»Wir haben Leute gesucht, die für sich selbst tanzen«

Antje Kruska und Judith Keil

Viermal haben die Dokumentarfilmerinnen Judith Keil und Antje Kruska bisher zusammengearbeitet; die Ergebnisse heißen »Ausfahrt Ost«, »Der Glanz von Berlin« (für den sie im Jahr 2003 den Grimme-Preis erhielten), »Teuflische Spiele« und nun »Dancing with myself«. In ihrem neuen Werk dreht sich alles um die drei leidenschaftlichen Tänzer Laurin, Mario und Reinhard. »Dancing with myself« eröffnet am 11. Februar die »Perspektive deutsches Kino« der Berlinale.

Mit Judith Keil und Antje Kruska sprach Maik Söhler.

Auf welcher Tanzfläche entstand die Idee, einen Film über Tänzer aus Leidenschaft zu machen?

Antje Kruska: Wahrscheinlich auf einer Party. Wir tanzen selber gerne, es gibt kaum eine Party, auf der wir nicht tanzen. Und wir mögen es, Leuten beim Tanzen zuzuschauen und dabei zu überlegen, warum jemand tanzt. Tanzt sie nur für sich? Will er jemanden kennen lernen? Eine andere Frage für uns war: Was machen diese Leute wohl, wenn sie gerade nicht tanzen? Aus alldem entwickelte sich die Idee, mal was über Tänzer zu machen.

Im »Glanz von Berlin« ging es um den Alltag von drei Putzfrauen, also um ihren Beruf, nicht um ihre Leidenschaft…

Antje Kruska: Genau. Die müssen sich ja nicht mit ihrem Beruf identifizieren; die Art, wie sie putzen, muss nichts über ihr sonstiges Leben aussagen. Das ist oft anders, wenn es ums Tanzen geht; das sagt schon ein wenig mehr über die jeweilige Person aus.

Judith Keil: In all unseren Filmen hat das Tanzen eine kleine Rolle gespielt, wir haben immer schon gerne Tanzszenen gedreht. Denn dabei entstehen Stimmungsbilder und nonverbale Erzählungen, die für unsere Art des Dokumentarfilms sehr wichtig sind. Tanzen ist filmisch immer ein dankbares Thema. Wobei wir beim Drehen aber auch schnell gemerkt haben, wie schwer es ist, beim Tanz das zu vermitteln, was man live erlebt.

Wie viele Diskotheken muss man besuchen, um drei Protagonisten für einen Tanzfilm zu bekommen?

Judith Keil: Wie viele es genau waren, weiß ich nicht mehr. Die Recherchezeit beläuft sich auf ein halbes Jahr, das ist bei uns fast schon üblich. Mario haben wir tatsächlich in unserer ersten Recherchenacht gesehen. Er hat fast ununterbrochen getanzt und hat uns gleich fasziniert. Laurin haben wir auch in einem Club kennen gelernt und angesprochen. Das war auch wirklich der größte Teil unserer Recherchearbeit, in all diese völlig unterschiedlichen Clubs zu gehen: von der rauchfreien Esoterik-Disco mit Barfuß-Tanzfläche über vernebelte Gruftie-Keller und die Metal-Szene bis zu Edelclubs wie dem »Adagio« am Potsdamer Platz.

Ergänzend haben wir per Annonce in Stadtmagazinen und Tageszeitungen »leidenschaftliche Tänzer, die keine Profis sind und für die das Tanzen ein Ventil ist«, gesucht. Darauf haben sich auch viele gemeldet. Reinhard haben wir über einen Zwischenweg kennen gelernt. Wir waren im Zentrum »Zeitlos«, wo er immer tanzen geht. Von dort hätten wir gerne einen Protagonisten gehabt, denn da gibt es eine Art Ausdruckstanzen in Reinform, ungenierte Hingabe ans Tanzen, man konnte stundenlang zusehen. Unser Protagonist sollte aber kein völlig abgehobener Esoterik-Freak sein, bloß nicht jemand, den man von Anfang an nicht ernst nimmt. Dort haben wir unsere Annonce als Aushang hinterlassen, die Reinhards Tochter Tanja gesehen und ihrem Vater mitgebracht hat.

Warum eigentlich kamen keine Berufstänzer in Frage?

Antje Kruska: Balletttänzer oder Tangotänzer sind optisch natürlich ein großer Genuss, diese ganze Körperbeherrschung, vielleicht auch Kasteiung des eigenen Körpers. Aber Berufstänzer tanzen ja auch für andere Menschen, und wir haben Leute gesucht, die für sich selbst tanzen und nicht, um anderen zu gefallen. Das hätte man auch nicht koppeln oder mischen können. Wir wollten leidenschaftlichen Tanz, der vielleicht zu einem Leben gehört, in dem nicht immer alles auf festen Beinen steht. Wir haben sensible Menschen gesucht, die sehr begeisterungsfähig, aber auch sehr verletzlich sein können. Dass dann aber alle drei Protagonisten während der Dreharbeiten eine schwere Zeit durchgemacht haben, konnten wir nicht wissen, und das war so auch nicht geplant.

Verändert das den Film?

Judith Keil: Natürlich. Wir hatten schon sehr konkrete Vorstellungen davon, was den Protagonisten im Film passieren könnte und was sie thematisch beschäftigen würde, aber das echte Leben lässt sich natürlich nicht vollends steuern. Obwohl wir unsere Protagonisten wirklich gut und lange kennen gelernt haben, konnten wir nicht wissen, dass Laurin tatsächlich die Schule schmeißt, dass Mario keinen Job mehr findet und seine Töchter nicht mehr sieht und dass Reinhard nach einer Medikamentenstudie psychisch krank wird. Aber so waren wir »mitgefangen, mitgehangen« und haben sie eben auf ihren Wegen begleitet.

Die Tänzer im Film stammen aus drei Generationen, Laurin ist knapp unter 20, Mario Mitte 30 und Reinhard um die 60. War das so geplant oder ergab sich das zufällig?

Antje Kruska: Eine Zeit lang haben wir nur Männer zwischen 30 und 40 gefunden. Aber warum eigentlich?

Judith Keil: Weil sich so viele Männer dieses Alters auf die Annonce gemeldet haben. Diese Männer haben sich sehr selbstbewusst als leidenschaftliche Tänzer bezeichnet, und gemeinsam hatten sie vielleicht, dass sie sich mit dem exzessiven Tanzen auch ein bisschen gegen das Erwachsenwerden gesträubt haben. Irgendwann hatten wir dann aber eine gemischte Truppe von sechs interessanten Leuten.

Laurin, Mario und Reinhard sind es dann geworden. Diese Drei-Generationen-Variante hat uns sehr gut gefallen. Das Tanzen bekommt damit etwas Übergreifendes, es ist nicht auf einen Lebensabschnitt begrenzt.

Antje Kruska: Gemeinsam haben sie, dass das Tanzen für alle drei auch ein Fluchtpunkt außerhalb des Lebens ist, dass sie sich beim Tanzen die Kraft holen, die sie woanders brauchen und dass sie sich manchmal richtig schlecht fühlen, wenn sie nicht tanzen können. Wenn das aus dem Film ersichtlich wird, so ist das sicher kein Zufall.

Gibt es außer dem Genre des Dokumentarfilms etwas, was euren vier Filmen gemein ist?

Antje Kruska: Ja. Wir porträtieren immer Underdogs, Menschen, auf die sonst vielleicht keiner blicken würde. Wir versuchen herauszufinden, was sie motiviert, was sie umtreibt, insofern gibt es von unserer Seite sicher auch ein psychologisches Interesse. Allen Filmen gemeinsam ist aber auch, dass wir unsere Protagonisten sehr ernst nehmen und sie trotzdem nicht schonen.

Judith Keil: Wir gehen immer von Menschen aus und gehen oft sehr weit und sehr tief in deren Leben rein. Das ist unsere Handschrift. Ob es nun ums Putzen oder ums Tanzen geht, wir haben ein bestimmtes Thema, eine bestimmte Vorstellung. Der Film aber wird immer erst dann interessant, wenn wir die richtigen Leute gefunden haben und bei uns die Bereitschaft vorhanden ist, uns in deren Leben reinzuschmeißen. Eine andere Gemeinsamkeit ist, dass wir Filme über das Deutschland von heute machen und die Suche nach dem persönlichen Glück mit den symptomatischen Hindernissen, die der Glücksfindung häufig im Weg stehen. Bei allem Ernst behalten wir aber immer auch einen Blick für die Absurditäten des Lebens.