Verschuldung als Menschenrecht

Die Uno hat das internationale Jahr des Kleinkredits ausgerufen. Finanzdienstleister erwarten einträgliche Geschäfte mit der Armut. von stefanie kron

Sie sind knapp bei Kasse und möchten Ihren ersten Kleinwagen finanzieren oder eine Schrankwand kaufen? Die Citibank gibt Ihnen einen Kleinkredit. Der Vertrag setzt nicht nur die Laufzeit und den Zinssatz fest. Sie unterschreiben auch, Ihr Geld nicht mehr bei McDonald’s zu verschleudern, das Rauchen aufzugeben, regelmäßig die Zähne zu putzen und Verhütungsmittel zu benutzen. Überprüft wird dies monatlich von Ihrem persönlichen Microfinancemanagmentcontroller.

Er kommt sogar zu Ihnen nach Hause. Sind Sie mit Ihrem Körper und Ihrem Budget unverantwortlich umgegangen oder mit der Kreditrückzahlung im Verzug? Die Citibank weiß Abhilfe: Ihr Controller verpflichtet Sie, sich einmal wöchentlich in einem Traineecenter einzufinden und an Workshops über Hygiene, sparsames Haushalten, gesunde Ernährung und Familienplanung teilzunehmen.

Ganz so weit ist man in Europa noch nicht. Doch der Kapitalismus lässt niemanden hängen. Die Vereinten Nationen haben das Jahr 2005 zum »internationalen Jahr des Kleinkredits« (IYM) erkoren. UN-Generalsekretär Kofi Annan behauptete in seiner Rede zum Beschluss des IYM im Dezember 2003, nur der »gleichberechtigte und nachhaltige Zugang zu Kleinkrediten« helfe, die »Armut in der Welt zu reduzieren, die Menschen zu ermächtigen und Wohlstand zu schaffen«.

Auf der Website des IYM feiert man nun den »unternehmerischen Geist« des internationalen Mikrokreditjahres, rund um den Globus werden Aktivitäten und Programme organisiert. Die Regierungen von 50 Staaten, diverse UN-Organisationen, die Weltbank und der Internationale Währungsfonds (IWF) sowie Banken, Finanzinstitute, Nichtregierungsorganisationen (NGO) und Stiftungen haben bereits ihre Beteiligung am IYM zugesagt.

Die Schirmherrschaft haben die »Führer der Finanzindustrie« übernommen, wie sie auf der IYM-Website bejubelt werden. Darunter ist auch der Vizevorsitzende der Citigroup, Stanley Fisher. Die Citigroup, zu der auch die Citibank gehört, ist der größte Finanzdienstleister der Welt. Die größten Gewinne erzielt der Konzern schon jetzt im Privatkundengeschäft mit Kreditkarten und Konsumentenkrediten in den USA. »Das internationale Jahr des Kleinkredits« sieht Stanley Fisher als »Möglichkeit und Hoffnung für viele arme Menschen, ihre Situation durch eigene Anstrengung zu verbessern«.

Vorbild ist ein Minikreditimperium aus Bangladesh. Unter den rund 20 global agierenden privaten Mikrofinanzierungsinstitutionen, die das IYM unterstützen, findet sich auch die Grameen Foundation. Deren Gründer, der Wirtschaftsprofessor Mohammad Yunus, ist Erfinder der Armutsbekämpfungsstrategie Kleinkredit. 1983 gründete er in Bangladesh das erste »Kreditinstitut für Arme«, die Grameen Bank.

Das Prinzip ist einfach: MitarbeiterInnen der Bank, so genannte Promotoren, fahren regelmäßig in die oft abgelegenen Dörfer des Landes. Dort sprechen sie insbesondere die Frauen an, verleihen kleinere Geldbeträge, kassieren Raten und Zinsen ab. Zudem führen sie an Ort und Stelle Kurse über Haushaltsführung, Arbeitsmoral und Familienplanung durch, an denen die Kreditnehmerinnen teilnehmen müssen.

Die wiederum bürgen nicht mit Geld oder Besitz, sondern müssen sich in Gruppen zusammenschließen, deren Mitglieder gegenseitig für die Rückzahlung verantwortlich sind. Die Rückzahlungsquote liegt bei fast 100 Prozent. Und die Grameen Bank floriert. Mit 20 Prozent bewegen sich ihre Zinssätze über denen der traditionellen Banken.

Seit Anfang der neunziger Jahre stilisiert das transnationale Entwicklungsestablishment die Grameen Bank zum Erfolgsrezept schlechthin im Kampf gegen die Armut in der Welt. Die Idee wurde in über 60 Ländern Asiens, Afrikas und Lateinamerikas kopiert. Allein in Bangladesh managt die Grameen Bank über 427 000 Gruppen von KleinkreditnehmerInnen, das sind rund 2,5 Millionen SchuldnerInnen. 94 Prozent von ihnen sind Frauen.

Die Weltbank, der IWF und internationale Entwicklungsagenturen begannen, Kleinkredit-NGO finanziell auszustatten wie kaum ein entwicklungspolitisches Projekt zuvor. 1997 initiierte die Grameen Bank den ersten internationalen Kleinkreditgipfel in Washington. Stargast Yunus, der sein Imperium als »Grameen-Familie« bezeichnet, erklärte zur Eröffnung des Gipfels: »Wir feiern hier die Befreiung des Kredits aus der Sklaverei der Bürgschaft. Auf diesem Gipfel sagen wir der Finanzapartheid auf Wiedersehen, erklären den Kredit zum Menschenrecht und setzen einen Prozess in Gang, der die Armut ins Museum schickt.«

In der allgemeinen Euphorie über das Recht der Armen auf Verschuldung gehen kritische Stimmen weitgehend unter. Eine der wenigen Kritikerinnen des Kleinkreditwesens ist die Journalistin Ximena Bedregal aus Mexiko. In einem Beitrag, der in der Zeitschrift Triple Jornada vom Juni 2001 erschien, weist sie darauf hin, dass mit dem Kleinkredithype die neoliberale »Ideologie einer Individualisierung der Schulden« verbunden sei. Im Rahmen der Strukturanpassungsprogramme haben viele verschuldete Länder des Südens die soziale Infrastruktur abgebaut, ihr Wiederaufbau soll nun individuell über den Kleinkredit erfolgen. »Wo keine staatlichen sozialen Sicherungssysteme mehr existieren, vermittelt das Mikrofinanzierungswesen: Wenn du es mit einem Kleinkredit nicht schaffst, bist du für Scheitern und Armut selbst verantwortlich«, schreibt Bedregal.

So spricht auch Yunus nicht über den politischen Kontext seiner Erfolgsstory. Nach dem Staatsstreich in Bangladesh 1975 strich die an die Macht gekommene Militärregierung auf Druck des IWF die staatlichen Subventionen in der Landwirtschaft und schloss ein Drittel der staatlichen Unternehmen. Tausende Familien von land- und arbeitslos gewordenen Bauern und Arbeitern wurden zu den wichtigsten Kunden der Grameen Bank. Am Beispiel der Bank weist Bedregal auch nach, dass es vor allem die Frauen sind, die Kredite für den Ausbau der kommunitären sozialen Infrastruktur aufnehmen und sich damit »zugunsten der Allgemeinheit individuell verschulden«.

Maria Galindo, Lehrbeauftragte der Universität von La Paz, hat eine empirische Studie über das Kleinkreditwesen in Bolivien verfasst. »Wir fanden heraus«, berichtet sie, »dass die Kredite für die Programme, beispielsweise von der Weltbank, mit einem Zinssatz für die Rückzahlung von vier Prozent pro Jahr ins Land kommen. Die Mikrofinanzierungseinrichtungen, die diese Kredite hier verwalten und kanalisieren, vergeben sie zu einem Zinssatz von 36 bis 40 Prozent an die Frauen! Die Gewinne bleiben bei den NGO, und die Klientinnen bleiben auf den Schulden sitzen.«