Zwischen den Stühlen

Die Reformpolitik des syrischen Präsidenten Bashar al-Assad muss sich gegen viele Widerstände durchsetzen. Ob er die nötige Macht hat, ist offen. von michael borgstede, damaskus

Die Antrittsrede des neuen Präsidenten klang verheißungsvoll: Von »Reformen des Verwaltungsapparates« war im Jahr 2000 die Rede. Er sprach von »demokratischem Gedankengut«, von der »notwendigen Durchsichtigkeit der Institutionen« und von »Gesetzestreue«. Für solche Äußerungen hätte der alte Hafez al-Assad seinen Sohn sofort verhaftet, merkte ein Oppositioneller damals erstaunt an. Doch Hafez war im Juni 2000 überraschend gestorben. Sein Sohn Bashar, ein in London ausgebildeter Augenarzt, galt als Reformator. Unverzüglich machte der nur 35 Jahre alte Mann sich ans Werk, um zunächst die desolate Wirtschaft des Landes von den Auswirkungen der ba’athistischen Herrschaft zu heilen.

Bashar schaffte das Planungsministerium ab, genehmigte die Gründung von Privatbanken und ließ die Steuer- und Handelsgesetze grundlegend überarbeiten, um ausländische Investoren anzuziehen. Auch die »vorbeugende Haft« für Wirtschaftskriminelle wurde abgeschafft. Assad führte das Internet, Mobiltelefone, Kreditkarten und Geldautomaten in Syrien ein. Bereits in den ersten Monaten seiner Regierung entließ der Präsident mehrere hundert politische Häftlinge aus den Gefängnissen. Der obligatorische Militärdienst wurde verkürzt, und im Oktober 2003 genehmigte Assad die Gründung von vier privaten Universitäten.

Auf dem Papier liest sich das alles nicht schlecht. Doch in der Gesellschaft sind viele Veränderungen nicht angekommen. Die Armee scheint sich um das Dekret des Präsidenten nicht zu scheren, und die neue Steuergesetzgebung ist zwar bereits zwei Jahre alt, aber immer noch nicht in Kraft getreten. Andere Reformen scheinen bewusst halbherzig ausgefallen zu sein. Vier private Radiosender wurden 2003 genehmigt. Nachrichten oder Reportagen dürfen sie allerdings nicht senden.

So wird in Syrien heiß diskutiert: Wollte Bashar von Anfang an nur kosmetische Reformen? Oder möchte er die Konfrontation mit der alten Garde ba’athistischer Hardliner vermeiden und drückt deshalb aufs Bremspedal? Wie weit geht seine Kontrolle der unzähligen Geheimdienste wirklich? Und wer hat das Sagen in der Ba’ath-Partei? Details aus den Zentren der Macht dringen selten an die Öffentlichkeit. Politik ist in Syrien eine Art Geheimwissenschaft, die unter Ausschluss der Öffentlichkeit praktiziert wird. Viele Syrer halten es im Zweifel mit dem Präsidenten und sehen Bashar als wohlmeinende, aber willensschwache Marionette einiger mächtiger Hintermänner aus Militär und Geheimdiensten.

Tatsächlich kontrolliert Bashar die korrupte syrische Machtpyramide wohl nur begrenzt. Ibrahim al-Hamidi, der Damaskus-Korrespondent der Zeitung al-Hayat, sieht darin einen Grund, warum die Umsetzung der Reformen sich so schwierig gestaltet: »Bashar hat zwar zahlreiche reformorientierte und fähige Minister berufen, doch auf den unteren administrativen Ebenen herrschen noch immer mafiaähnliche Stammesstrukturen und Korruption.« Außerdem fehle den Technokraten auf ihren Ministersesseln eine Machtbasis, die es mit dem weit verzweigten Beziehungsnetz der Geheimdienstchefs aufnehmen könnte. Versuche, die tonangebenden Führer der Ba’ath-Partei aus dem Regierungsgeschäft herauszuhalten, sind bisher trotz entsprechender Erlasse gescheitert. Als der ambitionierte Planungsminister, Abdullah Dardari, einen Fünfjahresplan für die syrische Wirtschaft ankündigte, wollte er die Ba’ath-Partei dazu zwingen, ihre Ideologie des »arabischen Sozialismus« über Bord zu werfen. Die Parteibosse üben sich bis heute im Hinhalten und Verschleppen.

Al-Hamidi ist trotzdem hoffnungsvoll: »Die Tatsache, dass wir uns heute so offen unterhalten können, ist schon ein Fortschritt.« Hamidi muss es wissen, er verbrachte 2003 mehrere Monate in Untersuchungshaft, weil sein Artikel über Syriens Vorbereitungen auf den Irak-Krieg den Zorn der Mächtigen erregt hatte. Seit Medi Dachlallah im Oktober 2002 das Informationsministerium übernahm, hat die Angst vor der Zensur bei den Medien allerdings nachgelassen. In einer Aufsehen erregenden Geste rief Dachlallah einige Journalisten persönlich an und forderte sie zu mehr Mut bei der Berichterstattung auf. Eine andere heilige Kuh schlachtete der Informationsminister, als er die Publikation eines Artikels erlaubte, der die gefürchtete Geheimpolizei Mukhabarat ebenso kritisierte wie ihn selbst. »In Syrien hat sich einiges getan«, stellt Hamidi zufrieden fest. Weniger als 1 000 politische Gefangene säßen noch in den Gefängnissen. Schaue man sich die Menschenrechtsberichte aus Ägypten, dem Iran oder aus Tunesien an, dann komme Syrien im Vergleich gar nicht schlecht weg.

Auf dem Marktplatz im alten Zentrum von Damaskus will ebenfalls niemand meckern: »Das Leben in Syrien ist ruhig«, sagt Lala, die für ihre Großfamilie eine Plastiktüte nach der anderen mit frischem Obst und Gemüse füllt. Syrien sei das drittsicherste Land der Welt, fügt sie hinzu. Das hätten vor einigen Monaten sogar die Vereinten Nationen festgestellt. Samir ist Student und arbeitet nebenher als Taxifahrer. Ihn ärgert der »Hochmut der Amerikaner«. »Was wollen sie denn von uns?« fragt er. »Wenn Demokratie so aussieht wie im Irak, dann können wir in Syrien auch ohne sie auskommen. Bush wird doch erst Ruhe geben, wenn auch bei uns das Chaos herrscht.« Fürchteten die Syrier sich jahrzehntelang vor »libanesischen Verhältnissen«, so ist jetzt der Irak zum abschreckenden Beispiel geworden.

Für die USA steht Syrien auf der Liste der Schurkenstaaten dennoch ganz oben. Besonders die Unterstützung der palästinensischen Terrorgruppen und der Hizbollah weckt in Washington Missfallen. Den Ursprung eines Großteils der Gewalt im Irak sehen die Amerikaner in Syrien, und sie vermuten Damaskus auch hinter dem Mordanschlag auf den ehemaligen libanesischen Premier Hariri.

Der Druck auf Bashar Assad nimmt zu. Mit seiner Opposition zum Irak-Krieg hat er zwar die Vox Populi wiedergegeben und sich der Sympathien der Bevölkerung versichert, Syrien aber politisch isoliert. Der chaotische Irak und das den USA freundlich gesonnene Jordanien liegen im Westen, Israel und der Libanon im Süden – nur mit der Türkei im Norden unterhält Syrien nach der stillen Beilegung einer alten Grenzstreitigkeit relativ gute Beziehungen.

Früher oder später, daran zweifelt in Syrien heute kaum jemand, wird Assad die syrischen Truppen aus dem Libanon zurückziehen. Dabei darf es nicht nach Kapitulation riechen; ein Zeichen der Schwäche würde die Hardliner nur weiter stärken und könnte den vorsichtigen Reformversuchen Assads endgültig ein Ende machen. Und das dürfte eigentlich nicht im Interesse der USA sein.