Angriff auf die Mediendiktatur

In Venezuela wird erbittert um ein neues Mediengesetz gestritten. von knut henkel

Mitte Dezember unterzeichnete Venezuelas Präsident Hugo Chávez ein neues Mediengesetz in Caracas. Während die Opposition von einem Eingriff in die Pressefreiheit spricht, sieht Venezuelas bekannter Medienkritiker Luis Britto García Parallelen zur europäischen Gesetzgebung. »El Universal hat mittlerweile zwei Kolumnisten, die unabhängig sind und sich auch positiv zur Politik von Hugo Chávez äußern«, sagt er. Die andere traditionelle Tageszeitung, El Nacional, sei noch nicht so weit, bei dieser werde noch alles auf die Anti-Chávez-Karte gesetzt. Doch auch dort sei die Berichterstattung nicht mehr ganz so einseitig wie noch vor wenigen Monaten.

Dennoch erschien am Tag nach dem letzten Referendum, das der Präsident deutlich für sich entscheiden konnte, eine Kolumne, die Chávez unterstellte, mit seiner Regierung das kubanische Modell zu kopieren. Diese Feststellung sei nicht gerade neu und wenig originell, ärgert sich der Professor der Zentraluniversität von Caracas.

Noch 2001 arbeitete der 64jährige für El Nacional, doch dann trennten sich die Wege. Einen Chavisten konnte man bei El Nacional zu der Zeit noch nicht gebrauchen, vier Jahre später sieht es so aus, als müsste das Blatt früher oder später gegen den Willen der Blattmacher einen einstellen. Der Grund ist einfach: die Auflage sinkt, und der ökonomische Druck steigt. Um rund die Hälfte sei die Auflage der ehemals renommierten Tageszeitung eingebrochen, so Britto. Nicht viel anders sieht es bei El Universal aus. Profitiert von der Krise der ehemals meinungsmachenden Blätter hat jedoch die Konkurrenz. Die oftmals als Parteiblatt von Chávez bezeichnete Vea etwa und die pluralistische Ultimas Noticias, die Britto zufolge ihre Auflage verdoppeln konnte.

Was sich im Zeitungssektor anbahnt, könnte im Fernseh- und Radiosektor langsam folgen. Helfen soll ein Gesetz, das Ende November das Parlament passierte und Mitte Dezember vom Präsidenten unterzeichnet wurde, das »Gesetz für die soziale Verantwortung von Radio und Fernsehen«.

»Von Seiten der privaten Medien hat es eine Verteufelungskampagne gegen das neue Mediengesetz gegeben. Dabei ist es kein Eingriff in die Pressefreiheit, sondern ein notwendiges Regelwerk«, urteilt Luis Britto García. El Nacional gehörte zu den lautesten Kritikern des Gesetzes, das Chávez als »Akt der Befreiung von der Mediendiktatur« und als »Beginn der Demokratisierung des Mediensystems« bezeichnete.

Veränderungen in der Medienstruktur des Landes erwartet auch Luis Britto García. Das aus 35 Paragrafen bestehende Gesetz setzt einen Schwerpunkt auf den Jugendschutz. Unterteilt wird im Fernsehen der Sendetag fortan in zwei Blöcke: Zwischen sieben Uhr morgens und 23 Uhr muss das Programm den detaillierten Jugendschutzbestimmungen entsprechen, von 23 Uhr bis fünf Uhr morgens darf ausschließlich für das erwachsene Publikum gesendet werden. Nur in dieser Zeit darf auch Werbung für Zigaretten und Alkohol gemacht werden, weshalb die Sender Einnahmeeinbußen zu erwarten haben.

Zudem werden inzwischen auch die Privatsender angehalten, mindestens drei Stunden am Tag Bildungs-, Informations- oder Kulturprogramme zu senden.

All diese Vorschriften sollen die Qualität des Programms erhöhen. »In Europa gibt es ähnliche Vorgaben, nun hat sie auch Venezuela«, stellt Britto lapidar fest. Zu den Vorgaben gehört auch das Verbot der Diskriminierung von ethnischen und sozialen Minderheiten und der Verherrlichung von Gewalt. »Vorfälle wie die Ermordung eines staatlichen Funktionärs vor laufender Kamera, wie in der Sendung ›Por estas Calles‹ geschehen, wird es hoffentlich nicht mehr geben«, so Britto. Bei Verstößen drohen empfindliche Geldstrafen, die sich auf ein Prozent der jährlich beim Fiskus gemeldeten Bruttoeinnahmen belaufen können. Im Wiederholungsfall droht der Entzug der Sendekonzession, so sieht es das auch im Internet zugängliche Dokument vor.

Mit dem Gesetz sind allerdings auch Einschnitte in die Programmstruktur verbunden: »60 Prozent des Programms sollen aus nationaler Produktion kommen«, erklärt Britto. Neue Arbeitsplätze für venezolanische Künstler und Journalisten erhofft er sich davon. Für die Sender sind die neuen Regelungen eine Herausforderung, denn bisher wurde viel im Ausland eingekauft und immer weniger selbst produziert. Zudem drohen sinkende Einnahmen, was auch Britto einräumt: »Natürlich wird die ökonomische Basis der Sender durch die Werbebeschränkungen merklich beschnitten. Das ist ein Grund für den Widerstand.«

In Venezuela wird das Fernsehangebot nahezu ausschließlich von privaten Anbietern dominiert, die sich durch Werbung finanzieren. Nur eine nachrangige Rolle spielen der staatliche Sender und das der Regierung nahe stehende Vive TV. Sie sind nur ein mickriger Gegenpol zur medialen Übermacht der Privaten.

Diese spielten ihre Informationshoheit im Umfeld des Putsches gegen den Präsidenten im April 2002 voll aus, so Silvia Cabreras. Die gelernte Journalistin arbeitete acht Jahre für den Privatsender Venevisión, bevor sie 2003 den Dienst quittierte. »Parteiische Nachrichten wurden damals gesendet, ihrer Informationspflicht kamen die Medien nicht nach«, so die mittlerweile in Berlin lebende Frau. »Uns in der Redaktion war es untersagt, auf eigene Faust zu recherchieren, wir waren zur Untätigkeit verdammt, während andere die Nachrichten fabrizierten«, erinnert sie sich. Über das Mediensystem in Venezuela schreibt sie mittlerweile ihre Doktorarbeit. Für sie ist das neue Gesetz vollkommen legal und gefährdet nicht – wie in Venezuela, aber auch im Ausland immer wieder behauptet – die Pressefreiheit. So hat Human Rights Watch kritisiert, dass das Gesetz zu vage formuliert sei und Handhabe biete, politische Standpunkte in den Medien zu bestrafen. Zudem könnten die kostspieligen Strafen, die bei Missachtung des Gesetzes drohen, zur Selbstzensur führen. Auch die Verpflichtung der Medien, bis zu 60 Minuten wöchentlich Informationen der Regierung zu senden, kritisierte die Menschenrechtsorganisation in einer Presseerklärung.

Diese Kritik hält auch Professor Britto García für ungerechtfertigt: »Zensur ist nach der Verfassung verboten, und es gibt keinerlei Anzeichen für die Einschränkung der Pressefreiheit durch die Regierung«, sagt er und fährt fort: »Keine Zeitungsausgabe wurde von der Polizei beschlagnahmt und kein Journalist ins Gefängnis geworfen.« Selbst der Aufruf zur Gewalt gegen den Präsidenten und dessen Diffamierung in Kommentaren sei bisher nicht strafrechtlich geahndet worden. Das spreche für die Pressefreiheit in Venezuela, gibt Britto zu bedenken.

Dem gegenüber stehen allerdings die verbalen Ausfälle des Präsidenten gegen die Medien, die dazu geführt haben, dass seine Anhänger die Zeitungsredaktion von El Nacional 2002 angriffen. Das streitet auch Britto nicht ab. Allerdings betont er, dass die Regierung nicht für alles verantwortlich sei, was ihre Anhänger verübten. »Übergriffe hat es auch gegen Journalisten des staatlichen Senders gegeben, und der oppositionelle Bürgermeister von Caracas hat einen autonomen lokalen Fernsehsender, Catia TV, einfach geschlossen.«

Britto hofft sogar auf einen weiteren Schub in Sachen medialer Pluralität. Eine wichtige Rolle spielen dabei heute schon die unzähligen kleinen Radiostationen, die ein alternatives Informationsangebot bieten, ergänzt Silvia Cabrera. Ob sie sich gegen die kommerzielle Konkurrenz behaupten können, wird sich erst mittelfristig zeigen. Immerhin scheint der Mediensektor in Venezuela langsam in Bewegung gekommen zu sein, und das Mediengesetz könnte diesen Trend noch verstärken.