auf Nummer Sicher. david reed war live dabei

Manchmal ist es ganz gut, seinen Kopf in den Sand zu stecken. In den zwei Monaten nach der Wahl (Jungle World, 47/04) habe ich keine Nachrichten geguckt, gehört oder gelesen. Ich wollte Bushs Gesicht nicht sehen, seine Stimme nicht hören. Und ich muss sagen, dass ich die Pause sehr genossen habe.

Nach dem Tsunami ging das aber nicht mehr. Ich habe den Fernseher wieder eingeschaltet und mich daran gewöhnt, die Internetadressen der Zeitungen in meinen Browser einzutippen. Komischerweise musste ich feststellen, dass Bush viel mehr Kritik bekommen hatte, als ich erwartet hätte. Und – vielleicht bilde ich mir das auch nur ein – ich habe das Gefühl, dass er sich dabei nicht so richtig wohl fühlt. Ich will ihn persönlich sehen, seine Amtseinführung live erleben!

12. Januar 2005

Es stellt sich heraus, dass man seine Anmeldung bis zum 4. Januar hätte einreichen sollen, um sich als Journalist an den Feierlichkeiten zu beteiligen. Macht nichts, ich bin sicher, dass ich irgendwie als Teil der Öffentlichkeit reinkommen kann. Aber so, wie sie es in diesem Jahr handhaben, braucht man Tickets für alles, also gehe ich ins Netz und versuche, welche zu finden. Offiziell gibt es keine Karten mehr. Aber ich suche alle möglichen Websites ab, um einen anderen Weg zu finden.

15. Januar

In der Zeitung lese ich, dass es doch noch Karten gibt. Man muss nur die richtigen Leute kennen. Weil ich die aber nicht kenne, verbringe ich den Tag vor dem Computer. Überprüfe Craigslist.org stündlich, ebenso Ebay. Karten gibt es auch bei Agenturen, aber die sind etwas teurer, als ich es mir leisten kann: 100 Dollar für Stehplätze, 500 Meter weit weg, halbwegs gute Sitzplätze kosten 3 000 Dollar. Die Bälle zur Amtseinführung sind dagegen richtig preiswert, es gibt schon Anzeigen für 1 200 Dollar, für zwei Karten.

16. Januar, 1.30 Uhr

Ein Durchbruch! Ich lese in einem Posting auf Craigslist, dass sie sich entschlossen haben, ein Passwort für die Kartenbestellung freizugeben, um mehr Leute bei den Veranstaltungen zu haben. Klingt komisch, aber ich tippe es schnell ein und bestelle acht Tickets für jede der kostenlosen Veranstaltungen ein (Vereidigungszeremonie, »Freiheitsfeier« – Wow! Zur Freiheitsfeier!) und verzichte erst mal auf die Tickets zur Parade (je 60 Dollar) und den Ball (je 150 Dollar).

Als ich zu Craigslist zurückkomme, um einen genaueren Blick auf das Posting zu werfen, ist es verschwunden! Seltsam. Irgendwas stimmt hier nicht, und ich frage mich, was wohl passiert wenn ich versuche, die Tickets abzuholen? In meinem Kopf dreht es sich, bin zu nervös zum Schlafen.

9 Uhr

Die Proben für die Amtseinführung und die Parade (inklusive Präsidentendouble) sind heute früh, und ich möchte sie wirklich gerne fotografieren. Aber bis ich alle Ticketlisten überprüft habe (vielleicht finde ich ja doch noch bessere Karten?) und nach Washington komme, ist es Mittag und die Probe scheint vorbei zu sein. Leute steigen in Busse und es gibt keine Spur von jemandem, der präsidentenmäßig aussieht. (Notiz für mich: Amtseinführungskomitee anrufen; ein späteres Treffen mit dem Double vereinbaren.)

Fotografiere eine Holzinstallation gegenüber vom Weißen Haus (irgenwas für die Parade) und ein Security-Typ (Geheimdienst?) auf einem Fahrrad kommt und will wissen, was ich da mache. Ich sage ihm, dass es interessant aussieht, aber er bleibt misstrauisch. Als ich erwähne, dass ich Kunstdozent bin, scheint alles vergeben zu sein: »Aha! Ich wusste, dass es irgendeinen Sinn hat.«

Er fährt weiter und ich renne zurück zum Auto. Ich habe strategisch bei einem Hotspot geparkt, also logge ich mich bei Ebay ein und biete für ein paar gelbe Tickets (# 1) (die kostenlosen, die ich gestern Abend bestellt habe, sind bestimmt golden, und es wäre schön, auf gelb aufstocken zu können). Aber der Preis ist in den letzten zehn Minuten von 30 auf 150 Dollar gestiegen, also gehe ich zurück und mache noch ein paar Fotos bis zum nächsten Auktionsende. Das dauert nicht lang: Ich mache ein Gebot von 60,01 Dollar für zwei gelbe Tickets, aber der Akku meines Laptops gibt eine Minute und zwei Sekunden vorm Ende der Auktion auf.

Fotografiere, bis es dunkel wird, gehe los, um die kostenlosen Tickets abzuholen.

17 Uhr

Irgendwie dachte ich, da sei nur ein Abholschalter. Aber es ist eine Art Konferenzraum in einem schicken Hotel – ein republikanisches Hornissennest mit mehreren Sicherheitsstufen! Es sieht so aus, als ob die Tickets nur an gute Republikaner gehen, und ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich diesem Profil entspreche. Ich versuche, möglichst locker zu wirken, und hoffe, dass mich niemand bemerkt. Ich werde von einer Schlange zur nächsten geschickt und habe das Gefühl, dass alle, mit denen ich rede, merken, dass ich nicht hierher gehöre. Eine Frau trägt mich für drei Tickets statt meiner 16 ein, und ich bemühe mich um einen sicheren Ton, als ich sie korrigiere. Der nächste Typ bemerkt, dass ich meine Bestellung um 2 Uhr morgens eingegangen ist, und ich fürchte, ich fliege gleich auf. Aber er zählt meine Tickets auf den Tisch, und sie lassen mich sogar ein Bild machen, als ich hinausgehe.

Prüfe das Souvenirangebot zur Amtseinführung im Geschenkeshop (# 2); sehe mich selbst auf dem Weg nach draußen kurz im Spiegel an: puh! Wen, dachte ich, würde ich täuschen können?

22 Uhr

Wie sich herausstellt, habe ich die Versteigerung gewonnen, was in diesem Fall nicht gut ist, da die kostenlosen Tickets genau die gleichen sind wie die, für die ich 60 Dollar zahle. Der Verkäufer ruft an und instruiert mich, sie im Büro von Orin Hatch, dem ultrakonservativen Senator aus Utah, abzuholen. Suche den Namen des Verkäufers bei Google und entdecke, dass er im letzten Frühjahr an einer Kampagne beteiligt war: Die Familienberatung von Planned Parenthood habe sich mit den Pfadfinderinnen verschworen, um seine Töchter zu verderben. Wow! Das sind also die Leute, mit denen ich arbeite!

Verkünde auf Craigslist, dass ich die Tickets verkaufe; suche nach Möglichkeiten, etwas besseres rauszuschlagen. (Meine Tickets sind Gelb-Süd, und ich würde sehr gerne ein Gelb-West-Ticket in die Hände bekommen! Und natürlich wäre es toll, in den Amtseinführungsball reinzukommen … Hätte ich eine Karte für ein Footballspiel oder ein Rockkonzert für die Tsunami-Opfer, könnte ich mir vielleicht den Weg freihandeln. Aber es scheinen nicht viele Leute hinter einer Freiheitsfeier her zu sein.)

17. Januar

Diese kostenlosen Tickets könnten ein republikanischer Trick gewesen sein, um mich abzulenken: Ein paar Leute haben gemailt, aber niemand kauft sie. Die Preise scheinen minütlich zu fallen, und ich fürchte, ich werde diese Tickets nicht mehr los. Stelle sie bei Ebay rein, verbringe den Abend damit nachzusehen, ob irgendwelche Gebote reingekommen sind.

18. Januar, 18 Uhr

Die Versteigerungen schließen, und die Preise sind nicht annähernd so, wie sie vor zwei Tagen waren, aber immerhin springt ein bisschen Spritgeld dabei heraus. Jetzt kommt der schwierige Teil – die Tickets rechtzeitig vor Beginn der Veranstaltungen allen sechs Käufern zukommen zu lassen. Verbringe den Abend mit Anrufen, E-Mails und damit, zu Fedex zu rennen.

19. Januar

Heute gab es den ersten Schnee des Jahres – ein schöner Tag, um die Freiheit in der Behaglichkeit meiner Wohnung zu feiern! Wenn ich doch nur nicht nach Washington fahren und überall in der Stadt Tickets verteilen müsste! Aber wie oft hat man schon die Gelegenheit, die Freiheit mit dem Präsidenten der Vereinigten Staaten zu feiern?

Fahre an vier Autos mit Totalschaden vorbei und an fünf verwaisten; verliere ein paar Mal die Gewalt über meinen Wagen, aber nicht so lange, dass ich meine Verabredungen nicht einhalten könnte. Erster Halt: ein Reihenhaus gegenüber dem Supreme Court. Wo ich schon mal hier bin, mache ich Fotos vom Müll an der Hintertür, bis mich ein Wachmann rauswirft; gehe dann zum Büro von Orin Hatch, um die Tickets abzuholen.

16.30 Uhr

Ich bin spät dran für die Freiheitsfeier und ich weiß, dass George W. Bush und die Republikaner keine Verspätungen mögen (Jungle World, 50/00). Irgendwie machen sie heute eine Ausnahme und fangen gerade erst an, als ich durch die Kontrollen komme. Zum Glück sind sie gut mit Miettoiletten ausgestattet; ich nutze die Gelegenheit während der priesterlichen Segnung und mache, wo ich schon mal da bin, ein Selbstportrait (# 3). Begebe mich zur Bühne, wo sich die Festlichkeiten in einer unverkennbar amerikanischen Art entwickeln, mit großzügigen Einspielungen aufgezeichneten Materials auf riesigen Leinwänden. Der Höhepunkt, abgesehen von Bushs Rede, ist erreicht, als ein paar echte Apollo-Astronauten die Annehmlichkeiten des VIP-Zelts verlassen, um sich (auf einem kleineren Monitor auf der Bühne) Bilder von der Mondlandung anzusehen.

Nach dem Feuerwerk gehe ich backstage und mache ein paar Hinter-den-Kulissen-Aufnahmen. Ich hatte gehofft, das Namensschild von Bushs Stuhl zu bekommen, aber jemand war schneller. Die von seiner Frau Laura und von Dick Cheney sind auch schon weg, aber ich schnappe mir die von Mary Cheney und Jeb Bush. Der Wachmann scheint verärgert und fragt mich, ob ich sie bei Ebay verkaufen will (hey, gute Idee!), aber er lässt mich machen, und ich beeile mich, zu meinem nächsten Tickettreffen zu kommen.

20. Januar, 1 Uhr

Ich bleibe die Nacht bei meinem Freund Rich und bringe ihn dazu, auf Craigslist nach Last-Minute-Sonderangeboten zu suchen. Endlich! Jemand bietet ein blaues Ticket für 20 Dollar an! Schicke eine E-Mail; eine Viertelstunde später bin ich auf dem Weg nach Georgetown, um es abzuholen. Rich gibt mir sein altes Handy (und sagt, ich kann es behalten – keine »Notizen für mich« wegen Handys mehr!), um das Treffen einfacher zu machen.

10.30 Uhr

Die Menschenmenge vor der Sicherheitskontrolle ist riesig. Aber die Masse wärmt ganz schön an so einem kalten Morgen. Vielleicht ist es aber auch die Wärme der vielen VIPs, die hier überall herumstehen. Der Typ vor mir in der Schlange z.B. wird mit »Senator« angeredet.

Mit einer blauen Karte ist man relativ schnell durch, schon um 11.30 Uhr stehe ich in der blauen Zone – genau wie gestern laufe ich während der priesterlichen Segnung ein. Anscheinend überprüft niemand mehr die Tickets, sobald man in der blauen Zone ist, also wechsle ich von den Stehplätzen (guter Blick auf die Bäume; Wert 500 Dollar) zu den Sitzplätzen (Wert 3 000 Dollar) und gehe, wo ich schon mal da bin (warum nicht?), nach vorne. Zum Glück sind die meisten Plätze leer (Notiz an mich: »Danke«-Kärtchen an die Organisatoren für die strengen Sicherheitskontrollen schicken), und ich probiere herum, von wo die Videoleinwand am besten zu sehen ist (Bush ist sogar von den guten Plätzen so weit entfernt, dass er kaum zu sehen ist).

Und dann … Jemand scheint sich in das Lautsprechersystem eingeschaltet zu haben, man hört ein seltsames schnarchendes Geräusch, als Bush den Eid ablegt. Ist den Eintrittspreis wert! Das und die Gelegenheit, Fotos von Frauen in Pelzmänteln und Turnschuhen zu machen (# 4). Bush hält eine kurze Rede, und dann ist die ganze Sache vorbei. Fünf Tage Arbeit für eine Stunde. Alle scheinen diesen historischen Moment in Erinnerung behalten zu wollen, und ich natürlich auch (# 5, # 6, # 7). Jage nach Souvenirs (# 8), bis mich die Security rauswirft (# 9).

14 Uhr

Ich befinde mich außerhalb des sicheren Bereichs und nutze die Gelegenheit, einen schnellen Imbiss zu nehmen. Raffinierterweise sind die Miettoiletten aber nur im sicheren Bereich zu finden, also stelle ich mich in der Schlange am nächsten Security-Check an: genau richtig getimed! Eine halbe Stunde Herumschlurfen später (inklusive Herauswinken und einer kurzen Erklärung, warum ich so viele Kameras habe) habe ich die Wahl unter 50 Toiletten. (Ich habe gehört, Miettoiletten sollen die Nummer eins auf der Anfrageliste für die vom Tsunami betroffenen Gebiete sein, und ich bin den Mächten dankbar, dass für die Gäste der Zeremonie eine ausreichende Anzahl bereitsteht.)

Hier gibt es eine Kontrolle nach der anderen. Ich stelle mich also in eine weitere Schlange, diesmal um die Parade zu sehen. Ich möchte heulen: da steht ein Typ, der die Wahrheit unserer Zeiten auf einen Pappkarton geschrieben hat, und niemanden scheint es zu interessieren (# 10). Ich stehe brav einige Minuten, bis sie die Metalldetektoren senken und einfach alle durchlassen.

Bush ist allerdings schon vorbeigefahren, und ohne Bush ist die Parade bloß, nun, eine Parade. Es ist ziemlich kalt, um herumzustehen und sich eine Parade anzusehen, auch wenn die Teilnehmer aus vielen verschiedenen Staaten kommen. Mache ein paar Bilder (# 11), verlasse versehentlich den Paradebereich und darf nicht wieder hinein (# 12). (Hat niemand dem Wachmann gesagt, dass die sichere Zone keine sichere Zone mehr ist?) Ich versuche zu argumentieren, aber es nützt nichts.

Mittlerweile bin ich auf der anderen Straßenseite vom Weißen Haus und sehe, dass sie die Reste von den gestrigen Freiheitsfeier noch nicht weggeräumt haben. Also stoppe ich bei einem Organisatorenzelt und bediene mich bei den Getränken. Ich genieße den Saft, die Ruhe und (endlich) den schönen Blick auf die ungesicherten Toiletten (# 13).

Laufe ein paar Meilen zurück zu Rich (und zu meinem Auto), fahre ihn zum (inoffiziellen) Amtseinführungsball »Erneuerbare Energie«. Mittlerweile ist Bush auch zu den Bällen gegangen, also gehe ich zurück zur Paraderoute, in der Hoffnung auf ein Namensschild von der Tribüne des Präsidenten. Aber vergeblich: Eine Wache steht auf der verschlossenen Tribüne und eine davor. Die Wache bittet mich höflich zu gehen. Mir ist kalt, und ich mache mich, dankbar für diese Ausrede, auf den Weg nach Hause.

aus dem amerikanischen von martin schuster

David Reed: Der Foto- und Videokünstler David Reed lebt und arbeitet in Baltimore. In Jungle World veröffentlichte er seine Arbeiten »The Circumstantial & the Evident 1 & 2« (5 und 6/99), »Mein 9. November« (48/99), »Heaven can wait« (22/00), »The Media Zone« (36/00), »Chad Fever« (50/00), »11. September« (43/01), »Just Stuff« (26/02), »Exile in Armenia« (14/03), »Exile in Armenia II – The Return« (27/03) und »Hope is on the run« (47/04).