Luft für die Welt

Das Kyoto-Protokoll ist in Kraft. Mit einer Verringerung des Kohlendioxid-Ausstoßes ist trotzdem nicht zu rechnen. Nicht nur wegen der USA. von cord riechelmann

Dieser Text wurde, ginge es nach der taz, am dritten Tag eines »neuen Zeitalters« verfasst. Tag Null des neuen Zeitalters war der Mittwoch der vergangenen Woche, nach alter Zeitrechnung der 16. Februar 2005, der Tag, an dem das »Kyoto-Protokoll« in Kraft trat.

Der Tag Null begann erst mal mit ziemlich altem Gedröhn. »Trittin kritisiert USA und lobt Russland bei Klimaschutz«, lautete eine der Schlagzeilen. Darüber hinaus wies Jürgen Trittin Kritik von Umweltverbänden an der deutschen Klimapolitik zurück. Er könne »dieses Gerede, welches die klimapolitische Vorreiterrolle Deutschlands in Frage stellt«, wirklich nicht nachvollziehen, hieß es. Dass Trittin kann, was Putin auch kann, nämlich Kritik von Umweltschützern etwa am beispiellosen Ausverkauf russischer Wälder nicht nachvollziehen, muss einen nicht wundern. Wundern können einen aber die ganz großen Begriffe – »neues Zeitalter«, »Menschheit« oder »völlig neues Politikfeld« –, die aufgefahren werden, um die Bedeutung des Vertragswerks zu bezeichnen. Unterhalb der ganzen Menschheit geht in diesem Fall anscheinend gar nichts.

Das war natürlich, wie die taz schrieb, ein »Grund zum Feiern«, und es traf sich ganz gut, dass nicht alle zur Party kamen, obwohl ja jeder willkommen war. Die USA und Australien wollten nicht mitfeiern, und das konnte die Tatsache verdecken, dass weder in Buenos Aires oder Mexiko-Stadt noch in Tokio oder Moskau, Neu Delhi oder Paris die Massen auf die Straßen strömten und auf die neue Zeit anstießen. Die »Menschheit« reagierte in der Mehrheit gelassen, gleichgültig oder gar nicht. Und daran tut sie recht.

Denn, um es mit einer Formulierung von Günther Anders zu sagen, von den Menschen ohne Welt, die nichts haben und denen nichts gehört, wird es keinen einzigen vor der weiteren Marginalisierung retten. Für die Entwicklungsländer ist das Kyoto-Protokoll sicher nicht der »Meilenstein«, als den es nicht nur Entwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul bejubelt. Die Armen werden nicht reich und die Hungernden nicht satt. Im Gegenteil. Das ganze Vertragswerk könnte zu einem riesigen Entlastungshandel für jene werden, die sich schon immer kaufen konnten, was sie wollten. Und wenn nichts daraus wird, steht das Reich des Bösen heute schon fest. Es werden die USA sein.

Der latente bis offene Antiamerikanismus, der in vielen so genannten liberalen Kommentaren zum Protokoll durchschlägt, stößt deshalb so übel auf, weil gleichzeitig so getan wird, als sei der Rest der Welt sich einig. Für das nicht nur von Trittin so gelobte Russland lässt sich aber eine Prognose abgeben, die überhaupt nicht schön ist. Putin wird das durch die Unterzeichnung des Protokolls gewonnene Renommée dazu nutzen, regierungsunabhängige Umweltorganisationen noch mehr zu gängeln, als er es ohnehin schon tut. Und das hängt mit der Konstruktion des Vertrages zusammen.

Die Vereinbarung heißt deshalb Kyoto-Protokoll, weil sie im Kern auf eine Konferenz der Vereinten Nationen in der japanischen Stadt Kyoto im Jahr 1997 zurückgeht. Damals verpflichteten sich die größten Industriestaaten, ihren Ausstoß an Treibhausgasen bis zum Jahr 2012 um mindestens 5,2 Prozent gegenüber dem Niveau von 1990 zu senken.

Hintergrund der Vereinbarung ist die Tatsache, dass die von Menschen erzeugten Treibhausgase, also Kohlendioxid, Methan, FCKW und Stickstoffoxide, das Klima verändern. Treibhausgase halten die Wärme in der Erdatmosphäre, können Gletscher zum Schmelzen bringen und in der Folge den Mee-resspiegel ansteigen lassen.

Dass das Protokoll erst jetzt in Kraft tritt, hängt mit zwei Bedingungen des Abkommens zusammen. Mindestens 55 Prozent aller an der Konferenz beteiligten Staaten müssen das Abkommen ratifizieren, und diese Länder müssen mindestens 55 Prozent der Treibhausgasemissionen abdecken. Als die USA, verantwortlich für ein Viertel des Kohlendioxid-Ausstoßes, sich 2001 unter Präsident George W. Bush aus dem Kreis der beteiligten Länder zurückzogen, waren diese Ziele erst einmal weit weg.

Die USA reagierten mit ihrem Rückzug auf die Kosten, die die Ziele der Umweltschutzvereinbarungen im eigenen Land verursachen würden. Da die Reduktionsvereinbarungen nur für die »entwickelten« Industrieländer gelten, nicht aber für Schwellenländer wie China und Indien, in denen man in den nächsten Jahren den stärksten Anstieg von Treibhausgasemissionen vermutet, befürchtete die US-Regierung gegenüber diesen Ländern Wettbewerbsnachteile. Sie bezifferte die Kosten für die US-Wirtschaft auf 400 Milliarden Dollar und damit einhergehend den Verlust von 4,9 Millionen Jobs.

Unabhängig davon, ob diese Rechnung stimmt: Umsonst wird das Unternehmen nicht zu haben sein. Und über die Kosten klagen nicht nur die USA, sondern auch viele Entwicklungsländer. Diese kommen in den Jubelartikeln aber meist nur als Opfer vor – sie haben am meisten unter der Klimaerwärmung zu leiden – oder als demnächst Überschwemmte – 100 Millionen vor allem ärmere Menschen wohnen in Küstennähe.

Dass das Protokoll mittlerweile in Kraft treten konnte, lag an der Zustimmung Russlands im vergangenen Jahr. Damit war auch die zweite Bedingung erfüllt. Nunmehr haben 141 Länder das Kyoto-Abkommen unterschrieben. Mithin kann der Kohlenstoffdioxidhandel in eine tatsächlich neue Phase treten. Konkrete Richtlinien wurden nämlich nur für 39 »relativ entwickelte« Industrieländer beschlossen. Im Einzelnen fallen sie für bestimmte Länder noch einmal anders aus.

Das klingt ziemlich wirr, ist in diesem Punkt aber durchdacht: Es konstituiert ein ungleiches Recht für ungleiche Länder. Die 15 Staaten der alten EU zum Beispiel verpflichten sich auf eine gemeinsame Reduktion von acht Prozent unter das Niveau von 1990 und verrechnen dabei die unterschiedlichen Startbedingungen von Portugal, Spanien oder Irland mit denen von Frankreich oder Deutschland in einem Emissionshandel. Verfehlt ein Land sein Klimaschutzziel, soll es Abgasrechte bei solchen kaufen können, die ihr Ziel unterbieten. Daran hängt ein ganzer Katalog von Plus- und Minuspunkten, die das internationale Klimasekretariat in Bonn sammeln, beurteilen und überwachen soll. Wie dann Verfehlungen geahndet werden, ist noch unklar, das soll eine Konferenz im November in Kanada beschließen. So weit, so gut. Und was kommt nun?

In den entwickelten Staaten wird ein reger Handel mit Emissionspapieren einsetzen, gemäß den Regeln, nach denen auch sonst der Handel vonstatten geht. Manch ein Unternehmen wird auch Zertifikate für »klimafreundliche« Investitionen in unterentwickelten Ländern bekommen, die es dann irgendwann an der Börse verkaufen kann. Handelsplatz für solche Gutscheine wird Chicago sein. Und dann werden die Unternehmen, wenn sie auch bei den Emissionen so sparen, wie es jetzt schon Deutsche Bank und Commerzbank beim menschlichen Personal tun, ihre Gewinne weiter erhöhen. Und die Armutsproduktion in Deutschland und anderswo wird auch in diesem Klimaschutzpolitikfeld und mit Jürgen und Joschka ungekannte Höhen erreichen. Vielleicht können sich manche dann auch richtig gute Luft kaufen.